Aufführungsbesprechung Darmstadt (Hofoper): „Der Freischütz“, September 1822 (mit Ausführungen über das Hoftheater)

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An unserm Hof-Theater ist jezt der Freyschütz an der Tagesordnung; es war gestern der siebente Sonntag, an welchem diese Oper unausgesezt gegeben wurde*, und zwar wieder bey glänzend gefülltem Hause. Aus der ganzen Umgegend, von Mainz bis zum Odenwald, von Frankfurt bis Heidelberg hinauf, strömt jeden Sonntag die Menge hieher; der Student zu Roß und zu Fuß, der reiche Kaufmann in prächtiger Karosse, der Beamte, der Offizier, die heimkehrenden Badegäste und andere Fremden in den verschiedensten Fuhrwerken; ja selbst der Bundestags-Gesandte unterbricht seine Geschäfte, der Landmann seine Arbeit; denn, wie einst die Zauberflöte, so muß man heute den Freyschützen gesehen haben, wenn man nicht so unwissend seyn will, wie Goethe seinen Herrmann schildert, dem die gebildeten Land-Demoisellen vergebens von Tamino und Pamina sprachen. Unserer kleinen Residenz gibt dieser Zufluß von Fremden, die alle Gasthäuser überfüllen und namhafte Summen hier verzehren, das Ansehen einer großartigen Stadt; der Verkehr, der Gewerbfleiß, der Geldumlauf werden vermehrt, so daß selbst die materiellsten Widersacher aller Kunst, die einseitigsten Anbeter der Nützlichkeit, nicht umhin können, einzugestehen, daß unsere hiesigen Kunst-Anstalten, und vornehmlich das Theater, auch in ökonomischer Hinsicht dem Lande namhaften Vortheil bringen, und daß die Summen, die darauf verwendet worden und noch werden, ein Kapital sind, das gute und fortwährende Zinsen trägt. Was wäre Darmstadt, wenn sein Fürst, nach aller allzu hoch gepriesener Sitte, statt die Kunst, das sogenannte edle Waidgeschäft liebte, und zu diesem seine Chatoulle verwendete? Oder wenn er ein eben so großer Liebhaber vom Baaren wäre, als mancher kunstverpönende Finanzmann, und seine Lust am tresoriren hätte? Wie ausgestorben und leer würden die Straßen unserer Hauptstadt seyn, und wie stockend würde dieß bis auf das geringste Landgeschäft zurück wirken! Wir wollen uns also unseres schönen Schauspielhauses freuen das in seinem einfachen und grandiosen Styl schon von Außen das Auge beruhigt, so wie die innere Bequemlichkeit ein Gefühl von Behaglichkeit gibt, das mit der Empfindung, die man in manchen andern hochberühmten Theatern hat, wo Alles für die Kasse, nichts für die Annehmlichkeit des Zuschauers gethan ist, sehr kontrastirt. Wenn man sich darüber beschweren will, daß die Seitenlogen, in der Biegung liegend, keinen freyen Ausblick auf die Bühne gewähren, so bedenke man, daß dem Architekten die Aufgabe gestellt war, nicht ein National-, sondern ein Hof-Theater zu bauen. Ueberdieß sind es nur wenige Logen, in denen man | nicht gut sieht, das Parterre aber geräumig und äußerst bequem abgetheilt ist. Das einzige, was man dem Baumeister vorwerfen dürfte, ist, daß er hätte gastfreundlicher seyn und die Fremdenloge nicht so hoch und so weit zurücklegen sollen. Einen andern Vorwurf, den man dem innern Wesen dieser Kunst-Anstalt macht, kann ich ebenfalls nicht unbedingt theilen. Er betrifft die ausschließliche Vorliebe des Fürsten für die Oper. Das Faktum hat seine Richtigkeit; aber von seiner Schädlichkeit hinsichtlich der Kunst kann ich mich durchaus nicht überzeugen. Jede Zersplitterung führt zu Unvollkommenheit, jedes Zusammenfassen zu Vollendung. Wir haben ja leider schon so viele Bühnen und Bühnchen in Deutschland, die Alles und Alles wollen, und wir sehen, was da geleistet, oder vielmehr was nicht geleistet wird! Seyn wir also zufrieden, ein Theater zu besitzen, das sich für einen einzigen Zweck beschränkt und diesen würdig verfolgt. Unsere Oper kann sich mit jeder andern in Deutschland messen, sowohl was ihre Haupterfordernisse, Orchester, Chor und erste Sänger und Sängerinnen, als was das Beywerk, Kostüm, Dekorationen und Maschinen betrifft. Alles ist würdig, Nichts störend, Vieles vortrefflich. Unmöglich hätte die Oper diesen Grad von Vollkommenheit erreichen können, wenn die Sorgfalt, die für sie verwendet wird, sich auch für die Tragödie, das Schauspiel und für das höhere und niedere Lustspiel zersplittern müßte. Aber, wird man einwenden, wozu überhaupt ein Schauspiel, wenn es der Oper so tief untergeordnet ist? – So richtig diese Frage nun ist, so weise ich sie doch gerade deßhalb zurück, weil sie allzu richtig ist. Man kann sie nämlich heut zu Tage dem gesammten deutschen Bühnen-Wesen stellen. Wo ist eine Stadt oder ein Städtchen in Deutschland, wo ein Hof-, ein National- oder ein herumziehendes Theater, bey dem die Oper nicht alle Kräfte so ausschließlich in Anspruch nähme, daß Melpomene und Thalia sich mit den Brosamen begnügen müssen, die von dem Tische ihrer zehnten nachgebornen Halb- und Stief-Schwester fallen? Es bleibt hiebey nichts zu thun, als daß man diese Periode –die übrigens nicht nutzlos für die Kunst ist– eben vorübergehen läßt, und daß man sich begnügt, die andern Formen der dramatischen Kunst wenigstens erhalten zu sehen. Sind sie auch jezt fast leer zu nennen, so sind sie doch nicht vernichtet, sind da, und es wird schon wieder eine Zeit kommen, die sie mit würdigem und angemessenen Stoffe erfüllt. Ja, um diese Zeit zu beschleunigen, kann nichts Besseres geschehen, als daß die Oper recht hervorgezogen, recht begünstigt und bis auf ihre höchste Spitze gebracht werde. Auf der Höhe der Vollkommenheit kann die Oper wieder zum Drama zurückführen; wenn sie nämlich aufhört Konzertmusik (im weistesten Sinne des Wortes) zu seyn und wirklich ein musikalisches Drama wird. Dazu gehörte aber, daß erstlich die Opernmacher Dichter würden, oder, da dieses unmöglich ist, daß die Dichter Opern verfertigten; zweytens aber, daß die Kammersinger und Singerinnen so gütig wären und sich herabließen, nicht nur der Noten, sondern auch ein bischen der Worte zu gedenken, weil, wenn dieses nicht nothwendig wäre, man unter die Musik, wie bey den Gesangs-Uebungen, nichts als Amen geschrieben hätte. Amen sage ich auch, das heißt, es werde wahr, daß diese Damen und Herren doch auch denken, daß sie eine Rolle spielen, wenn sie auf der Bühne singen, und nicht denken, daß sie schon, wenn sie nur trillern, eine Rolle spielen. Amen rufe ich auch, daß das Publikum hier Lehrer der Operisten und der Operndichter, durch seinen Tadel, seyn möchte. Amen! daß irgend ein großes Theater einen Preis für das beste Operngedicht aussetzen möchte; denn wahrlich, wir leiden großen Mangel daran!

Ueber den Freyschützen selbst sage ich nichts. Es ist in allen Journalen und auch in Ihrem Blatte davon erschöpfend gesprochen worden. Auch von der hiesigen Darstellung berichte ich nur, daß sie im Ganzen vortrefflich war. Hr. Wild ist zu berühmt, um hier noch des Lobes zu bedürfen. Mad. Krüger hat die Scene am Fenster vorzüglich schön gesungen und so lebendig gespielt, daß man die einige Kälte, die in der Natur ihrer Stimme liegt, kaum mehr bemerkte. Das Tempo des Jungfrauen-Chors war vielleicht etwas zu rasch; doch wozu dieser mikroskopische Tadel, wo das Ganze so ergreifend war! –

Apparat

Zusammenfassung

Ausführungen über die Qualitäten und den Nutzen des Hoftheaters in Darmstadt, am Rande kurze Bemerkungen zur Aufführung von „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Morgenblatt für gebildete Stände, Jg. 16, Nr. 242 (9. Oktober 1822), S. 967–968

    Einzelstellenerläuterung

    • „… diese Oper unausgesezt gegeben wurde“Sieben der ersten acht Darmstädter Vorstellungen des Freischütz fielen auf einen Sonntag (4., 11., 18. und 25. August sowie 1., 8. und 15. September), nur die zweite auf einen Mittwoch (7. August).

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