Briefe aus Prag und Wien (Teil 3 von 3)
Briefe aus
Prag und
Wien.
(Fortsetzung.)
III.
(Beschluß.)
Prag, 18. Oktober 1816.
Ein großer Liebling des hiesigen Publikums scheint Hr. Löwe, – der Bruder der ausgezeichneten Künstlerinn gleiches‡ Namens in Wien – zu seyn: Ich sah von ihm den Karl Ruf in der Schachmaschine sehr brav, und besonders in einigen Scenen mit einer Wahrheit und Natürlichkeit, wie diese Rolle selten aufgegriffen wird, – auch wurde er nicht nur vorgerufen, sondern schon bey seinem ersten Erscheinen mit dem lautesten Beyfall empfangen. – Bald hätte ich einen der vorzüglichsten hiesigen Schauspieler vergessen, der in Chevaliers und muntern Rollen von wenigen deutschen Künstlern übertroffen werden dürfte. Ganz vortrefflich stellt er die verschiedenartigsten Rollen dar, z. B. den Hofmarschall Kalb, und Sallbach im Gut Sternberg, den König in der Jungfrau, und Franz Melcherson im Rothmantel u. s. w.; doch dringt sich dem aufmerksamen Beobachter der Wunsch auf, daß dieser ausgezeichnete Künstler in manchem Momente die Farben etwas zarter auftragen möge.
Während meines kurzen Aufenthaltes waren ein Paar Gäste da, mit denen es ging, wie gewöhnlich bey guten Bühnen, wenn namenlose Schauspieler sie heimsuchen. Eine Mad. –. gab die Johanna und Louise, und erregte den Wunsch in mir, Dem. Böhler darin zu sehen, (welche wahrscheinlich diese Rollen sonst spielt) und ein Hr. –. gab | den Hamlet, – beyde fanden keinen Beyfall. – Die Oper zählt weniger vorzügliche Mitglieder, aber dagegen eines, um welches wohl die meisten deutschen Bühnen Prag beneiden dürften. Mad. Grünbaum hat eine der schönsten und kräftigsten Stimmen, und solche durch ausgezeichnetes Kunststudium so sehr in ihrer Gewalt, daß man sie mit Recht unter die ersten Bravoursängerinnen zählen darf. – Eine nicht riesenhafte, aber äußerst klangvolle, Höhe verbindet sie mit einem reichen, glänzenden, geschmackvollen Vortrag, und lässt nichts zu wünschen übrig, als etwas weniger Koketterie in der Tiefe. – Du weißt, daß mir Mad. Catalani noch im frischen Gedächtnisse schwebt, – wenn ich dich nun auf das Gesagte hinweise, so magst du mir auch wohl glauben, daß ihr Mad. Grünbaum an Stärke und Reinheit des Tons und geschmackvollem Vortrag von allen deutschen Sängerinnen am nächsten kommt. Als Schauspielerinn ist sie ebenfalls brav, und dürfte vielleicht als Emmeline mit jeder um die Palme streiten. Noch vorzüglicher ist sie jedoch als Prinzessinn von Navarra, wo ihr ungemein kunstreicher Gesang alles zum stürmischen Beyfall hinriß, der selbst während des Gesanges kaum zu beschwichtigen war, und nach dem Schluß der Arie gewaltsam hervorbrach. – Sonderbar ist es, daß gleichwol die zweyte Sängerinn, Mad. Müller‡, bey dem Publikum fast eben so beliebt scheint, als jene, und manchmal noch größern Beyfall erhält. Auch sie ist von der Natur mit einer vollen und kräftigen Stimme ausgestattet, doch fehlt es ihr durchaus an musikalischer Ausbildung, und sie scheint sich noch nicht einmal bewusst entschieden zu haben, welchem Genre des Gesanges sie sich widmen soll, ob Strenge des schmucklosen Vortrages, der in Deutschland den Namen von seiner ersten Priesterinn Milder entlehnt hat, oder der prunkvollen italienischen Singmethode, – die erstere schien als Therese im Waisenhaus ihr Ziel zu seyn, und glückte ihr weit besser, als der durchaus fehlerhaft[e] und mißlungene Schmuck des Gesanges, womit sie die Rolle des Pagen, im Johann von Paris, überlud, und oft zu tief war. – Der Tenorist Hr. Steiger‡ hat eine sehr vorzügliche kräftige Stimme, welche das besondere Verdienst hat, in der Höhe, ohne Falsett, zu excelliren, doch ist seine Intonation nicht immer ganz sicher, und sein Spiel etwas steif. Ist er im Stande, diese Fehler nur einigermaßen zu bekämpfen, so kann er, noch jung, und da man es bey einem Tenor, welcher so schön, wie dieser klingt, überhaupt im Spiel nicht so genau nimmt, gewiß ein sehr wünschenswerthes Mitglied für jede deutsche Oper werden. – Der Bassist, Hr. Gned, hat eine äußerst angenehme biegsame Stimme, und verbindet einen durchdachten Vortrag, und reine Intonation mit großen mimischen Talenten; seine Darstellung des Richard Boll in der Schweizerfamilie, und Mephistopheles in Spohrs Faust hat mich ungemein erfreut, durch das bey Sängern ¦ so seltene und gediegene Ganze der Charakterbildung. Er fasst nicht, wie die meisten, den Charakter nur in dem Moment auf, wo er zu sprechen und zu singen hat, sondern bleibt von Anfang bis zu Ende, was er seyn soll. Vorzüglich ausdrucksvoll ist die durchdachte Mimik, durch welche er in der zweyten genannten Oper dem Teufel eine Bedeutsamkeit ertheilt, an die Dichter und Tonsetzer wahrscheinlich nicht gedacht haben. – Von zwey andern Bassisten distonirt der eine entsetzlich, der andere hat zwar eine starke Stimme, aber roh, und von geringem Umfange, und gar keine Darstellungsgabe. Beyde letztere sprechen, ein auch dem Tenoristen anklebendes, ärgerliches Deutsch. – Die übrigen Personen der Oper sind durchaus nur zur Ausfüllung leerer Plätze. – Das Orchester schien mir seinem bey uns verbreiteten Ruhm nicht zu entsprechen, und ich ward mehrerer Uebelstände gewahr – vor allem, eines immer vergriffenen Tempos in der Oper, und unreiner Intonation der Blasinstrumente – die mir auch außerhalb des tonreichen Böhmens in jeder größern Stadt, sehr überraschend tadelnswerth vorkommen würden; aber ich ward belehrt, daß durch den Abgang des Opern-Direktors, Carl Maria von Weber, dessen Stelle erledigt, und dessen Nachfolger noch nicht angekommen sey; nun muß mittlerweile der Orchester-Direktor das Ganze führen, wodurch, alle Inkonvenienzen abgerechnet, die erste Violine großen Theils verloren geht.
Was das hiesige Publikum betrifft, so muß ich dir gestehen, daß ich es ganz anders erwartet habe, als ich es fand. Man hatte mir so oft von der Billigkeit und Bescheidenheit des Prager Parterres erzählt, und gleichwol muß ich dir offen gestehen, ich habe nie ein der Kunst minder günstiges Publikum gesehen, als das hiesige. Der erste Uebelstand ist der, daß die meisten Personen, welche Sperrspitze‡ haben, erst nach 7 Uhr ins Theater kommen, und da überdieß die Leute, welche die Kommenden einführen, und ihnen die Plätze anweisen, weder geschickt, noch artig, noch flink sind, so gehen die ersten Scenen des Stücks gewöhnlich in großer Unruhe und Getöse hin, und man muß es dem Dichter noch ordentlich Dank wissen, wenn er in der Exposition einen rechten Anlauf nimmt: denn wo uns der Verfasser rasch in die Handlung hinein führt, ist der Faden gewiß verloren,‡ Ist es etwas voll, so wird es auch später kaum ruhig, und der Zuschauer bald von einem helllauten, freundschaftlichen Gespräch, bald von einem Wortwechsel seiner Nachbarn gestört. Applaudiren hundert einem abgehenden Schauspieler, so sind gewöhnlich zehn oder zwanzig, die andrer Meinung zu seyn belieben, und zischen; ja selbst die Lieblinge des Publikums sind vor solchen Mißhandlungen nicht sicher, und ich wunderte mich einige Male, daß diese nicht die schuldige Achtung gegen das Publikum vergessen, welches jede Delikatesse gegen den Schauspieler so ganz außer Acht ließ. Da|zu kommt noch, daß einige der Nebenschauspieler förmlich in die Acht erklärt sind, die bey jedesmaligen Auftritt mit lautem Zischen und Lachen empfangen werden, ohne daß man in‡ Geringsten auf die Mitspielenden Rücksicht nimmt, die oft in die peinigendste Verlegenheit kommen. – Nächstens mehr, wahrscheinlich, nicht mehr aus Prag
(Der Beschluß* folgt.)
Apparat
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Schaffer, Sebastian
Überlieferung
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Textzeuge: Morgenblatt für gebildete Stände, Jg. 10, Nr. 306 (21. Dezember 1816), S. 1222–1224
Textkonstitution
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„Müller“sic!
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„Steiger“sic!
Einzelstellenerläuterung
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„gleiches“recte „gleichen“.
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„Sperrspitze“recte „Sperrsitze“.
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„,“recte „.“
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„in“recte „im“.
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„… (Der Beschluß“Im abschließenden Teil (in Nr. 311 vom 27. Dezember, S. 1242–1244) berichtet der Korrespondent bereits aus Wien.