Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “Das Leben ein Traum” von Calderon am 7. November 1818 (Teil 2 von 3)

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Das Leben ein Traum.
(Fortsetzung.)

Hr. Julius hatte die Hauptrolle des Sigismund in aller ihrer Aufreizung und Beruhigung aufgefaßt, und stellte sie nun mit allem Kraft- und Kunstaufgebot, das wir an ihm ehren, so dar, daß der lauteste Beifall ihm mit Recht lohnte. Dies ist bei einem so denkenden und kraftvollen Künstler schon in der Ordnung. So wie sich alles entwickelte und vor uns da stand, war’s auch vollkommen im Einklang, alles Ein Guß. Und hatte er sich wirklich hier und da im Uebermaß der Mittel vergriffen, alles diente doch zum Zweck, der – ihm vorschwebte. Uns hat vorzüglich der schöne Moment der Vermenschlichung und des Schmelzens des empörten Natursinns gleich Anfangs gefallen, wo ihm Rosaure, als verkleideter Jüngling, durch ihren bloßen Anblick bezähmt, und als man sie ihm entreißt, zu neuem Muth entflammt, der sich doch nach diesem ersten Lichtstrahl sympathetischen Gefühls ganz anders gebehrdet, als beim ersten Anfall, wo er sich gleichfalls zu zerfleischen droht. In dieser verschiedenen Abstufung war der Künstler ganz sichtbar. Mancher hochfahrende Fittigschlag des Adlers, im sogenannten Interregnum im zweiten Akt, gattete Hochmuth und Hochherzigkeit sehr brav. Vor allem aber gelang ihm das augenblickliche Einlenken im letzten Akt, – wir erkennen nur drei Akte, und hoffen, daß es uns gestattet seyn werde, da, wo es wirklich nur Anfang, Mitte und Ende geben kann, die weitere Theilung als nicht vorhanden anzusehen, – wenn die alte Unbändigkeit, das Thier im Menschen, wieder ihn packen will. Die schwierigste Aufgabe liegt in der Bestimmung der Frage: wie weit darf das „menschliche Unthier“, wie er sich selbst bezeichnet, auf der Bühne dargestellt werden? Dies wird erst dann beantwortet werden können, wenn man, was bloß Ausdruck des lyrischen Aufschwungs und der südlichen Dichterglut ist, von dem unterscheidet, was als Grundzug im Charakter nicht verwischt werden darf. Das erstere gehört bloß der Declamation, das letztere auch dem Spiel an. Wird auch das erstere alles in Spiel und Geberde ausgedrückt, dann können wir es nicht ertragen. Mitleid, nicht Schrecken und Graus, sollen Sigismunds schwergereizte Aufwallungen in uns erregen. Denn er ist kein so verwilderter Naturmensch, wie man sie zuweilen in Grotten und Wäldern gefunden hat. Clotald hat ihn in Christenthum und Wissenschaft unterrichtet. Dies kann beim allzuregen Bestreben nach charakteristischem Kraftausdruck leicht zu schroff, widrig und überhaupt Calderons lyrischer Weichheit ganz absagend erscheinen. Er kann zürnen, und beim hartnäckigen Widerstand, den er findet, toben. Aber Bitterkeit und Hohn ist nicht in ihm. Uns wollte aber doch bedünken, als habe dieser Sigismund selbst gegen den Vater auch drohenden Hohn ausgedrückt. Auch möchte die Scene eines mächtig erwachenden, sinnlichen Wohlgefallens gegen Rosaurens Reize, etwas gemildert, eine angemessnere Wirkung sich versprechen dürfen! Uberhaupt aber muß uns nie der Zweifel beigehn, daß es bei einer so zur Natur gewordenen Widerspenstig¦keit nicht auch noch auf dem Throne Rückfälle geben könne.

Dafür muß freilich auch Clotald sorgen. In der That gab Hr. Burmeister diese vermittelnde Rolle in allen den Scenen, wo er’s mit seinem Zögling zu thun hat, besonders da, wo er der Pflicht selbst sein Leben zu opfern bereit ist, mit überzeugender Würde. Weniger schien dies der Fall, wo er als Diener Basils, als Vater und in andern Hofverhältnissen erscheint. Da vergaß er’s zuweilen, daß er nicht viel jünger seyn könne, als Basil selbst, und machte uns durch allzu muntre Regsamkeit in seinen Bewegungen, durch beschleunigte Lebendigkeit in Ton und Ausdruck, irre an seinem Alter. Tritt nun bei solcher Schnelligkeit auch noch der Fall ein, daß er abseits mit gesenkter Stimme in Selbstbetrachtungen verfällt, so gehen für die Zuhörer ganze Sätze verloren, welches mehrmals, besonders aber nach der Entdeckung von Rosaurens geheimnißvollem Schwerte sich zeigte.

Vollkommen in seine Rolle eingedrungen und ihr in allem Genüge leistend, war Hr. Werdy, als König Basil. Altersreife ohne Altersschwäche. Ein leiser Anstrich von Zufriedenheit mit sich selbst, der hier und da in einige Pedanterie übergeht. Die berühmte Expositions-Rede hält er, nach Calderon’s Vorschrift, stehend, in der Mitte eines Vorhofes, hinter ihm die Magnaten und das Hofgesinde. Das ist viel besser, als der Audienzsaal mit dem hereinwackelnden Thronhimmel oder Sessel. So gruppirt sich alles weit verständiger, und das zweimalige: Seyd aufmerksam! tritt so weit natürlicher hervor, da es gegen die im Rücken stehenden Zuhörer gesprochen, an die rechte Behörde kommt, vom Throne aus aber höchst lächerlich seyn würde. Mit behaglicher Selbstgefälligkeit zählet unser Basil seine Gründe mit ein, zwei und drei vor. Dabei viel gemüthliche Weichheit, die in den vier Schlußversen: dieses nur, als Fürst, befehl ich u. s. w., in immer tieferer Senkung der Stimme, wie ein leis’ verhauchender Wunsch, verklang. Wie gern hätten wir ihn auch zu Anfang des dritten Akts, das Wiedererwachen des Sohnes beobachtend, und mit der Geberde der verzweifelnden Hoffnungslosigkeit abgehn sehn, welche ächt-tragische Erweckung des Mitleids hier aber weggeblieben war. Selbst das Niederknieen vor dem Sohne verlor durch die unleugbare Würde des Alten viel von dem Auffallenden, was die Scene für uns hat: hätte aber, stünde es auch im Buche anders geordnet, nicht so lange dauern sollen. Sehr brav wurde seine Ermannen zum Entschluß, in den Krieg zu ziehn, und die unerschrockene Zurückweisung der angerathenen Flucht vorgestellt. Selbst das Costüm war mit Geschmack gewählt. Möchte uns Lear einmal so erscheinen!

Allgemein wurde es gebilligt, daß Sigismund, dem Calderon treu, den Belohnung fodernden Empörer in denselben Thurm schickt, aus welchem ihn jener befreit hatte, was bei einer neuen Bearbeitung auf ein Gottesurtheil gestellt worden ist. So etwas mag unsern Philanthropism schmeicheln. Aber königlich, im Sinne des Dichters, ist es durchaus nicht.-

(Der Beschluß folgt.)

Editorial

Summary

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “Das Leben ein Traum” von Gries (Teil 2 von 3), der erste Teil erschien in der vorigen Ausgabe, der letzte folgt in der nächsten

Creation

Responsibilities

Übertragung
Albrecht, Christoph; Fukerider, Andreas

Tradition

  • Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 2, Nr. 282 (26. November 1818), f 2v

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