Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 17. März 1817 (Teil 4 von 4)

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(Am 17. März. Beschluß.)

Manchem kam es vor, als esse er zu hastig, da wo das physische Bedürfniß nach 36stündigem Fasten zuerst befriedigt werden muß. Aber es ward von Wohlbrück sehr richtig aufgefaßt. L’appétit vient en mangeant. Anfangs gings langsamer. Nur im Genuß selbst übermannt die Gier des Heishungers. – Der vorbereitende, Händefaltende Gestus bei der Aussage des Berichts des Naturforschers: die wäre todt! gelang unverbesserlich.

Zwei heute nicht ganz befriedigte Erinnerungen blieben denen, welche Devrient’s Spiel noch im Gedächtniß hatten. Der arme Poet schmachtet in einer deutschen Seestadt. Dort spricht man mit den Niedrigen im Volk platt. Dieß gab Devrient’s Spiel gleich anfangs einen eigenen Reiz, als er mit tröstender Gemüthlichkeit dem drausen weinenden Knaben die Worte: armer Knabe, komm nimm dein Tuch zurück, im niedersächsischen Dialekt zuspricht. – Eine unbeschreibliche Wirkung machte bei Devrient das wunderbar vorbereitende Spiel bei der Todtenspende des zweiten Glases: Dem Ruhenden unter dem GraseSei freundlich ein Becher gebracht indem er mit schmerzgebeugter Senkung des Hauptes, nach einem andächtigen Aufblick, um einen halben Schritt vorwärts wankend, dann gleichsam mit dem Fuß das Gras wegstreichend, das Glas in den gefalteten zwei Händen vorwärts haltend, mit rührender Einfachheit eine wahrhaft tragische Wirkung hervorbrachte und eben dadurch den Ruf der ihn zärtlich belauschenden Tochter, er ist’s! vollkommen rechtfertigt.

¦ Die Rolle, die der Dichter dieser fast abentheuerlich herbeigeführten Tochter zugetheilt hat, ist zwar nur als ein kleiner Reflectionsspiegel zu betrachten und an sich sehr unbedeutend. Sie muß aber doch von einer sehr fein fühlenden Künstlerin mit schonender Innigkeit gespielt werden. Denn nur dann tritt sie als rettender Engel in die Mitte; nur dann gestaltet sich die, welche ein Gedicht auf die Hoffnung bestellt, selbst zu jener Himmelstochter; nur dann wird das seelenvolle Entzücken und Verweilen auf ihrer Gestalt mit dem Ausruf: ja ich habe eine Tochter, ganz verstanden. Herr Wohlbrück wurde durch Mad. Schirmer, die uns diese Therese gab, trefflich unterstützt. Sie muß anfangs sehr behutsam und bloß aufmerkend erscheinen. Größere Lebhaftigkeit wäre Grausamkeit gegen den alten Vater. So nahm es auch die Künstlerin. Daher anfangs die wohlberechnete Gemessenheit ihres stummen Spiels. Doch bald wird sie inniger. Ihrer Theilnahme entquillt das mit sänftigendem Wohllaut gesprochene: Hoffnung läßt nicht sinken! Wie trocknet sie, hülfreich über ihn hingebeugt, seine Thränen! Wie begeistert spricht sie zum zweitenmal am Schluß des Stücks das alte: Hoffnung läßt nicht sinken! So muß zugespielt werden!

Herr Wohlbrück ward nach Beendigung dieses Stücks mit lautem Jubel herausgerufen. Das Zweideutige dieser so oft gemißbrauchten und durch kleinliche Nebenabsichten entadelten Anerkennung fiel hier ganz weg. Es war die reinste Huldigung einem tüchtigen Künstler dargebracht. Bei seinem Dank blieb er gewissermaßen noch immer in seiner Rolle von Lorenz Kindlein durch anspruchlose Bescheidenheit. Jedermann hörte es gern, daß er Sachsen als sein neues Vaterland begrüßte.

Böttiger.

Editorial

Summary

Aufführungsbericht Beschluß: “Der arme Poet” von August von Kotzebue am 17. März 1817

Creation

Responsibilities

Übertragung
Albrecht, Veit

Tradition

  • Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 76 (29. März 1817), f 2v

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