Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “Das Leben ein Traum” von Calderon am 7. November 1818 (Teil 3 von 3)
Das Leben ein Traum.
(Beschluß.)
Wenn aber in derselben Schlußscene die Vermälung Astolfs mit Rosauren durch Sigismund und das Anerbieten der eigenen Hand an Estrella vielen ein sehr abgenutzter Comödienschluß schien, so kam dies wohl vorzüglich daher, weil aus guten Gründen für die dießmalige Aufführung die Porträtscene, welche doch zur gerechten Würdigung dieses Schlusses so viel beiträgt, zu Ende des zweiten Akts ganz weggelassen worden war. Könnte diese Scene wieder hergestellt werden, und auch Clarin den Theil seiner Rolle zurück erhalten, die Erheiterung ohne Störung bringt, da er in den zwei Scenen, wo er für den Prinzen angesehen wird und vom Pfeil getroffen niederstürzt, als gaukelnder Phantasus in diesem ernsten Lebenstraum seine volle, wohlberechnete Wirkung thut: so muß eine zweite Vorstellung, die allgemein gewünscht wird, einen noch viel höhern Genuß gewähren, und den Wunsch nach einigen andern Calderonischen Stücken, besonders nach dem Arzt seiner Ehre, nicht mehr als unstatthaft erscheinen lassen.
Man hat behaupten wollen, daß der Gebrauch des Trochäus unsrer Sprache widerstrebe, und man hat daher diese Versart in andern Bearbeitungen dieses Stücks in Jamben übersetzt. Große Beispiele unsrer Nationaldichter haben bereits das Gegentheil dargethan, und die Erfahrung, welche die Aufführung dieses Stücks nach Gries uns dargeboten hat, bestätigt es aufs neue, daß unser Ohr sie auf der Bühne sehr wohl verträgt. Freilich muß Mensur und rhythmische Haltung gut einprobirt werden. Trochäus heißt nicht ohne Ursache Läufer. Es ist schlimm bestellt, wenn die Zunge mit ihm, oder er mit einem langathmigen Satze davon läuft. Da kommt’s wohl auch zu einem Rennen und – Ueberpurzeln! Allerdings beruht, wie schon andere bemerkten, der Gebrauch des trochäischen Verses auf uraltem spanischen Herkommen. Herders von Johann v. Müller so geistreich eingeleitete Nachbildung des Cid in diesem Sylbenmaße muß jedem gebildeten Deutschen geläufig seyn. Aber auch die griechische Tragödie hat ihn, abwechselnd mit Jamben. In Aeschylus Persern ist er vorherrschend. Und unsre Bühne sollte ihn, als unserm Ohre anstößig, verschmähen müssen? Wir wollen nur erst recht ¦ betonen und austönen lassen! Rennt er, wie er es hie und da wohl noch that, so wird man freilich den auch von Gries meisterhaft wiedergegebenen Vokalreim, die Assonanz, gar nicht ahnen. Daß es aber auch mit dem Anklange der Assonanzen recht wohl gehe, hat uns Hrn. Werdy’s Vortrag der großen Expositionsrede gar wohl bewiesen. Da hörten wir sie. Sonst aber dürfte in andern Rollen wohl vieles versprochen und in der Eil verwechselt worden seyn. Verwechseln aber heißt hier radebrechen!
Auch noch ein zweites Vorurtheil ist durch diese Aufführung beschämt und widerlegt worden. Die ungeheuer langen Reden – so hat man gesagt – die nicht in der Natur und gegen alle theatralische Sitte sind, wird bei der Vorstellung niemand aushalten. Die Folge war, daß man sie – um einen Dialog zu gewinnen – aufs seltsamste zerhackte und zerstückelte. Es war verständig, daß bei uns aus diesen Reden mancher allzuüppige Auswuchs der südlichen Bilderanhäufung oder scholastischer Spitzfindigkeit weggeschnitten wurde. Uebrigens aber blieb alles unangetastet und wurde mit der gespanntesten Aufmerksamkeit eines sehr gemischten und übervollen Hauses und oft mit rauschendem Beifall am Ende vernommen. Wen wollte aber auch bei monologischen Reden, wie sie Herr Julius mehrmals mit aller Mannigfaltigkeit des Ton- und Geberdenwechsels, den hier die Sache selbst fodert, ausstattete, Langweil beschleichen. Wenn Basil sprach, bedurfte es nicht erst der Vorwarnung: seyd aufmerksam! Hätte nur Rasaura und Astolf ihrer Aufgabe Gnüge leisten können, man war bereit auch sie mit demselben Wohlgefallen bis ans Ende anzuhören. Wie gern hätten wir die schönen Stanzen, die nur theilweise erschienen, unverkürzt vernommen! Die Direction, die einem gebildeten Publikum bei einem gediegenen, wenn auch höchst fremdartigen Meisterwerk mehr zutraut, behält stets Recht. Es ist der Triumph Calderons, der vorzugsweise der christliche Dichter genannt wird, die Idee, daß, sollte auch das ganze Lebensspiel aller Menschen – denn Sigismund ist, wie aus dem gleichnamigen Auto sagramental recht deutlich hervorgeht, nur Repräsentant der Sinnlichkeit und des hohen Prinzips in uns – nur ein Traum seyn, wir doch wegen des Erwachens dort tugendhaft selbst im Traume handeln mußten.
Böttiger.Editorial
Summary
Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “Das Leben ein Traum” von Gries (Teil 3 von 3), die ersten beiden Teile erschienen in den vorigen Ausgaben
Creation
–
Responsibilities
- Übertragung
- Albrecht, Christoph; Fukerider, Andreas
Tradition
-
Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 2, Nr. 283 (27. November 1818), f 2v