Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: 5. Juli 1818 (Teil 2 von 2)
(Beschluß der Darstellung von 5ten Juli.)
Hierauf gleichfalls zum Erstenmale: Der Sänger und der Schneider, komisches Singspiel in einem Akt. Musik vom Freih. v. Drieberg.
Mit Recht nennt man die Rolle des sanglustigen Schneidermeisters Stracks in dieser musikalischen Posse den Triumph von Hrn. Wurms komischen Leistungen. Wir begreifen, daß bei einem erregbarern, für’s Possenspiel noch empfänglichern Publikum, als das unsrige ist, diese Vorstellung drei und mehreremal nacheinander verlangt werden konnte. Die Britten haben bekanntlich in ihrem kleinen Circus-Theater die alte Form des Schneiders von Bentford, der eine eigne Wuth auf s Reiten hat und, unter unendlichen Bocksprüngen, immer wieder abgesattelt wird. Wir besitzen durch Herrn Wurms Schöpfung – denn dieser Schneider ist ganz sein Werk – ein würdiges Gegenstück zu jenem Fingerhuts-Ritter (Squire of the thimble) in diesen Melomanen von der Schneiderherberge. Von dem Eindrucke, den dies Spiel machte, und von den Mitteln, wodurch er hervorgebracht wurde, zu erzählen, ware‡ der lächerlichste Pleonasmus. Alle Beschreibung lahmt nur auf der Krücke des Buchstabens. Alles, vom Wirbel bis zur Fußzehe, schneidert in diesem Meister Stracks, und ein wahrer Mikrokosmus von Posse und Spott liegt im Contrast, welcher von Hrn. Wurm in den bis zur sichtbaren Auflösung hinschmelzenden Entzückungs-Paroxismen des überseligen Schneiders beim Anhören der bezaubernden Tonweise, die von unserm Bergmann und dem ihn unterstützenden Sängerduet recht brav vorgetragen wurden, und in den, während des Entzückens unaufhaltsam hervorbrechenden, habituellen Schneidergeberdungen, in wahrhaft meisterhafter Steigerung uns vorgemalt wurden. Die höchste Spitze erreicht sein Spiel da, wo die Ekstase über den Doppelgesang ihn die Füße krampfhaft in die Höhe zieht, so daß er nun auf seinem Lehrstuhl völlig die Stellung des mit untergeschlagenen Füßen Nähenden bekömmt. Jede Zuckung des Ellbogens, jede Fingerbiegung näht, biegelt, schneidert. Wie giebt er den Kleiderballen zugleich mit der gehobenen Hüfte auf den Tisch, wie geht sein Lachen überall in Meckern über. Denn auf das Wie kommt es hier an. Die bloße plumpe Nachahmung macht es nicht. ¦ Man hat Vorstellungen auf geschnittenen Steinen und andern Antiken, wie Orpheus Löwen, Katzen, Ziegenböcke um sich versammelt, und diese, in süßes Staunen verloren, ihre Köpfe auf die Sänger richten. Künftig wird man, um die Wirkung der Musik auf die thierische Natur zu schildern, nur die letzte Scene aus dem Schneider und Sänger, wo ersterer durch das famöse Drei Schneider-Lied erweicht und besänftigt wird, sich vergegenwärtigen dürfen.
Böttiger.Editorial
Summary
Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: 4. bis 5. Juli 1818 (Teil 1 von 2), diesmal über “Der Sänger und der Schneider” von Drieberg. Der erste Teil erschien in der vorigen Ausgabe.
Creation
–
Responsibilities
- Übertragung
- Albrecht, Christoph; Fukerider, Andreas
Tradition
-
Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 2, Nr. 170 (18. Juli 1818), f 2v