Carl Maria von Weber an Caroline von Weber in Dresden
Wien, Montag, 22. September 1823 (Nr. 3)
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Willkommen in Wien! meine vielgeliebte Weibe. Wir haben die schönste Reise von der Welt gehabt. Nicht zu kalt nicht zu warm, kein Regen, kein Staub, d. 18t machte ich in Prag noch einige Besuche, ging ins Theater*, und war dann bei Junghs. Das alte WagerlT, das ich Dir in meiner No: 2 so gelobt hatte, fieng nun aber an hinfällig zu werden. ich mußte schnell eine Räder Reparatur vornehmen lassen und wäre beinah einen Tag länger in Prag deßhalb aufgehalten worden. Junghs Kutscher aber besorgte alles schnell, und den 19t früh 4 Uhr gieng es heidi. in Deutschbrod blieben wir übernacht wo ich wieder was am Koffer mußte machen laßen, und Benedikt in Entzükkung über am Spieß gebratne Hüner gerieth. Den 20t fiengen die Räder wieder an zu wakkeln, und ich mußte 3 Stunden in Pržletau still liegen, und viel Geld bezahlen. Die TodesAngst Benedikts die er immer verbeißen wollte war sehr komisch, da ich einige Stationen weiter fuhr, als mir schon die habgierigen Schmiedte Reparatur geweißagt hatten. Wir übernachteten in Znaim*, und kamen Gestern d. 21t, Sonntag um 3 Uhr glücklich in Wien an. An der Linie fand ich einige Zeilen von Kupelwieser der mir anzeigte daß die Italiener noch einige Tage verweilten*, mein Quartier also vor der Hand in der ungarischen Krone* sein müßte. Da stiegen wir denn auch ab, ich pakte aus gab Benedikt seine Sachen, wo denn zu meinem großen Verdruß manches durchgescheuert ist, und auch meine Uniform gelitten hat, doch unbedeutend.
Der junge Barbaja* und andere, überfiel mich gleich, und schleppte mich zu seinem Vater der noch immer krank ist. dieser wollte mich sogleich bereden, von hieraus nach Neapel zu gehen, und eine Oper zu schreiben. was ich natürlich vor der Hand von mir wies. von da ging’s in die italienische Oper Matrimonio Segreto*. ja, meine geliebte Mukkin ein paar Künstler wie die Fodor und Lablache, sind mir noch nicht vorgekommen*. Hier ist die höchste reinste Vollendung, das herrlichste und grandioseste was die Natur an Stimme geben kann, und alles was nur als Künstler verlangt werden kann. ich war unendlich ergriffen. in einer eingelegten Arie sang die Fodor so herrlich, daß ich überzeugt bin wenn Sie die Euryanthe sänge, man könnte toll werden. Dieses tiefe leidenschaftliche Gefühl, und dabei die nie vergeßene Herrschaft und Besonnenheit über alle Mittel. Was hätte ich darum gegeben dich herzaubern zu können. du hättest dich in Thränen aufgelößt.
Die Chezy saß im Parterre, und zerriß sich bald mit Grüßen zu mir in die Loge herauf. übrigens war es leer, obwohl nur noch 3 Vorstellungen sind. heut Der Barbier von Sevilla, dann Dona del lago pp*. Leider sehe ich die Fodor und den Lablache in keiner großen Oper mehr | da sie Morgen abreisen. nach dem Theater wurde noch viel über Euryanthe conferirt mit Duport. Alles wird gut gehen, bis auf die streitige Eglantine*. ich will nur ehe ich die Rollen vertheile, noch einige Vorstellungen abwarten. Man wollte sogleich eine Oper von Riotte die zu dem 3t 8b gegeben werden soll, Geburtstag des Kaisers*, zurüklegen, ich verbat es aber, erstlich um keinen braven Künstler an etwas lang ersehnten zu hindern, zweitens um das Personale beßer kennen zu lernen*. Uebrigens ist es wirklich höchst wohlthuend, mit welcher unverstellten herzlichen Freude ich empfangen werde, und ich sehe daß meine Aktien nicht gesunken sind. Nun, wie Gott will, ich bin voll guten Muthes, und habe in diesen Augenbliken nur einen Kummer der aber groß ist, nehmlich den, daß du diesen Brief erst Ende der Woche erhältst, und also 8 Tage ohne Nachricht von mir bist. Die Posttage sind nur Mittwoch und Sonnabend, und Sonntag bin ich angekomen. Wenn Du nun nicht so klug bist etwas ähnliches zu vermuthen, so ängstige ich mich zu todt um Deine Angst. Morgen erfahre ich was Du machst, was freue ich mich darauf. zu jeder Stunde bin ich bei Euch. Morgens und Abends kriegt ihr gute + + +. O ihr innig geliebten wie lang wird sich mir die Zeit dehnen — —
Nun anziehen! Ich umarme dich von ganzer Seele, und meine vielgeliebte Mäzze, Gott erhalte Euch nur gesund, und du! ängstige dich nicht um mich.
Nachmittags.
So eben erfahren daß die Post noch täglich geht, renne nach Hause, und o Freude! erhalte Deine liebe No. 1. Gott lob daß alles bei Euch gut geht, bei mir geht Gesundheit und Empfang wirklich trefflich, nicht einmal einen Schnupfen habe ich davongetragen.
nun ade liebes Leben, habe kaum noch Zeit, den Brief zuzumachen. Gott mit Euch + + +
Ewig Dein dich über alles liebender
Carl.
Editorial
Summary
über die Reise von Prag nach Wien; hat Quartier vorerst in der “Ungarischen Krone” genommen; Barbaja habe ihn überreden wollen, nach Neapel zu gehen; ist begeistert von den Sängern der italienischen Oper; betr. Aufführungspläne für Euryanthe; empfindet den herzlichen Empfang als sehr wohltuend; Privates
Incipit
“Willkommen in Wien! meine vielgeliebte Weibe.”
General Remark
Datierung laut Tagebuch und Brieftext
Responsibilities
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Tradition
-
Text Source: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Shelf mark: Mus. ep. C. M. v. Weber 162Physical Description
- 1 Bl. (2 b. S. o. Adr.), urspr. 1 DBl., Bl. 2 bis auf 1 cm Rand abgeschnitten
- Zusatz am oberen rechten Rand der Recto-Seite von Jähns: 1823
- Rötelmarkierungen von Max Maria von Weber
Corresponding sources
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Reisebriefe, S. 12–14
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Worbs 1982, S. 104–106
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MMW II, S. 490 (unter 20. Sept.)
Thematic Commentaries
Commentary
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“… einige Besuche, ging ins Theater”Gegeben wurde an diesem Abend das Schauspiel Die Advokaten von Iffland; vgl. Tagebuch der deutschen Bühnen, Jg. 8, Nr. 10 (Oktober 1823), S. 269.
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“… Italiener noch einige Tage verweilten”Die italienische stagione an der Wiener Hofoper endete erst am 28. September 1823. Somit war das offenbar für Weber vorgesehene Quartier noch belegt. Erst am 26. September zog er in das Haus Nr. 1038 in der Kärntnerstraße; vgl. den Kommentar zum Brief vom 28./29. September 1823.
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“… Hand in der ungarischen Krone”Weber wohnte dort gemeinsam mit seinem Schüler und Reisebegleiter Julius Benedict vom 21. bis 26. September 1823; vgl. u. a. die Anreisennotiz in der Wiener Zeitung 1823, Nr. 220 (24. September), S. 891.
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“… Barbaja”Barbajas Sohn Pietro ist 1799 geboren worden.
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“… dann Dona del lago pp”Weber besuchte laut Tagebuch vier italienische Vorstellungen in der Hofoper am 22., 24., 26. und 28. September, zuletzt auch die genannte Donna del lago, mit der die italienische Stagione für dieses Jahr schloss.
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“… bis auf die streitige Eglantine”Die Besetzung dieser Partie mit Th. Grünbaum wurde laut Tagebuch erst am 26. September 1823 endgültig geklärt. Zu den Aussprachen Webers mit der Sängerin am 23. und 26. September vgl. seine Briefe vom 23./24. und 26. September 1823.
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“… werden soll, Geburtstag des Kaisers”Kaiser Franz I. hatte am 4. Oktober Namenstag.
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“… Personale beßer kennen zu lernen”Weber besuchte die Uraufführung am 3. Oktober; zur Besetzung vgl. das Tagebuch. Sowohl in dieser Oper als auch in der Euryanthe wirkten H. Sontag, F. A. Forti und J. Rauscher mit.