Friedrich Wilhelm Jähns an Fräulein Hirschfeld in Berlin
Berlin, Sonntag, 6. Oktober 1867

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An

Fräulein Hirschfeld

aus St: Petersburg

Wohlgeboren

zur Zeit hier

Absender:
F. W. Jähns
Königl: Musik-Director
Krausen-Str. 62 hier

Mein hochverehrtes Fräulein

Durch Frau Woderb* ist mir die hocherfreuliche Nachricht geworden, daß Sie Sich der gütigen Erfüllung meiner Wünsche annehmen wollen, welche ich in Bezug auf Feststellung von mir nöthigen Notizen über das in St. Petersburg befindliche Autograph des Oberon von Carl Maria v. Weber lebhaft seit mehreren Jahren erstrebte und leider nicht erreichen konnte. Schon vor drei Jahren sandte ich eine die Fragen, um die es sich dabei für mich handelt, darstellende Notificirung ähnlich wie die beifolgende, die schlimmer und größer aussieht, als die dadurch veranlaßte Arbeit für einen Musiker namentlich ist, | an den Opernkomponisten Herrn Alexander Sseroff nach Petersburg, einen vorzüglichen Tonkünstler, der erst im vorigen Jahre in Petersburg eine große Oper von sich mit allgemeinem Beifall aufgeführt hat*. In Berlin, wo ich seine Bekanntschaft machte, versprach er mir sehr freundlich die Besorgung meiner Angelegenheit; auf 2 Briefe, die ich an ihn richtete, erhielt ich jedoch keine Antwort. Die Ausführung meiner Anfragen mag ihm wohl eine zu zeitraubende Arbeit gewesen sein. Seine Wohnung hatte ich nicht gewußt, oder vielmehr – er hatte sie mir nicht nennen wollen und mich einfach auf die Kaiserliche Bibliothek verwiesen, wo man ihn kenne. – Würden Sie hochverehrtes Fräulein, wohl nun die große Güte haben, diesem Herren meine beiliegende Frageliste geneigtest vorzulegen, mit der Bitte, zu erklären, ob er mir dieselbe in nicht zu langer | Frist beantworten könne, da mein Werk nächstens vollendet ist und ich an die Veröffentlichung nicht eher gehen kann, bis ich nicht diese, das Oberon-Autograph Weber’s betreffende Beantwortung in Händen habe. Eine zweifelhafte Zusage würde mir gar nicht nutzen können, und in diesem Falle würde ich Ihre Güte in Bezug auf einen ebenfalls in Petersburg lebenden ausgezeichneten Tonkünstler, Herrn Promberger, zu beanspruchen so kühn sein, der als Verehrer Weber’s sich wohl der Arbeit unterziehen dürfte, obwohl wir uns persönlich nicht kennen. Ob der Lehrer der kaiserlichen Prinzen der berühmte Clavier Virtuos und Componist, Herr Adolf Henselt, vielleicht die Beantwortung als begeisterter Verehrer Webers übernähme, kann ich nicht sagen. Eine Anfrage wäre vielleicht nicht am unrechten Ort, um so mehr als wir uns aus | früherer Zeit kennen. Schließlich, wenn alles mißlingt, würde der Director der Kaiserl. Bibliothek, Herr Baron von Korff, Excellenz, vielleicht geneigt sein, die Sache zu beschützen und im Interesse der Kunstgeschichte ausführen zu lassen. — Wenn es nun aber nicht allzu unbescheiden wäre, so möchte ich bemerken, daß die Beantwortung der Fragen, ich glaube, am besten in Ihre Hand gelegt wäre, wenn ich, mein hochverehrtes Fräulein, nicht annehmen müßte, daß Ihre Zeit es nicht erlaubte. Die Sache selbst ist einfach, und wo irgend eine Frage zweifelhaft sein könnte, würde der musikalische Custos, der das Autograph unter Aufsicht hat, mit zwei Worten aufklären können. – Wenn also meine Bitte nicht zu groß und die Verhältnisse nicht zu ungünstig, wenn namentlich Niemand die | Beantwortung zu übernehmen sich verpflichtet, was ich mir jedoch kaum denken kann – dann rufe ich Ihre Güte im Interesse edelster deutscher Kunst an, dessen einem Ihrer hervorragendsten Träger hier ein würdiges Denkmal gestiftet werden soll, was seine Größe nicht nur vollständig zum 1sten Male ganz den Augen der Welt darlegen, sondern auch derselben practischen Nutzen nach mannigfachen Richtungen gewähren wird. —

Jederzeit sind es edle Frauen gewesen, die dem besten in der Welt ihre Kräfte gereicht haben. Nach der zwar kurzen Bekanntschaft, deren ich mich in Bezug auf Sie, mein hochverehrtes Fräulein, rühmen kann, hege ich eine leise Hoffnung, daß mir aus Ihrer gütigen und geneigten Hand endlich in dieser Sache Hülfe erwachse. |

Genehmigen Sie aber jedenfalls, es stelle sich nun der Erfolg, wie er wolle, im Voraus meinen allerinnigsten und wärmsten Dank, mit dem ich in ausgezeichnetster Verehrung zu allen Zeiten unwandelbar mich nennen werde Euer Wohlgeboren dankbar verbundenster
F. W. Jähns
Königl: Preuß: Musik Director
Berlin: Krausen-
Strasse. 62.

Editorial

Summary

bittet die aus Petersburg besuchsweise in Berlin weilende Dame um Vermittlung seiner Fragen bezüglich des Oberon-Autographs in der Kaiserl. Bibliothek daselbst; vergeblich hat er diese Bitte an Herrn Serow herangetragen, er nennt noch als möglichen Helfer Herrn Promberger u. Adolf Henselt, wenn alle versagen, fragt er, ob sie sich der Fragen annehmen könne oder der Direktor der Bibliothek Baron v. Korff etwas veranlassen könne, da es für den Abschluss seines Weber-Werkverzeichnisses sehr wichtig sei

Incipit

Durch Frau Woderb ist mir die hocherfreuliche Nachricht geworden

Responsibilities

Übertragung
Frank Ziegler

Tradition

  • Text Source: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Shelf mark: Weberiana Cl. X, Nr. 1098

    Physical Description

    • 2 DBl. (6 b. S. u. Umschlag)

Text Constitution

  • “machte”added above
  • “betreffende”added above
  • “habe”added above
  • “nicht”added above
  • “zu”added above
  • “kann”added above

Commentary

  • “… Durch Frau Woderb”Vermutlich die Ehefrau von C. W. F. Woderb, Lieutenant a. D., Vorsteher des Post-Montierungs-Depots in Berlin.
  • “… mit allgemeinem Beifall aufgeführt hat”Serovs Rogneda war am 27. Oktober 1865 am Mariinsky Theater uraufgeführt worden.

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