Aufführungsbesprechung München: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber im April 1822
Nachrichten.
München. Uebersicht der Monate März und April. Der Freyschütz, sehnlich erwartet von allen Freunden des Neuen und den Lesern der Tageblätter, erschien endlich auch auf unserer deutschen Bühne. Man glaube nicht, dass der Verfasser dieses Monatsberichtes mit seinem: "Endlich" in die Klagetöne, welche sich so häufig über dessen verzögertes Auftreten hören liessen, mit einstimmen wolle. Eine Bühne, welche, wie die hiesige, Schauspiele, Oper, Ballet und Pantomime, jedes in seinem ganzen Umfange vereint, kann nicht immer das Allerneueste anderer Bühnen sich aneignen. Das Vorliegende muss gefertigt, Proben müssen mit dem sinnreichsten Eingreifen in die immer zu beschränkten Tagesstunden geordnet, Dekorationen gemalt, Maschinen erdacht und von oft trägen Händen gefördert, Schnupfen und Erkältungen geschont werden. Und der Schütze, der in Berlin sein Daseyn erhielt, in Wien erstarkte, hätte er wohl früher auf seinen Wanderungen uns erreichen können? –
Dass bey einer deutschen Oper die Musik ausschliessende Sache, das Gedicht nur tief untergeordnet sey, ist eine Behauptung, welche wir auch diessmal vorzüglich bewährt finden. Weswegen wir auch sogleich zur Composition des Kunstwerkes übergehen; denn sie ist es wohl allein, welche den Freund des Wahren und Schönen anspricht.
Eine trefflich gearbeitete Ouverture, Spott- Braut- und Jägerchöre, mit Originalität entworfen; kunstreich verwebte Duo’s und Terzette, besonders aber die phantasie- und melodiereiche, mit poetischer Gerechtigkeit geschaffene Arie der Agathe, werden immer der allgemeinen Anerkennung des Kenners sich zu erfreuen haben. Ue¦berall sprühen Funken eines schöpferischen Genius, überall schallen Harmonieen, überraschend und tief erdacht, entgegen. Ein genialisches Tongemälde hat Hr. von Weber aufgestellt; aber ein klassisches Kunstgebilde, das auf Dauer und Nacheiferung Anspruch zu machen hätte, ist damit noch nicht gewonnen. Die Dichtkunst behauptet ihre Rechte, und auf sie hat der Verfasser des Opernpoems nicht geachtet. So viele ermüdende Längen in Prosa, ohne Interesse und Werth; Hundegebell und Pferdewiehern, der Satanas in seiner Höllenglorie – – ein Volksmährchen in Akte und Scenen gebracht, ohne dramatische Kunst, ohne poetische Haltung, all dieses ist wohl nicht geeignet, dem Werke ein bleibendes Verdienst zu verprechen. Denn die der Tonkunst eigene Kraft konnte eben desswegen nicht aus sich selbst sich entwickeln, nicht mit weisem Vorbedacht gesteigert und über das blosse Ergötzen gebracht, sie musste zersplittert und in vereinzelte, unter sich getrennt dargestellte Figuren zersetzt werden, welche weder in einander greifen, noch zu Einem schönen Ganzen sich vereinen. Die Scheibe einer Volksoper hat der Schütze wohl getroffen, das Ziel einer National- überhaupt einer ächten Oper aber gänzlich verrückt, oder doch viele Stadien weiter hinausgesetzt. Wie viele Nachahmungen wird er demungeachtet nicht in unserm so gerne nachahmenden Vaterlande hervorbringen: Flurschützen, Bogenschützen. Wildschützen u. s. w. Doch wird sie alle, und auch ihn, Tamino und Myrrha lang überleben.
Die hiesige Darstellung der Oper selbst ist in jeder Hinsicht über allen Tadel hinaus; denn wer sich bey der durchaus trefflichen Anordnung noch an eine nicht deutlich genug ausgedrückte Eule oder Fledermaus halten kann, muss nur bloss ein scharfes Auge mitgebracht haben. In | den Charakteren sollen die Spielenden hin und wieder manches vergriffen haben. Aber wer mag denn auch immer richtig auffassen, wo das Ganze in Zauberdämmerung gehüllt ist? – Alles, was Dekoration, Maschinerie und Beleuchtung zur vollsten Sinnentäuschung nur immer wirken können, wurde mit Aufwand, Einsicht und Geschmack geleistet. – Das Orchester war nun wieder einmal in luminöse Stellung gesetzt, worin es sich auch sehr gefiel. Die höchste Schwierigkeit war ihm nur leichtes Spiel. Doch ist wohl eigentlich selbiges der Zauberstab, wodurch der Componist seine Wunder wirkt. Der Menschenstimme vertraut er weniger. Man kann sie nicht wie das Instrument beherrschen.
Hr. von Weber soll nun wieder mit einer neuen dramatischen Tonarbeit beschäftiget seyn. Wer erwartet es nicht, wünscht aber nicht auch dabey, dass bey der Schöpfung des Gedichtes, Urania, nicht der Satanas den Vorsitz führen möge!
Der Freyschütz wurde zuerst gegeben den 15ten April, wiederholt den 16ten. Zwey weitere Vorstellungen fanden bis Ende des Monats Statt*. Eine fünfte ist für den 5ten May angekündet. Aus allen Viertheilen der Stadt drängt sich das Volk zum neuen königlichen Hoftheater, und Wallfahrer aus Augsburg und dem entlegenern Regensburg langen an, um an dem Guss der Wunderkugeln und an der Arie der Agathe Aug und Ohr zu ergötzen. –
[…]
Apparat
Zusammenfassung
Über die Erstaufführung des Freischütz in München; Rezensent kann sich mit dem Werk nicht wirklich zufrieden geben, lobt jedoch die gelungene Aufführung
Entstehung
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Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Mo, Ran
Überlieferung
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Textzeuge: Allgemeine Musikalische Zeitung, Jg. 24, Nr. 23 (5. Juni 1822), Sp. 369–371
Einzelstellenerläuterung
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„… bis Ende des Monats Statt“3. und 4. Vorstellung am 28. und 30. April 1822.