Carl Maria von Weber to Ludwig Rellstab in Berlin
Dresden, Thursday, December 4, 1823

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Herrn

Lud: Rellstab.

Wohlgebohren

Kochstraße No 20.

Berlin

Geehrtester Herr und Freund!

Die erste Berührung durch die Öffentlichkeit, ist Ihnen gleich eine schmerzliche geworden*. ich nehme den herzlichsten Antheil daran, denn ich kenne dieses Gefühl aus der Erfahrung. Eben deßhalb aber muß ich Ihnen auch zurufen sich fest zu panzern, gegen die Oberflächlichkeit und Hinsudelung der meisten Kritiken*, die dann wirklich aussehen als wie Boßheit; Lügen, ohne es gerade zu wollen, und eben dadurch viel schmerzlicher verwunden, als durch eine wohlwollend scharf eingehende Beurtheilung.      Dagegen ist nun, auch meiner Erfahrung gemäß, das Beste, gar nichts zu thun; sondern ruhig fort zu wirken und zu schaffen, und dem größern Welturtheil das Resultat zu ziehen; zu überlaßen.       Seit einigen Jahren habe ich keinen Buchstaben mehr drukken laßen, habe alle Anfoderungen von Litter: Instituten, und die Wünsche Einzelner ihre Werke anzuzeigen, zurükgewiesen. Selbst jezt wo Fr: v: Chezy mir Stoff genug gäbe gegen sie aufzutreten thue ich es nicht.      Es ist mir wahrhaft schmerzlich aus allen diesen Gründen Ihrem Wunsch nicht entsprechen zu können*; aber ernstlich die Sache betrachtet; könnte Ihnen ein von mir über Ihre Dichtung günstig gefälltes Urtheil wirklich nüzlich sein? ich glaube, Nein! Sehen Sie dieß nicht für eine übel angebrachte Bescheidenheit an; sondern bedenken Sie nur wie von jeher alle Kritiker der Tagesblätter über die von mir zur Composition gewählten Opern-Gedichte hergefallen sind. Wenn diese Herren mir also nicht Urtheilsfähigkeit genug zutrauen für mich selbst das Günstige und Gute einzusehen, wie wenig werden sie Respekt vor meiner Billigung eines nur einmal vorlesen gehörten Operntextes haben.       Wie sehr ich Ihr Talent ehre und anerkenne, hoffe ich dadurch zu beweisen, daß wir gewiß einmal eine Arbeit vereint vornehmen. Und so wie mir damals die Dido erschien, wie Sie die Güte hatten, sie mir vorzulesen*, hatte ich die unbedingteste Lust, sie zu componiren, wenn sie nicht schon dem achtungswerthen Klein angehört hätte, und ich überhaupt nicht gegen den Stoff selbst manche Bedenken hegte, die aber meist nachdem ich Ihre Bearbeitung gehört, schwanden oder sich milderten. Das Urtheil Sachverständiger die mir von Berlin aus darüber schrieben*, bestätigte auch ganz meine günstige Meynung, für | Ihre Fähigkeiten.      Verwinden Sie also ruhig in Gottes Nahmen das Weimarsche Journal*. Bewährt sich das Werk selbst, so verweht sich so ein Urtheil wie Schrift im Sande. Ueberhaupt nehmen wir alle die es trifft, so eine Sache viel zu wichtig. Man frage sich nur selbst wie man über ähnliche Anzeigen andrer Werke die einem noch nicht näher gestellt sind, hinweg geht.

Ich hoffe daß Sie bei ruhigerer Stimmung meiner Weigerung nicht zürnen werden, die auf der Ueberzeugung beruht, daß ich nach meiner jezigen Stellung mir durchaus keine kritische Stimme anmaßen darf.

Wann, und ob ich nach Berlin komme; wißen die Götter Graf Bühl, und Spontini.

Meine Frau erwiedert freundlich Ihre Grüße, und ich bin mit herzlicher Theilnahme und Achtung Ihr CMvWeber

Editorial

Summary

reagiert ablehnend auf Rellstabs Bitte, als Reaktion auf den Dido-Bericht im Journal für Literatur, Kunst, Luxus und Mode eine positive Beurteilung von Rellstabs Libretto zu verfassen und zu publizieren; die Angriffe auf die von Weber zur Komposition gewählten Opernlibretti lassen ihn als Gutachter wenig geeignet erscheinen und in seiner Stellung als Hofkapellmeister dürfe er sich keine kritische Stimme anmaßen

Tradition

  • Text Source: Privatbesitz

    Physical Description

    • 1 DBl. (3 b. S. einschl. Adr.)
    • Siegeleinriß, Siegelrest
    • PSt: “DRESDEN | 5.[?] DEZ. 23.”, Postvermerke: “85”, “Z...”

    Provenance

    • laut Liste von Kaiser (vor 1918) im Besitz von Prof. Rellstab in Berlin

Text Constitution

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Commentary

  • “… Ihnen gleich eine schmerzliche geworden”Die Uraufführung der Oper Dido, zu der L. Rellstab das Libretto geliefert hatte, war in Berlin mehrfach verzögert worden: Ursprünglich war sie für Januar/Februar 1823 geplant; vgl. AmZ, Jg. 25, Nr. 8 (19. Februar 1823), Sp. 130. In einem Brief des Komponisten B. Klein an den Librettisten (D-B, 55 Ep 1339) ist dann von „Ende Februar oder Anfang Mærz“ die Rede. Schließlich fand die Premiere anlässlich des Geburtstags des preußischen Kronprinzen am 15. Oktober 1823 mit exquisiter Besetzung (Dido – A. P. Milder, Selene – J. Schulze, Aeneas – K. A. Bader, Jarbas – J. Hillebrand, Anführer der Carthager – E. Devrient) und Ausstattung (Ballette von C. M. Telle, getanzt von S. Lemière, E. Hoguet, Mad. Gasperini, C. Lampery, M. F. Hoguet, C. M. Telle und Wilhelm Hagemeister; neue Dekoration nach Entwurf von K. F. Schinkel von F. W. Köhler und J. C. J. Gerst) statt, aber schon die zweite Vorstellung am 21. Oktober ging „vor einem nur halb gefüllten Hause“ über die Bühne; vgl. AmZ, Jg. 25, Nr. 46 (12. November 1823), Sp. 754f. Nach der dritten Vorstellung am 2. November verschwand das Werk zunächst aus dem Repertoire (die Wiederaufnahme am 21. Januar 1827 war die vorerst letzte Aufführung in Berlin). Diesen mangelnden Erfolg und vor allem negative Äußerungen von Kritikern hatte Rellstab offenbar in jenem Brief beklagt, den Weber am 2. Dezember erhalten hatte.
  • “… und Hinsudelung der meisten Kritiken”Laut Angabe weiter unten im Brief, die „das Weimarsche Journal“ betrifft, war besonders der Bericht über die Oper Dido im Journal für Literatur, Kunst, Luxus und Mode, Jg. 38, Nr. 104 (November 1823), S. 849f. und Nr. 105 (November 1823), S. 861f. Grund für Rellstabs Unzufriedenheit. Die Presse beurteilte das Werk (als Bühnenerstling von Klein und Rellstab) insgesamt relativ freundlich. Positiv ist die Besprechung in den Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Jg. 1823, Nr. 132 (4. November 1823), wo es zu Rellstabs Libretto heißt, der Dichter habe, „sich nahe an Virgil haltend, den Stoff geschickt für die Komposizion bereitet“. In der Königlich privilegirten Berlinischen Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen finden sich zwei Berichte, der erste in Nr. 132 (4. November 1823) erwähnt den Text lediglich bezüglich der Rollenzeichnung der Selene, die dem Dichter „weniger gelungen“ wäre als dem Komponisten, während der zweite Text in Nr. 133 (6. November 1823) sich ausschließlich mit der Musik befasst. Dem durchaus positiven Kurzbericht in der AmZ, Jg. 25, Nr. 46 (12. November 1823), Sp. 754f. folgte leider nicht, wie angekündigt („das Nähere nach künftigen Vorstellungen“), eine umfassendere Besprechung. Negativer heißt es in der Zeitung für die elegante Welt, Jg. 23, Nr. 236 (2. Dezember 1823), Sp. 1896, der Gegenstand sei vom Dichter „nicht so glücklich behandelt und durchgeführt, als von seinem bekannten Talent und Genie erwartet werden durfte“; überhaupt wurde dem Sujet attestiert, sich nicht für eine Oper zu eignen – diese Beurteilung dürfte Rellstab allerdings, als er an Weber schrieb, noch nicht gekannt haben. Sehr bissig und unsachlich äußerte sich der Kritiker im Gesellschafter, wo es heißt: „Ja, es hat eine wunderliche Aera der Theater-Literatur begonnen; man muß hübsch im Schlendrians-Geleise, was neu heißt, geübt seyn; um’s Himmelswillen nicht etwa eine Idee, die noch nicht da gewesen ist!! Hübsch bloß zusammen getragen und bearbeitet; was die Leute gewohnt sind, ist ihnen lieb. Und immer recht prosaisch! – auch wenn man in Vers-Füßen schreibt. Die dichterischen Füße, die etwa sich auf die Höhen versteigen wollen, helfen nicht auf die Theaterbretter; darum thun die deutschen Dichter sehr wohl, wenn sie die eigenen Füße gebrauchen, um an der Seine Geist zu betteln und von dem gallischen Hahne so krähen zu lernen, wie es in Deutschland, als beliebtes dramatisches Wetterzeichen, eben gefordert wird.“; vgl. Der Gesellschafter oder Blätter für Geist und Herz, Nr. 173 (29. Oktober 1823), S. 839f. (Zitat S. 840).
  • “… Wunsch nicht entsprechen zu können”Rellstab hatte Weber demnach um eine positive Stellungnahme zum Libretto als Entgegnung auf die schlechte Presse-Beurteilung gebeten.
  • “… Güte hatten, sie mir vorzulesen”Das Treffen, das zugleich die erste persönliche Begegnung beider war, ist im Tagebuch am 5. August 1821 erwähnt; vgl. hierzu auch den Themenkommentar zu KompositionsprojektenT.
  • “… von Berlin aus darüber schrieben”Diesbezügliche Briefe konnten bislang nicht ermittelt werden.
  • “… Gottes Nahmen das Weimarsche Journal”Die Kritik, die im November 1823 in zwei Teilen in Nr. 104 und 105 des Journal für Literatur, Kunst, Luxus und Mode erschienen war, betrifft vorwiegend das Textbuch. So heißt es auf S. 850: „Die schon vor Jahr und Tag angekündigte große Oper Dido in drei Acten, gedichtet von Rellstab und in Musik gesetzt von Bernhard Klein, ist endlich auf unserer Bühne erschienen. Sie hat viel Beifall gefunden, wenn sie auch nicht alle Stimmen für sich hat, wovon der Grund nicht sowohl in der Composition, als in der Dichtung zu suchen seyn möchte. Diese bewegt sich, wie es in der Regel bei heroischen Opern zu seyn pflegt, in einer Sphäre von geringem Umfang, und überdieß fehlt es – was ein Hauptmangel ist, der nur zu sehr empfunden wird – dem letzten Aufzuge an gesteigertem Interesse und an einer ergreifenden Catastrophe, wie sich aus dem Inhalte, den wir kurz andeuten wollen, ergeben wird: [...]“ und weiter auf S. 861: „Aus diesen Andeutungen erhellt sattsam, in wie engem Kreise die Dichtung eingeschlossen ist. Einförmigkeit und Wiederholung ist dabei nicht ganz zu vermeiden: Dido hofft immer das Beste, und Aeneas so wie Selene zweifeln und klagen von Anfang bis an’s Ende. Jarbas kann nur wenig Theilnahme erwecken. Wie unbefriedigt der letzte Act lassen muß, ist schon durch sich klar, alle Scenen sind, bis auf die der klagenden Selene, zu rasch vorübergehend, und besonders der Uebergang von Dido’s Freude zur Verzweiflung zu stürmisch und stürzend, um einen ächt tragischen Eindruck zu machen. Wie ganz anders, wie viel ergreifender ist der letzte Act von Gluck’s Armida! Hier ist gehörige Entfaltung, Steigerung und eine wahrhaft poetische Catastrophe. – Am besten ist dem Dichter der zweite Aufzug geglückt; hier sind die herrschenden Empfindungen des tragischen Drama’s am besten entfaltet, am treffendsten contrastirt und am schönsten in einander verwebt. Und gleicherweise verhält es sich mit der Musik, woraus sich abermals ergiebt, wie wichtig und wesentlich das Werk des Dichters ist, was man immer noch nicht genug einzusehen scheint.“

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