Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: 4. bis 5. Juli 1818 (Teil 1 von 2)
Am 4. Juli. Im K. Theater in der Stadt: Il Barbiere di Siviglia.
Am 5. Juli. Im K. Theater in der Stadt. Zum erstenmal: Der Doppelpapa, Posse in drei Aufzügen, von Gust. Hageman. Benefiz für Hrn. Wurm.
Der oft belobte Doppelpapa hat auch bei uns Glück gemacht. Nicht bloß Herr Wurm in der Rolle des wandelbaren Kraft, alle Schauspieler, die hier betheilt waren, trugen dazu bei, daß die Vorstellung gelang und so rund und ergötzlich, als möglich, vor uns stand. Es war ein guter Einfall, diesen Crispin, den unser alter Comödiendichter Romanus zuerst aus Frankreich zu uns verpflanzte, so zu verjüngen. Es wurde mit Lust gespielt und die Gegenwart eines geschätzten Gastes hatte Mitschauspieler und Publikum aufgeregt. Die beiden Papa’s wurden durch die Herren Werdy und Zwick brav characterisirt. Ersterer entwickelte durch seinen hastigen Hitzkopf, der zwischen Polterer und Schreihals mitten inne steht, ein uns noch unbekanntes Talent für komische Alte; Letzterer gab den Schleicher mit seinen Deminutiven ganz unverbesserlich. Auch Herr Heine machte den Gimpel voll Selbstgefälligkeit, den Samuel, so, daß seine Anlagen zu dergleichen Eulenspiegel-Rollen gar nicht zu verkennen waren. Möge er guten Vorbildern folgen und sein Eifer sich darnach zn‡ bilden, nie erkalten! Auch in der Posse darf der Darstellende, der sich und die Zuhörer ehrt, nie Possenreißer werden. Mad. Hartwig übertraf sich selbst als Kammermädchen in neckendem, hüpfenden, allbeweglichen Muthwillen. Es hieß ja heut überall, je ausgelassener, je besser! So unterstützt, gab uns Herr Wurm seinem Doppelpapa mit unbeschreiblicher Frechheit und Süßigkeit zugleich. Es sollte ein Possenspiel seyn. Wie wenig möchte es frommen, hier noch einen Gradmesser anlegen zu wollen! Nichts war hier aus der Fremde erbettelt und studiert. Alles floß, sprudelte aus eigenem Quell hervor. Gäbe es auch in der Bedienten-Sphäre bei uns das, was die Franzosen einen aimable roué nannten, so wäre es dieser ¦ Kraft, wie ihn Herr Wurm spielt. Er tritt als Jockei mit einer Liebeserklärung an Lisette ein und steigert seine liebenswürdige Impertinenz von Scene zu Scene. Naturgabe und Uebung zugleich machen es ihm möglich, die zwei Alten mit ganz verschiedenem Klang und Ton in der Stimme nachzuäffen. Zu den gelungensten und erquicklichsten Leistungen rechnen wir im zweiten Akte das Doppelspiel als Papa gegen den Vater von Paulinen, und als Bedienten gegen seinen Herrn und dann die doppelte Verbrüderungsscene im Studententon. Es leidet übrigens keinen Zweifel, daß in dieser Rolle die Farben bald stärker, bald schwächer aufgetragen werden können. Es kann des priffigen Bedienten Nachäffung nur Mystification und feinere Travestirung seyn. So könnte ein anderer Künstler in dieser Rolle die vom Publikum nur zu gern angestellte Vergleichung vermeiden. Sie kann aber auch in volle Caricatur übergehn. Das paßt eigentlich zur Posse. Kraft, als entlarvter und bußfertiger Ex-Doppelpapa entäußert sich seines Hauptschmucks, der Perücke, und legt sie den wirklichen zwei Vätern am Schlusse des Stücks zu Füßen. Wurm warf sie hin. Das ist der Maaßstab fürs Ganze. Wir können aber bei dieser Schlußscene die Frage nicht unterdrücken, warum Kraft da, wo alles vor den zwei Vätern kniet, nicht nach der Intention des Dichters in der Mitte, den Zuschauern ganz den Rücken zugewandt, kniet, sondern den äußersten linken Flügel einnimmt. Das Gesetz der Gruppirung sowohl – denn neben jedem Vater knieen schon zwei – als das Lächerliche fordert diese Position. Die übrigen dürfen nur etwas mehr zurücktreten. Der Verlust des Mienenspiels ist nach allem, was wir schon gesehen haben, leicht zu ertragen. Uebrigens ist das, was an Hrn. Wurms Darstellung am Behäglichsten wirkt, seine mit der ganzen Maske eines wohlgemästeten, gleisenden, rundbäuchigen Eß- und Trinkbruders, vollkommen in Einklang gebrachte Gourmandise und Trinklust. So etwas mag, das veränderte Costüm abgerechnet, der Parasit auf der Bühne der Alten sich ausgenommen haben.
(Der Beschluß folgt.)
Editorial
Summary
Aufführungsbesprechung: 4. bis 5. Juli 1818 (Teil 1 von 2), dabei besonders über “Der Doppelpapa” von Gust. Der zweite Teil folgt in der nächsten Ausgabe.
Creation
–
Responsibilities
- Übertragung
- Albrecht, Christoph; Fukerider, Andreas
Tradition
-
Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 2, Nr. 169 (17. Juli 1818), f 2v