Amadeus Wendt: Ueber Weber’s Euryanthe. Ein Nachtrag, BAMZ, 1826, Teil 1/6
Ueber Weber’s Euryanthe.
Ein Nachtrag von A. Wendt.
Ein Interesse seltener Art, welches das hier genannte Werk Webers in mir erregte, und die Wahrnehmung, dass die Kritik bisher nur meistens vornehm über dasselbe hinweggegangen, als ob so etwas nur für den Augenblick gemacht sei und sich jeden Augenblick zu Stande bringen lasse, bestimmte mich, in einer genauern Betrachtung dieses Werkes mein Urtheil über dasselbe auszusprechen. Es geschahe diess zunächst in einem Aufsatze, welcher in dem zu Dresden erscheinenden literarischen Merkur von St. 71 bis 73, vorigen Jahres zu lesen ist. Während ich diesen Aufsatz niederschrieb, empfand ich das Bedürfniss, tiefer in das musikalische Detail einzugehen und manches Einzelne durch Notenbeispiele zu belegen, was aber nur in einer musikalischen Zeitung seinen Platz finden kann. Ich schreibe daher die gegenwärtige Abhandlung, die, obgleich für sich bestehend, zugleich als Ergänzung und weitere Ausführung jenes Aufsatzes angesehen werden kann.
Ich fange diese Betrachtung natürlich mit der Ouvertüre an. Der beabsichtigte Zusammenhang dieser Ouvertüre scheint mir folgender zu sein. Zuerst wird mit einem feurigen figurirten Sätzchen im vollen Takte eingeleitet und die Grundtonart dem Ohre angeeignet. Dann tritt, dadurch vorbereitet, die kräftige Melodie im Auftakt ein, welche in der Folge das Vertrauen des Ritters zu Gott und seiner Geliebten bezeichnet. Sie wird jedoch nicht zum völligen Schlusse gebracht; eine Reihe fortschreitender Modulationen wird daran geknüpft, welche zu einem bewegtern Satze führen, der das kräftige Anstreben kriegerischer Kraft zu bezeichnen scheint; – das Anstemmen auf den wiederholten Septimenakkorden, das Steigen in der Oberstimme, wie in den Orgelfiguren des Basses, und der Ue|bergang durch die gehäuften Fortschreitungen der Akkorde zur Wiederholung der ersten Figur in anderer Tonart deutet dahin. Auch der Schluss dieses Satzes macht nur einen Uebergang, indem er in dem Septimenakkorde schliesst, welcher die nach einer Generalpause folgende Tonart der Dominante vorbereitet. Diese Tonart wird nun zuerst pompös durch Paukenwirbel angekündigt. Die dem Violoncell gegebene Melodie giebt der Musik eine friedlichere Wendung und ruht endlich auf dem ebengenannten Septimenakkorde; darauf tritt nun die süsse kleine Melodie ein, durch welche in der Oper selbst die Wonne des Wiedersehens begleitet wird. Die Instrumente haben fliessendere, gebundnere Bewegung. Mancher Seufzer scheint sich einzudrängen; der Schluss wird aufgehalten durch Zwischenmodulationen, bis er endlich mit entschiedener Kraft eintritt. Die Freude scheint zu siegen; die Kraft nimmt einen hohen Aufschwung, indem der Satz nach B-dur geht und zu demselben zurückkehrt. Da regt sich auf einmal ein Geheimnissverkündendes Graun. Der Ton B, welcher sich mehrere Takte hindurch erst im Grundbasse, dann in punktirten Noten hören lässt, übernimmt die Vermittelung. Man glaubt den Pulsschlag eines bangen Herzens zu hören; schauerlich klingen die dazu angeschlagenen Dissonanzen; wie Grabesschauer weht uns dann die immer tiefer hinabsteigende Modulation an, die zuletzt auf dem Septimenakkorde von ges ruht. Durch Verwechselung löst sich dieser in H-moll auf, wo im Largo das Geheimniss der unstät irrenden Emma in leisen, unstät ziehenden Modulationen der gedämpften Violinen verkündigt wird. Aber den hier angedeuteten Zusammenhang findet man doch nur, wenn man den Gang der Oper schon kennt. – Ein neuer Satz in H-moll, der uns wieder in das bewegte Leben zurückruft, tritt darauf kräftig, mit bewegterm Tempo und Auftakt ein. Das Thema wird in den zwei ersten Takten von dem Kontraviolon angeschlagen, darauf etwas fugirt; die Akkordfolgen werden immer verwickelter. Ein neuer Kampf hat sich aus dem ¦ Gewebe der Leidenschaft entsponnen, in welchem männlich ringende Kraft (in den festen Schritten der sich gegeneinander bewegenden Stimmen) und angstvolles Beben (in dem zitternd abgestossenen Triolen) sich mit gesteigerter Wirkung verkündet, bis die Macht der heitern Wahrheit endlich siegend durchdringt und sich der Einleitungssatz (nach dem Uebergange durch F-moll) in dem schnell auflösenden C-dur zuerst nur halb, nach dem Uebergang durch B aber wieder in der Grundtonart vollständig hören lässt, woran sich denn der zweite Hauptsatz schliesst. Durch den Septimenakkord von B eingeleitet wiederholt sich nun auch die Melodie, welche die Wonne des Wiedersehens bezeichnet, im Grundton mit figurirter und reicherer Begleitung und steigt durch hinaufschreitende Modulation immer höher bis zum Schlusse. – So wollte der Tonsetzer den Gang der Fabel in der Ouvertüre schildern. –
Was die Aufführung anlangt, so nimmt Weber das erste Tempo dieser Ouvertüre und den Schluss des letztern ziemlich schnell; aber nur durch den kurzen und doch kräftigen Bogen, welchen hier das Corps der Geigen anwendet, ist es möglich, in dieser feurigen Bewegung alles so bestimmt und kräftig hervorzubringen. Ich habe selten mehr Präcision im Orchestervortrage wahrgenommen.
(Fortsetzung folgt.)
Apparat
Zusammenfassung
Aufführungsbesprechung Berlin, „Euryanthe“ von Carl Maria von Weber am 23. Dezember 1825: Teil 1/6
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Jakob, Charlene
Überlieferung
-
Textzeuge: Berliner allgemeine musikalische Zeitung, Jg. 3, Nr. 2 (11. Januar 1826), S. 11–12