Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: 9. bis 13. März 1819 (Teil 1 von 2)
Dienstags, den 9. März. Das Intermezzo.
Mittwochs, den 10. März. Ser Marc Antonio.
Sonnabends, den 13. März. Zuerst: Der Brief aus Cadix, in 3 Akten, von August v. Kotzebue. Bei allen nur zu sehr gerügten Untugenden der sentimentalen Stücke dieses Dichters, bei allen handgreiflichen Uebertreibungen mag dies Schauspiel doch auch heut noch sein Publikum finden, wenn es gut gespielt und was bei den meisten Effusionen dieses Dichters so noth thut, der Schauspieler da, wo der Dichter eine psychologische Kluft ließ, durch sein motivirendes Spiel eine Brücke zu bauen weiß. Hätte Müllner sein Theaterwörterbuch ganz drucken lassen – als warum wir ihn wohl bitten möchten – so wäre unstreitig auch unter der Rubrik: Gleichungen dies zur Sprache gekommen. Die heutige Vorstellung eines Stücks, das wir seit langer Zeit nicht gesehen hatten, verdient im Ganzen eine gelungene genannt zu werden, und erinnert an die alten Vorzüge unsers Theaters im Conversationston. Herr Schirmer, als Murrwall, verdiente den Beifall, den ihm das Publikum auch laut zuerkannte, und gab den Kampf des äußern Hasses mit der innern Wahrheit in mehrern Momenten so brav, daß der Dichter selbst gewiß ihn zugerufen haben würde: Du verstandst mich. Er soll zuletzt – so ist’s vorgeschrieben – im Paroxysmus der Ungeduld sein Schnupftuch zerreißen. Eine schwere Zumuthung, wenn das Spiel nicht zur lächerlichsten Parodie des tragischen werden soll. Es gelang durch das einleitende und begleitende Geberdenspiel vollkommen und nun ward auch erst das Niedersinken auf’s Knie beim dankenden Ausruf: Gott er lebt! etwas bessers, als ein abgenutzter Theatercoup. Hr. Zwick gab seinem‡ Bürgermeister Holm mit ansprechender Resignation. Sein darum, als ihn Murwall fragt: und darum sind sie hergekommen? war gut gesprochen. So stöhnt der hoffnungslose Schmerz. Aber als er zuletzt die frohe Botschaft verkündigen und feurig werden soll, verließ ihn das schon früher wankende Gedächtniß. Hr. Pauli, den wir heut zum erstenmal genau zu beobachten Gelegenheit hatten, spielte den alten Magister Milde – er nennt sich selbst im Stück den alten – viel zu keck und frisch. Sein helles, kraftvolles Organ hätte durch Beugung und Senkung mehr Wiederklang des innern Gefühls werden sollen. Warum taufte denn den gutmüthigen alten Mann der Dichter selbst Milde? Dieß mußte wohl den Grundton des ganzen Spiels bestimmen. Wo er sich in der ersten Unterredung mit Murwall entschließt, selbst nach Madagascar zu gehen, hätte doch wohl durch eine vorbereitende Pause, durch einige Schritte übers Thea¦ter, durch ein einleitendes Mienen- und Händespiel, ein solcher Entschluß motivirt werden müssen. Denn er konnte ja darauf durchaus nicht vorbereitet seyn. Hier tritt eben der Fall ein, wo der Schauspieler ausfüllen muß, was der Dichter nur skizzirte. So wie hier das: was meinen Sie – ich alter Mann gehe! ausgesprochen wurde, hätte es auch wohl nur auf die nächste Poststation seyn können. Dann muß auch dieser alte Magister bei steigender Gefahr noch viel mehr aufthauen und lebhafter (nicht eben beweglicher) werden. Die Steigerung des Affects müßte sich in Geberden und schnellerem Sprechen weit mehr offenbaren. So beim Hereintreten zu Amalien und Holm im zweiten, so noch stärker bei der Freude, den Brief aus Cadix in der Tasche zu haben. Hier erschien vielen unter den Zuschauern das Spiel zu zahm und oberflächlich. Und wirft wohl dem abgehenden Polizei-Director dieser Magister das harte Wort: viele die sich empfehlen, sind nicht empfohlen, so an die Stirn? Wir glauben einem von der Natur für sein Rollenfach begabten und auf der Bühne bereits sehr einheimischem neuen Mitgliede unsers Theatervereins unsere Achtung nicht besser beweisen zu können, als durch diese Bemerkungen, die hier nicht der Einzelne ausspricht. Der ganz unbedeutenden Rolle der Amalie wußte Mad. Schirmer ihre eigenen Reize zu leihen. Wie wahr giebt sie die stockende Verlegenheit und einleitenden Umschweife im Geständniß ihrer Liebe, wie fromm die gehorsame Tochter. Der gelungenste Moment ist das Heraustreten aus der mädchenhaften Schüchternheit, wo sie zu Leopold spricht: Das weiß ich, daß mein Vater vertheidigt werden kann. Möge diese Künstlerin uns noch oft und in vielen Stücken zeigen, wie auch das Geringe bedeutend gemacht wird!
Hierauf zum Erstenmale: Die armen Maler, Lustspiel in einem Akt, von Karl Jents. Ein kleines, leicht hinskizzirtes Reim- und Nachspiel, das mit so guter Laune und Fröhlichkeit gespielt, wie hier, eine halbe Stunde recht angenehm ausfüllt und mit verdientem Beifall aufgenommen wurde. Die Verse könnten besser gereimt und geglättet seyn. Doch nimmt man es bei so etwas nicht eben genau. Schon der Stoff verdient in so fern Beifall, als er in eine Gattung gehört, die wir bei weitem noch nicht so angebauet haben, als es auf den Pariser Nebenbühnen seit 20 Jahren vergnügte. Man weiß mit welchem Erfolge im Vaudeville, aux varietés. in Rue St. Martin Anekdoten berühmter Schriftsteller, Künstler, Sonderlinge aus dem Zeitalter Ludewigs XIV. zu dramatischen Kleinigkeiten verarbeitet worden sind.
(Der Beschluß folgt.)
Editorial
Summary
Chronik Dresden, Hoftheater: 9. bis 13. März 1819. Dabei besonders über “Der Brief aus Cadix” von Kotzebue und der erste Teil der Aufführungsbesprechung von “Die armen Maler” von Karl Jents. Der zweite Teil folgt in der nächsten Ausgabe.
Creation
–
Responsibilities
- Übertragung
- Fukerider, Andreas
Tradition
-
Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 71 (24. März 1819), f 2v