Friedrich Wilhelm Jähns to Antonie Weber in Darmstadt
Berlin, Tuesday, September 19, 1865
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- 1865-09-17: to Weber
- 1865-09-17: from Lachner
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- 1865-09-21: to unbekannten Herrn
- 1865-09-21: from Hallberger
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- 1865-09-17: to Weber
- 1865-04-06: from Weber
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- 1866-01-10: to Weber
- 1866-01-05: from Weber
Unendlich bedauert habe ich es, Sie bei meinem Besuche Darmstadts am 12ten vorigen Monats nicht persönlich angetroffen zu haben, um Ihnen zuvörderst für Ihr gütiges so eingehendes Schreiben von Herzen zu danken. Warlich hätte man jederzeit ein so freundliches Entgegenkommen, ein solches Verständni߇, eine solche Liebe zur Sache, so wäre dem armen Forscher wohl bald geholfen. Aber auf dem dürren, nur selten eine Frucht darbietenden Wege solcher, doch schon ziemlich weit zurückgreifenden Forschungen, bei denen die hauptsächlich wichtigen Personen nicht mehr zu den Lebenden gehören, ist die lange Bahn zu selten in so liebenswürdiger Weise geebnet, wie Sie, mein sehr verehrtes Fräulein, es mir gegenüber damit gehalten haben. Also Dank, wärmsten herzlichsten Dank.
Warum ich jedoch nicht eher geschrieben, wird Ihnen vielleicht jetzt bereits nach den Mittheilungen, die ich Ihrem verehrten Herrn Bruder gemacht, schon herausgestellt haben. In Bezug auf den Spiegel-Canon hatten Sie mich auf das Spohrsche Stammbuch verwiesen und so schlug ich denn zuerst diesen Weg ein, ehe ich Ihnen wieder Nachricht gab. Auf allerlei Umwegen gelang es mir endlich, die Frau General-Musik-Direktor Spohr zu gütiger Mittheilung des Nöthigen über den Canon zu veranlassen und nachdem ich diese empfangen, wollte ich [mich] bei meiner bevorstehenden Ferien-Reise durch die Anschauung des Originals noch mehr überzeugen und beschloß | dieselbe in Cassel persönlich aufzusuchen. Dies gelang mir, ich fand die freundlichste Aufnahme, sah das Original-Manuskript Ihres Herrn Vaters und die Original-Bemerkung Carl-Maria’s darunter, ganz so wie die mir von Frau Spohr übersendete Durchzeichnung mir diese Dinge mitgetheilt hatte. — Nun eilte ich nach Darmstadt, wo ich Sie nun nicht fand, obwohl ich die liebenswürdigste und gütigste Aufnahme von Seiten Ihres Herrn Bruders und dessen Frau Gemalin‡ fand. — So lege ich denn eine ausführliche Darstellung meiner auf den Canon gehenden Erfahrungen, Arbeiten und Ansichten auf einem besonderen hier beigelegten Blatte nieder; ich möchte jedenfalls bitten, es einer genaueren Durchsicht würdigen zu wollen, indem mir viel daran liegt, Ihr Urtheil über meine Ansicht dieser wundersamen Sache zu vernehmen.
Ihr sehr geehrter Herr Bruder hat mich mit der Zusage beglückt, mir 1.)‡ die Correspondenz Ihres verewigten Herrn Vaters mit Carl Maria zur Benutzung für mein Werk zu gestatten‡ so wie 2.)‡ diejenigen musicalischen Manuscripte, zu‡ des Verewigten‡ die Sie etwa noch besitzen, und ferner 3.)‡ diejenigen Musical. Manuscripte Ihres Herrn Vaters, die sich auf Carl Maria beziehen sollten. Dahin sub 2)‡ möchte das Manuscript Carl Maria’s gehören, was der Hr. Kapellmeister Mangold in Ihrer Stadt angiebt*, in Ihrem Besitz gesehen zu haben, ja wonach er nach seiner Aussage sogar im Jahre 1835 dirigirt hat; Die Schlußfuge des „Ersten Tons“ oder den ganzen „Ersten Ton“*. Über den ganzen bin ich nicht ganz sicher, die Fuge hat er jedoch bestimmt‡ namentlich gemacht, als ich ihn jetzt in Bensheim besuchte. Er fügte hinzu diese Fuge habe die Billigung Voglers nicht erhalten, sie sei in Webers Manuscript deshalb von Vogler’s Hand durchstrichen gewesen, und hätte Vogler dafür auf | der letzten freien Seite eigenhändig eine neue Fuge geschrieben. — Das wäre eine wichtige Sache, die jetzt im „Ersten Ton“ gedruckte Fuge mit dieser Vogler’s zu vergleichen. Jedenfalls befindet sich zum Schluße des Originals vom Ersten Ton die Fuge nicht. Dasselbe erlaubte mir Simrock, der Besitzer des Eigenthumsrechts des Werks (so wie er der Besitzer einer‡ dieser Original-Partitur ebenfalls ist) zur Ansicht, statt der Schlußfuge in der‡ Partitur befindet sich ein Clavierauszug derselben von Carl Maria’s Hand dabei. —
Indem Ihr Herr Bruder die Behandlung und Ausführung seines mir gegebenen Versprechens ganz in Ihre Hände legen zu wollen mir bemerkte, so wende ich mich nun an Sie, mein hochverehrtes Fräulein, doch bei der Auswahl des mir gütigst zu Übersendenden nichts für so unbedeutend halten zu wollen, daß es mir nicht wichtig sein könnte. Was ich Ihrem Herrn Bruder schon schrieb, möchte ich mir ganz gehorsamst erlauben, hier nochmals zu wiederholen, daß nemlich‡ alles mir ein Heiligthum sein soll bis zum kleinsten Blättchen, daß alles mit größester Rücksichtnahme und ohne den geringsten Mißbrauch Ihres Vertrauens behandelt werden wird. Die unbedeutendste Äußerung in einem Briefe ist oft von großer Wichtigkeit für den Forscher und darum bitte ich inständigst, nichts zurückzulassen, mag es auch noch so unbedeutend erscheinen. — Ganz besonders glücklich macht mir die Aussicht für die Zukunft, die Correspondenz, ‡ die noch nicht gedruckt wurde und die Ihr verewigter Herr Vater herauszugeben zusagte, diese nach Vollenden meines vorliegenden Werkes herausgeben zu dürfen. Auch dazu bedarf ich natürlich die Ansicht des sämmtlichen Materials; zu der vorliegenden Arbeit aber dasselbe so schleunig wie möglich, | da, wie ich dies auch schon Ihrem Herrn Bruder anliegend schrieb, mir jetzt eine ruhigere Arbeitszeit von etwa 1½ Monat vorliegt.
So bitte ich denn nochmals, mir Ihr gütiges Vertrauen und die Erfüllung meiner Bitten zu schenken. — Seit mehreren Jahren ruhen sämtliche Briefe Carl Maria’s an seine Gattin, seine sämtlichen Tagebücher von 1810 bis zu seinem Todestage 1826, ferner seine sämmtlichen der Familie hinterlassenen musicalischen Manuscripe in meinen Händen. Alles hat mir der Sohn übergeben für die ganze Zeit, worin ich an dem Werke arbeite. Demjenigen, dem dieses Vertrauen geschenkt wird, versagen Sie auch dasselbe wohl nicht. Es beruht ja das mir geschenkte Vertrauen auf meiner Liebe zur Kunst und ihren Meistern, speziell auf der Liebe zu dem Meister, zu welchem Naturell und Bildungsgang mich stets besonders hingezogen haben und mit dessen Angehörigen ich so lange glücklich war‡ seit langen Jahren — seit 1829 — das innigste Freundschafts-Bündniß flechten zu können. — Ich würde sehr glücklich sein, wenn die vorliegenden Verhältnisse es vermittelten, auch Ihrer verehrten Familie in etwas näher treten zu dürfen, als die gewöhnlichen Verhältnisse des Lebens und die Trennung des Wohnortes es gewöhnlich bedingen.
Was die Übersendung der Papiere anlangt, so würden sie wohl am sichersten durch die Post unfrankiert, und, wenn dies zulässig, zugleich recommandirt erfolgen. Bei der Sicherheit namentlich der Paket-Beförderung ist unbedingt keine Besorgniß deswegen zu hegen und will ich nur wünschen, daß es Ihre Zeit recht bald erlaubt, mich mit der Sendung zu erfreuen, der ich die Ehre habe mich zu nennen
Euer Hochwohlgeboren
dankbar verbundenen F. W. Jähns.
Königl: Preuß: Musik-Direktor.
zu Berlin: Krausen Str. 62.
Editorial
Summary
es geht um die Einsichtnahme in das Autograph des Rätselcanons, in die Voglerschen Schlussfuge im Ersten Ton und in die Korrespondenz Gottfried Weber – C. M. v. Weber; da er sie bei seinem Besuch nicht angetroffen hat, sprach er mit dem Bruder, der es zugesagt hatte, auch gab er J. das Versprechen, dass er die bisher unveröffentlichten Briefe publizieren dürfe; berichtet, dass ihm die Familie sämtliche Briefe Webers an Caroline, alle Tagebücher und alle Musikmanuskripte überlassen habe für die Dauer seiner Arbeiten am Werkverzeichnis
Incipit
“Unendlich bedauert habe ich es, Sie bei meinem Besuche”
Tradition
Text Constitution
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“Verständniß”sic!
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“Gemalin”sic!
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“1.)”added above
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“zu gestatten”added above
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“2.)”added above
-
“zu des Verewigten”added above
-
“zu”crossed out
-
“3.)”added above
-
“sub 2)”added above
-
“ bestimmt”added above
-
“einer”crossed out
-
“der”added above
-
“nemlich”sic!
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“… für die Zukunft, die Correspondenz,”nicht eindeutig lesbarer, gestrichener Wortbeginn
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“war”added below
Commentary
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“… oder den ganzen Ersten Ton”Aus dem Nachlass Gottfried Webers verfügte die Familie über eine von C. M. von Weber annotierte Partiturkopie des kompletten Werks (mit Schlusschor in erster Gestalt) sowie das Autograph des Schlusschors in endgültiger Version; beide Quellen sind heute verschollen.