Aufführungsbesprechung Prag, Ständetheater, Juni/Juli 1816 (Gastspiel Costenoble und Hellwig)
Correspondenz-Nachrichten.
(Prag am 12. July 1816.)
Herr Costenoble vom Hamburger-Theater eröffnete seine Gastrollen mit dem Kammerrath Fegesak im Geitzigen. Schon diese seine erste Darstellung entsprach dem ehrenvollen Rufe, der diesem ausgezeichneten Künstler vorangieng. Mit einem höchst vortheilhaften Exterieure, vereinigt Herr Costenoble das tiefste Studium. – Ton, Gesang, und Gebärde stehen im künstlichen Naturverein, und seine heutige bis auf die kleinste Nüanze erschöpfte Darstellung, war das Gepräge des veredelten Künstlers. Diejenigen, welche den verewigten Iffland in dieser Rolle gesehen hatten, wollten behaupten, Hr. Costenoble hätte ersteren durchgängig zum Vorbilde genommen, und meinten, ein mittelmäßiges Original sey schätzbarer als die gelungenste Copie. Das mag wohl im Allgemeinen der Fall seyn, wenn aber diese Kopie zur selbst eigenen Natur wird, wenn es kein ängstliches Nachahmen ist, das mit unserer eigenen Individualität im widrigen Kontraste steht, sondern sich gänzlich – so wie hier bei Herr Costenoble mit unserm eigenthümlichen Wesen wohlgefällig vereint; so glaubt Referent, daß diese auf uns selbst übertragene Natur nicht mehr den Nahmen Copie verdient, sondern sie läßt uns nur ein – in ihrem Ideengange – übereinstimmendes Künstlerpaar erblicken, das mit derselben Ansicht, mit dem ver¦schwisterten Gefühl, ein und derselben Urquelle die Begriffe über das plastisch Schöne und Richtige der Mimik schöpfend, in den vorzüglichsten Momenten, in ihrem Gebärden-Spiele sich gleichet. Herr Costenoble wurde während den Zwischenakten 2 mahl gerufen. Seine zweyte Rolle war der Commissär Wallmann in Ifflands Aussteuer, und er wurde am Ende hervorgerufen. Herr Costenoble hatte diesen Charakter gleich im Anfange als einen geschwätzigen Polterer aufgefaßt, und wie sich’s von einem Künstler seiner Art erwarten läßt, ebenmäßig bis ans Ende so durchgeführt. Ohne ihm zu nahe treten zu wollen, dürfen wir behaupten, daß Herr Liebich in dieser Rolle tiefer in den Geist des Dichters dringt, indem er uns diesen Commissär mehr von seiner gemüthlichen Seite erblicken läßt. Eine, zur Natur gewordene rasche geläufige Sprache, der Feuereifer, der diesen Mann vom alten Schrott und Korn, gegen alles Unrecht so mächtig empört, und „fiat justicia et pereat mundus[“] ihm zum Wahlspruch macht; sind nur die Schattenseiten im Gemälde, hinter welchen das herzliche Bestreben – für das Wohl seines Anverwandten rastlos, ja selbst sich aufdringend, zu wirken, als Lichtstelle hell hervor leuchtet; und gerade diese herzliche[n] Momente sind es, die Herr Liebich uns so meisterhaft zeichnet. In Kotzebues Kleinstädtern gab Hr. Costenoble den Sperling zur dritten Gastrolle. Diesen Charakter, den wir sonst in einer gemeinen Natur sehen, gab Hr. Costenoble | ohne mindester‡ Uebertreibung ganz im Gebiete des höheren Jocus. So, möchten wir sagen, so, und nicht anders hat sich Hr. v. Kotzebue seinen Sperling gedacht. Ein aufgeblasenes Männchen, das sich als Krähwinkels Apoll über seine Umgebungen erhoben fühlt, dessen exaltiriter‡ Geist eine ausgezeichnete Form unter diesen ihm untergeordneten Menschen annehmen zu müssen glaubt, und dessen poetischen‡ Begeisterung kein weibliches Herz verschlossen bleiben kann, sind die Grundzüge dieses Charakters, die Hr. Costenobel mit Wahrheit und Natur darstellte.
Als Magister Schnudrian in Kotzebues Sorgen ohne Noth sahen wir Hr. Costenoble in seiner vierten Gastrolle. Hr. Liebich, der den Pelz auf Pelzendorf mit einer beynahe unachahmlichen‡ Humoristik giebt, ward heute durch Herrn Costenoble treffliches Spiel auf das kräftigste unterstützt, und die Vorstellung erregte allgemeines Vergnügen.
In der Schachmaschine, worinn auch Herr Hellwig, Regisseur des Dresdner Hoftheaters, als Carl Wild auftrat, (von dem wir in der Folge sprechen werden) gab Hr. Costenoble den Graf Hirschfeld ausgezeichnet schön, und wurde vorgerufen. Seine 6te Gastrolle, der Jude Schewa – im „Juden“ Schauspiel von Brokmann, war der Triumph seiner Kunst. Meisterhaft hat Hr. Costenoble den höchsten Effekt auf seine letzte Gastrolle berechnet, und die gedrängte Menge, die an diesem schwülen Sommerabend jeder erquickenden Luft entbehren mußte, blieb wie bezaubert ruhig und gespannt bis zu Ende der Vorstellung, wo ein allgemeiner rauschender Ruf das Erscheinen des würdigen Künstlers veranlaßte, der im Geiste Schewas dankend sprach: Wäre es nicht zu anmassend, so möchte ich sagen: ich mache mein Testament in Ihrem Herzen, und übergebe mein Andenken den lieben Bewohnern Prags.“
Das volle Haus, das Herrn Costenoble in seiner Benefizvorstellung hatte, wo er den Geitzigen wiederholte, und mit dem Kindlein in Kotzebues armen Poeten schloß, mag ihm ein kleiner Beweis seyn, wie sehr wir das durch ihn genossene Vergnügen zu würdigen strebten. Seegen und Gedeihen seiner fernern Kunstreise!
Mad. Costenoble gab im Fremden von Iffland die Mutter Fresen; die Jacobe in der Aus¦steuer. – Die Untersteuereinnehmerinn in den Kleinstädtern – Die Frau Linse in Sorgen ohne Noth; – Sie gefiel!
Herr Hellwig, Regisseur des Dresdner Hoftheaters, spielte den Carl Wild in der Schachmaschine als Gast. Dieses so lange schon nicht mehr gesehene Lustspiel ward mit Enthusiasmus aufgenommen, und alle Mitspielenden wetteiferten uns einen herrlichen Abend zu verschaffen. Hr. Hellwig, gab den Carl Wild ausgezeichnet brav. Leichter Conversations-Ton, eine liebliche Tournure – eine dem Ganzen sich gleichförmig anschließende Rundung belebten das Gemälde. Er wurde allgemein hervorgerufen.
Als Ferdinand in Kabale und Liebe, vermißten wir an unserm Gaste das dieser Rolle so eigenthümliche Jugendfeuer. Zu männlich war der Ton – zu gesetzt, zu militärisch seine Haltung. Er war nicht Ferdinand – der jugendliche Schwärmer – der im Feuer seiner exaltirten Reitzbarkeit beyde Pole zu fassen und zusammen drücken zu können glaubt. Ferdinand Walter hat der Dichter nur für jene Jahre geschrieben, wo wir – von derselben Jugendextase, von demselben exzentrischen Schwung belebt – mit diesem glühenden Jüngling von einem Extrem zum andern zu gaukeln, und uns noch unsere eigene Welt zu schaffen vermögen.
Den Wasserträger spielte Hr. Hellwig sehr schön und richtig, befriedigte aber als Sänger nicht.
Als Otto von Wittelsbach hingegen entsprach Hr. Hellwig ganz jener Erwartung, die wir uns von seinem kräftigen Organ, seiner männlich schönen Gestalt, und seinem rasch durchgreifenden Spiele machten.
Fest, bestimmt und ausdrucksvoll war seine Sprache – majestätisch Haltung und Gebärde, erschütternd in den Augenblicken des höheren Affektes; das vollendete Bild eines Helden unserer Vorzeit. Es war kein erborgter, erkünstelter Vulcan, sondern wahrer Ausbruch der verwandten Natur. Schon am Schlusse des 3. Aktes, der ihm meisterhaft gelang, wurde er allgemein hervorgerufen, und am Ende des Stückes erhielt er ebenfalls diese wohlverdiente Auszeichnung.
Bey Gelegenheit dieser Vorstellung möchten wir bemerken: daß Vernachläßigung der Comparsen in derley Spektakelstücken den widrigsten Eindruck ver|ursachen. Der Zuschauer wird aus seiner Spannung gewaltsam gerissen, und dahin ist der Effekt für die Folge. So war es auch heute. Der Kaiser dankt im 4. Akte allen Rittern und Edlen, die durch ihre Tapferkeit seinen Hof verherrlichten; Es sollen die Preise des Tournires unter die Kampfhelden vertheilt werden.
Heute war es doch zu handgreiflich, daß kein anderer als Otto die Preise erhalten mußte, da kein Rival ausser den beyden Rittern, die noch obendrein die Geschenke hielten, und mit dieser ihnen auferlegten Funktion ohnehin schon auf eine derley Auszeichnung stillschweigend Verzicht leisteten, zugegen war. Hätten sich denn nicht einige Statisten gefunden, die man zur Ehre der Wahrscheinlichkeit geharnischt hätte, dahin stellen können? Die beyden Ritter, die man zum Halten der Preise verwendete, brauchten wohl nicht geharnischt zu seyn; ein paar Hofleute oder Pagen wären hiezu zweckmäßiger gewesen.
Dasselbe Militär, das dem Herzog von Bayern zur Trauung begleitet, marschirt vor dem Kaiser auf!!! Wie leicht hätte diese Mannschaft durch kleine Gaderobe, Versetzstücke, als Leibbinden, Brustharnisch etc. in etwas unkenntlicher und minder auffallend gemacht werden können? Nicht selten räumt derselbe Bediente – der im Minister Zimmer mit bordirtem Kleide die Prunk Moeubls zu und abträgt – die ärmlichen Tische und Stühle im bürgerlichen Zimmer auf und ab! Gäbe es denn da keine Menschen, die man für den letzteren Bedarf in schlichten Röcken hinausschicken könnte? Das ist die Sache der Regie, die so eine widrige Störung der Illusion vermeiden kann und soll. Was für einen Begriff muß sich ein Fremder von unserer Bühne machen, die doch so gegründete Ursache hat, auf ihren Ruhm stolz zu seyn, wenn der Zufall gerade nur einer solchen Production beyzuwohnen gestattet? Es ist nicht hämische Tadelsucht, die uns dies Wort zu seiner Zeit sprechen heißt, es ist der Wunsch zur Vervollkommnung.
Nächstens erhalten Sie die Beendigung der Gastrollen des Herrn Hellwig. Herr Häser vom Stuttgarter Hoftheater wird nächstens als Herzog in Camilla auftreten.
Herr und Madame Grünbaum erwarten wir binnen einigen Tagen von ihrer Kunstreise zurück.
Apparat
Generalvermerk
Text in gekürzter Fassung auch in: Münchner Theater-Journal, Jg. 3, Nr. 9 (Sept. 1816), S. 425–428
Entstehung
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Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Charlene Jakob
Überlieferung
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Textzeuge: Wiener Theater-Zeitung, Jg. 9, Nr. 58 (20. Juli 1816), S. 229–231
Dazugehörige Textwiedergaben
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Münchner Theater-Journal, Jg. 3, Nr. 9 (September 1816), S. 425–428*
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