Aufführungsbesprechung Karlsruhe, Großherzogliches Hoftheater: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber, 1822 (Teil 5 von 6)
Auch eine Stimme über die Aufführung des Freischützen auf dem Großherz. Hoftheater zu Karlsruhe.
Fortsetzung.
Die Gewalt dieser unterirdischen Mächte zerfällt in ihre schale Nichtigkeit, statt daß sie in aller ihrer Furchtbarkeit, wie das Fatum unbezwinglich, uns erscheinen sollte.
Der öftere Spuck‡ mit dem Bilde, das nicht mehr nagelfest sitzen bleiben will, ist nicht vorbedeutend genug, und verfehlt leicht in der Darstellung den Effekt.
Bei dem Probeschusse bleibt uns manches nicht recht klar. Der Teufel hatte zwar gesagt, daß die siebente Kugel äffen würde. Der Schuß konnte also leicht wo anders hintreffen, als er eigentlich sollte. Doch mußte das Getroffene immer in der Nähe des Ziels liegen. Nur mit Zwang läßt es sich annehmen, daß Max, indem er etwas Weißschimmerndes, was seine Agathe war, zwischen den Bäumen sah, dieses auch zugleich für die Taube gehalten habe. Die Taube, die er treffen wollte, fliegt nach einem andern Baum, auf den Kaspar geklettert war. Warum muß nun dieser zuvor eilig herabklettern, wenn doch der Schuß auf die Taube fehlen, und ihn treffen soll? Man muß ihn für todt halten, und man weiß fast nicht, warum. Daß plötzlich mit dem Schusse Agathe fällt, ist völlig unerklärlich, sie steht außer dem Schußraume: doch das soll hier die wunderbare Wirkung der Freikugeln merklich machen. Der Eremit kömmt schleunig aus dem Haufen Volkes hervor, faßt sie in die Arme auf, und verschwindet eben so schnell wieder. Man weiß nicht, warum er kömmt und warum er geht. Wenn Kaspar in seinem bösen Sinne wollte, daß das Mädchen, das ihn verschmäht hatte, getroffen werden sollte, so ging er allzu leichtfertig mit seinen eignen Kugeln um. Daß er aus Eifersucht den Tod des Mädchens begehrt, steht ihm dem Gefühllosen nicht an. Der Charakter dieses Menschen ist teuflischer als der Charakter des Teufels selbst und gehört nicht aufs Theater und nicht in die Hölle. Er läßt sich kaum zu den Elementen verweisen!
Wir gestehen also am Ende dieser Betrachtungen, wäre die Dichtung nicht sonst durch das Rasche der Handlungen und das Unerwartete der äußeren Erscheinungen dramatisch geworden, und fühlte der Zuschauer sich nicht gedrängt, immer mit den gewaltigen Erscheinungen fortzugehen, so würden wir jene Charakterlosigkeit und Unbestimmtheit tiefer empfinden. ¦
Die Sprache des gewöhnlichen Textes ist concis, in sich abgeschlossen. Es steht kein Wort zuviel, eher zu wenig; also nicht ganz der romantischen Behandlung zusagend, welche lieber die freiere Gränze sucht, und sich hierin von klassischem Stil entfernt. Die Lieder aber haben den wahrhaft romantischen Ausdruck, wie z. B. das Brautjungfernlied ein Meisterstück in dieser Art genannt werden mag. Das komische Lied Annchens, worin der Geisterfurcht ihrer Gebieterin begegnet wird, hat an gegenwärtiger Stelle, wo wir so gut wie Agathe von Ahndungen und Anzeichen als von unbestreitbarem Einwirken fremder Geistermächte ergriffen worden sind, etwas zu Kaltverständiges, Unnützes, und kömmt in jeder Rücksicht schon zu spät. Es stört das erregte namenlose Gefühl in uns, und wir sollen aus einer unendlichen Welt zu einer nahen Deutlichkeit heruntergezogen werden, die wir nicht mehr anerkennen können.
Die wirkliche Darstellung mußte fast durchaus befriedigen. Herr Brock als reicher Bauer Kilian, in grotesker Ausstaffirung, mit dem großen Bouquet an der Brust und dem langen Ordensbande mit abgeschossenen Sternen, macht seine kleine Rolle vortrefflich, und der ganze Platz ist mit den heitersten Gestalten erfüllt. Nur paßt Herr Ed. Mayer nicht ganz für die Rolle des Max, und besonders auch als Sänger nicht. Mad. Gervais als Agathe zeigte ihre Bravour im Singen. Nur möchte zu bemerken seyn, daß sie das Lied:
„Leise, leise, fromme Weise u. s. w.“im Tempo etwas zu lange hielt. Es soll nur die Vorbereitung zum nachfolgenden Gebete seyn, wo sie die himmlischen Mächte gegen die unterirdischen zu ihrer beider Hülfe aufruft.
"Vor GefahrenUns zu wahrenSende deiner Engel Schaaren!"Man erinnere sich hierbei, was oben über die Einführung der Engel gesagt worden ist.
Annchen konnte nicht besser als durch Madame Sehring gegeben werden. Sie zeigte den naiven muntern Charakter Annchens in seiner ganzen Gefälligkeit.
Die Brautführerinnen: Zöglinge des Großherzogl. Hoftheater-Instituts, zeichneten sich besonders durch ihren Gesang und ihren gefälligen Anstand aus.
Warum diese lieblichen Erscheinungen uns so wenig vorkommen?
Auch diese Brautjungfern könnten recht gut Engel im Stücke seyn.
(Beschluß folgt.)
Apparat
Zusammenfassung
Aufführungsbesprechung Karlsruhe, Großherzogliches Hoftheater: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber (Teil 5 von 6). Die vier vorigen Teile erschienen in den Beilagen 11, 12, 13 und 16, der letzte Teil folgt in Beilage 23.
Entstehung
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Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Fukerider, Andreas
Überlieferung
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Textzeuge: Charis. Rheinische Morgenzeitung für gebildete Leser, Jg. 2, Nr. 21 (2. Oktober 1822)