Kunsturteile: „Isacco“, Oratorium von Francesco Morlacchi

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Kunsturtheile.

Isacco, figura del redentore.
Isaak, ein Vorbild des Erlösers
.

Oratorium von Metastasio, neu in Musik gesetzt vom Herrn Kapellmeister Ritter Franz Morlacchi.

Wenn das höchste und heiligste des Lebens angeregt wird, und die erhabenen Bilder und Erinnerungen der Religion die Seele durchdringen, – da darf wohl der reinste Aushauch menschlichen Gefühles, die erhebende Tonkunst nicht fehlen.

Sie, die mehr Tochter, als Nachahmerin der Natur, in ihrer feierlich geheimnißreichen Sprache, Andacht gebend und erzeugend, unmittelbar auf das Gemüth wirkt, und tiefer Rührung Herrscherin ist.

Wie weise umfassen die kirchlichen Gebräuche die menschliche Empfindung: das höchste Leid in schauerlich feiernder Stille, das wiedergegebene Heil, mit des Tones freiem Aufschwung zum Schöpfer.

Herrlich und erhebendΔ ist es, für diesen Zweck seine Kräfte versuchen zu dürfen, und befriedigend könnte dem Künstler das Bewußtsein, gewirkt zu haben, genügen; aber wohl ist es ihm doch auch nicht zu verargen, wenn er das, was er mit Liebe schuf, auch dem Sinne seiner Zuhörer näher bringen möchte.

Selten erscheinend, schnell vorüberwandelnd ist das Resultat langer Anstrengung; vergönnt mag es also seyn, es gleichsam im Vorüberfluge etwas aufzuhalten, zumal wenn man glaubt, in der Behandlung des Stoffes sich anderer Mittel als die Vorgänger bedient zu haben, deren Wirkung durch nähere Bezeichnung derselben, weniger zweifelhaft den Zuhörer überraschen soll.

Herr Kapellmeister Morlacchi hat Me[ta]stasio’s Oratorium, Isacco figura del Redentore neu bearbeitet. Mit freundlich ehrendem Zutrauen hat er den Wunsch geäußert, daß ich in meines Vaterlandes Sprache das Organ seyn möge, das seine Ansicht und Absicht bei der Composition dieses Oratoriums den Hörern desselben entwickle, und mit ¦ Freude und kunstbrüderlichem Eifer, will ich es versuchen, seinem Willen zu entsprechen*.

Die Masse der Hörer beurtheilt sehr oft eine Arbeit blos deshalb lieblos oder hart, weil sie nicht den Maasstab anlegt, nach dessen Verhältniß das Werk geschrieben ist, oder es nicht aus dem Gesichtspunkte ansiehtΔ, wie der Componist vermöge seiner Talente, Bildung und daraus entspringendenΔ Ueberzeugung und Willen, es nothwendig nur sehen kann. Im gewöhnlichen und allgemeinen Sinne ist deutsches Werk italischem Sinne so fremd und unbehaglich, wie italisches dem deutschen. Kunstbildung und Vertrautheit unterscheidet und liebt an jedem das in seiner Art Vorzügliche. Vollendete Wahrheit aber behauptet in allen Zonen ihre Rechte siegend über alle kritische Ansichten die am Ende doch auch nur in einer Wahrheit sich auflösen müssen. Wünschenswerth und wahrhaft befördernd ist aber jene Kritik, die wohlwollend mit den Augen des Componisten sehen will, es ihm aber zugleich sagt, und denselben dadurch sich selbst entschleiernd, ihm sein eignes Geheimniß enträthselt; da jedes Wesen in der verzeihlichen und natürlichen Befangenheit des eigenen Gesichts- und Fähigkeits-Kreises lebt.

Rühmlich und volle Anerkennung verdienend ist es schon, wenn nach dem Kunstglauben und Bedarf eines fremden Landes gebildet, man fühlen lernt, daß dieses nicht ausreiche auf anderm Boden. Es ist dies schon ein schöner Schritt vorwärts auf der Bahn, und man hat dabei nur die Schwierigkeit nochΔ zu beachten, die Form nicht für die Sache zu nehmen.

Herr Kapellmeister Morlacchi hat dieses rühmliche Streben schon in seinen letzteren Arbeiten an den Tag gelegt, und bei diesem Oratorium Δ noch mehr im Sinne und Auge gehabt.

Die frühere Behandlung des Textes war nach seiner Ansicht auch nurΔ den Forderungen früherer Zeit angemessen. Die Secco Recitativi, vielen Arien, und wenigen Chöre, verbreiteten eine Leere, die dem an musikalischen Reichthum gewöhnten Ohre der jetzigen Musikwelt, kaum g[e]nügen würde. Er hat also das Ganze in musikalisch bestimmtere Formen gekleidet; die Worte, außer denen sich als Arien, Duetten, &c. aussprechenden Musikstücken, nicht sowohl blos als accompagnirtes Recitativ behandelt, (wo die Wahrheit des Ausdruckes doch noch größtentheils das Verdienst des Sängers ist) sondern er hat dieselben an eine bestimmtere musikalisch-rhythmische Declamation gefesselt, wodurch das Ganze mehr zu einem großen in verschiedenen Takt- und Tempoarten sich bewegenden Musikstück wird.

Nächstdem lag ihm bestimmte Charakterzeichnung der handelnden Personen am Herzen, und sinnreich suchte er mehreren Stellen des Textes, die nur für Eine Stimme berechnet waren, Stoff zu Duetten, Terzetten und Chören abzugewinnen. Ein Verfahren, was wohl lobenswerth erscheinen kann, in dem Gefühl des Bedürfnisses desselben, und daß es Frevel gewesen wäre, eines Metastasio Dichtung mit fremen Einschiebseln zu verunstalten, welches weniger durch einige Abkürzung derselben zu befürchten war.

Hiermit glaube ich nun den Willen und die Ansicht des Componisten ausgesprochen zu haben, und es würde mich innig freuen, wenn ich dadurch zur erhöhten Wirkung seiner Absicht beizutragen im Stande war. Der Weg zum Ziel ist breit und mannigfach gestaltet: wir haben Alle Platz darauf. Er ist auch steil, wohl uns, wenn wir uns Alle die Hände bieten; Freude, Friede und Gedeihen der hohen Kunst seyen der Erfolg: so rufe ich im Namen aller mit ihr esΔ redlich meinenden Künstler aus. Dresden, im März 1817.

Carl Maria von Weber.

Apparat

Zusammenfassung

Rezension über „Isacco“ von Morlacci; Weber verteidigt Morlacchis fremdländisch geschriebenes Werk

Entstehung

21. März 1817 (laut A); 20./21. März 1817 (laut TB)

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Andreas Fukerider

Überlieferung in 2 Textzeugen

  • 1. Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 78 (1. April 1817), Bl. 2v

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • HellS III, S. 13–17
    • MMW III, S. 138–140
    • Kaiser (Schriften), S. 251–254 (Nr. 111)
  • 2. Textzeuge: Entwurf: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: Weberiana Cl. II A f 3. 23γ

    Quellenbeschreibung

    • über dem Ms Titel: „Das Oratorium am Heil: Oster Vorabend.“; Incipit: „Wenn das erhabenste Höchste und Heiligste des Lebens angeregt wird, und die erhabenen Bilder“; datiert: „Dresden d: 21t. März 1817.“; unterzeichnet: „C. M. vWeber“
    • von Jähns pag. mit 1; auf Bl. 1r und v von DBl. (Format 33,3x20,6 cm, WZ: bekröntes Wappenschild, Gegenmarke: KIRCHBERG, Kettlinien ca. 2,5 cm); bei MMW und Kaiser datiert mit 20. März 1817; laut TB 20. März 1817: ich arbeitete am Aufsaz über Morlachis Oratorium.; 21. März: Aufsaz vollendet.

Textkonstitution

  • „… Herrn Kapellmeister Ritter Franz Morlacchi“abweichende Überschrift im Entwurf, vgl. Quellenbeschreibung

Einzelstellenerläuterung

  • „… versuchen, seinem Willen zu entsprechen“Im Tagebuch vermerkte Weber zwei Begegnungen Webers mit Morlacchi, bei denen er das Werk kennenlernte, vgl. Einträge unter dem 26. Februar sowie 17. März 1817. Auch in den Briefen vom 8.–10. März und vom 17. März an seine Braut Caroline Brandt schilderte er die Auseinandersetzung mit dem Oratorium, das am Karsamstag, den 5. April 1817 in Dresden erstmalig aufgeführt wurde, vgl. auch den Bericht über die Aufführung. Da weilte Weber allerdings in Leipzig.

Lesarten

  • Textzeuge 1: erhebend
    Textzeuge 2: erhaben
  • Textzeuge 1: es nicht aus dem Gesichtspunkte ansieht
    Textzeuge 2: nicht aus dem Gesichtspunkt es sieht
  • Textzeuge 1: entspringenden
    Textzeuge 2: entspringender
  • Textzeuge 1: noch
    Textzeuge 2: hoch
  • Textzeuge 1: Text nicht vorhanden.
    Textzeuge 2: vielleicht
  • Textzeuge 1: nur
    Textzeuge 2: Text nicht vorhanden.
  • Textzeuge 1: mit ihr es
    Textzeuge 2: es mit ihr

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