Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 17. März 1817 (Teil 2 von 4)

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(Am 17. März. Fortsetzung.)

Die Erzählung, wie er sich vorgenommen hatte, einem ohne seine Schuld verarmten Handelsmann an einem schönen Morgen sein Geldfäßchen zu bringen, sprach er mit einer steigenden Gemüthlichkeit und anschmiegender Treuherzigkeit, der Sache, wie dem Manne, zugleich immer näher rückend. Wer Acht hatte, konnte, durch das so vorbereitete Spiel sicher geleitet, gleichsam voraus sagen: nun wird er ihn auf die Schultern klopfen. Und er klopfte wirklich! Freilich warf er nun auch seine Mütze weit kräftiger in die Höhe, als Iffland in seiner auch hier noch genau berechnenden Abgemessenheit. Im crescendo des Zerknetens und Umdrehens dieser Mütze war Schröder unübertrefflich, ob es gleich Wohlbrück daran auch nicht fehlen ließ. Den Monolog, als Anrede an das Geldfäßchen, nahm Iffland immer humoristisch und mit einem komischen Pathos davor hintretend, ging aber dann in eine Mischung von höhern Ernst, ja bis zum Ausdruck von Indignation über. Schröder machte das Fäßchen, indem er sich verächtlich darauf setzte, gar zu seinem Leibstuhl und sagte, einigemale mit verstärkten Schlägen daran klopfend, die Worte mit tiefem Ernst und strafendem Unmuth; Wohlbrück trug sie mit schneller Geläufigkeit und soviel Eilfertigkeit vor, als nöthig war, zu zeigen, er habe nichts dringender, als diesen Bettel so schnell als möglich los zu werden. Dieß hätte allerdings noch mehr ausgemalt werden können. Allein steigendes Forteilen war der Hauptzug in seinem Spiel und so durfte er hier nicht allzu künstlerisch verweilen. Iffland belauschte lauernd die Bewegungen im Gemüth und Gesicht der geliebten künftigen Schwiegertochter, und rief darauf, sich etwas vorwärts bückend, als hätte er es dem Mädchen unter den Strohhut abgestolen: sie ist roth geworden, ihr Herz hat gesprochen! mit weit mehr Feinheit und Vornehmheit, als wohl ein Essighändler, der auch Karrenschieber ist, je haben konnte. Herrn Wohlbrück war das allen nur Ausdruck ungeschminkter, natürlicher Freude. Dagegen zählte letzterer die Summe des Geldbestandes im Fäßchen mit großer Emphase dem alten Delomer vor. Wenn Iffland dagegen diese Summe von 3778 Stück Luisdor und 6 Säcken Münze, mit 1200 Livers jeden, fast ohne alle Betonung so schnell als nur möglich von der Zunge ablaufen ließ, so war dieß freilich weniger in der gemeinen Natur (Schröder gab daher auch diesem ¦ vorrechnenden Exempel allen möglichen Nachdruck), begründete dieß aber auf einen Reflexion, die dem Scharfsinn und Zartgefühl des Künstlers gleich viel Ehre machte. Denn, so sagte als er auf Befragen sich selbst darüber erklärte, die jährliche im Stillen von ihm täglich zusammenaddirte Summe mußte ihn selbst höchst geläufig seyn. Jetzt wird sie zum erstenmal vor einem andern Menschen ausgesprochen. So spricht er also auch nur dieß als eine tausendmal im Stillen schon gesprochene Formel mit beschleunigender Geläufigkeit aus. Zugleich gab er da einen Beweis, wie viel ein verständig regelrechtes Pausiren wirken könne. Beim Anfang der Aufzählung stockte und stotterte er: Hier in diesem Fasse sind – nun nannte er die Summe in fliegender Eile. Nichts konnte sein Streben, den Plunder los zu werden und die entscheidende Summe aufs geschwindeste aufzuzählen, nachdrücklicher andeuten, als dieß vorstoßende Stottern oder Pausiren. Wo zuviel auf einmal heraus will, verstopft sich der Ausgang. Das ist Natur!

In solchem Individualisiren des Gemeinschaftlichen in einer solchen Rolle war und bleibt Iffland ein unübertroffener Meister. Schröder nannte es Pünktchen der Mignaturmalerei. Es führte freilich einen viel breiteren und kräftigeren Pinsel. Herr Wohlbrück zeigt durch die Darstellung dieser Rolle unstreitig, daß er frei von aller felavischen Nachahmungssucht sich seine Darstellungen selbst gestalte. Ueberall treuherzige, biedre Gutmüthigkeit mit Nerv und Kraft gepaart, Lebendigkeit ohne allzujugendliche Munterkeit und was wir für das Ganze eigentlich charakteristisch halten möchten, ein kräftiges, kein Hinderniß achtendes, Hülfe sogleich versprechendes Selbstgefühl, welches unaufhaltsam zur Hauptsache eilt und die Freuden der Entwickelung kaum erwarten kann. Daher die wachsende, gegen das Ende immer mehr sich beflügelnde Schnelligkeit des Vortrags, Lebendigkeit in Geberdungen, Ausgelassenheit der Freude. Er hielt mit weiser Berechnung Haus mit seinen Kunstmitteln. Darum, wo’s gilt, volle Zahlung. Darum Verstand und Einsicht im Helldunkel. Möchte dieß auch unter uns volle Beherzigung finden! Wie oft möchte man wackern und verdienstvollen Schauspielern, die es ganz in ihrer Gewalt hätten, die Lieblinge des Publikums zu seyn, das alte Wort der Frau von Beaumont aus dem französischen Kinderfreund zururfen: mes enfans, épargenz, épargnez vos charbons!

B.

Editorial

Summary

Aufführungsbericht Dresden: “Der Essighändler” nach Mercier am 17. März 1817 mit G. Wohlrück a. G. (Beschluß)

Creation

vor 27. März 1817

Tradition

  • Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 74 (27. März 1817), f 2v

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