Rezension: Oberon, romantische Oper in drei Akten, nach dem Englischen des J. Planché. von Theodor Hell, Musik von Karl Maria von Weber. Berlin bei Schlesinger (Teil 1 von 3)

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Oberon, romantische Oper in drei Akten, nach dem Englischen des J. Planché. von Theodor Hell, Musik von Karl Maria von Weber. Berlin bei Schlesinger


Man dürfte sich wundern, dass in der Berliner musikalischen Zeitung so spät eine Beurtheilung dieser Oper, des Schwanengesangs des hingeschiedenen, unschätzbaren Weber, erscheint. Ich muss die Veranlassung dazu erklären, weil sie sogar Einfluss auf die Art und Weise der Beurtheilung ausübt. Der Redakteur gegenwärtiger Zeitschrift forderte mich schon vor anderthalb Jahren auf, die Rezension dieses Werkes zu übernehmen. Ich versprach es nicht nur, sondern mein eigener lebhafter Wunsch erfüllte sich, in dem ich die Gelegenheit erhielt, ausführlicher über eine Arbeit zu sprechen, die dem deutschen Publikum in mehr als einer Hinsicht theuer sein muss, die es mir vor Vielen ist. Damals war der Klavierauszug dieser Oper erschienen; ich wünschte daher, mit der Beurtheilung warten zu dürfen, bis die Aufführung, der man, ich möchte sagen täglich, entgegen hoffte, statt gefunden haben würde, und ich so aus dem ganzen dramatischen Eindruck heraus mein Urtheil sprechen könnte. Mein Wunsch fand keine Schwierigkeiten. Nach langem Harren endlich erschien die Oper auf der Bühne, während ich abwesend von Berlin war; ich zweifelte nicht, dass eine andre Feder statt meiner die Beurtheilung übernommen haben würde. Nach meiner Rückkehr konnte keine Vorstellung des Oberon mehr statt finden, weil Mad. Seiler verreist war; die musikalische Zeitung war mir längere Zeit hindurch nicht zu Gesicht gekommen, ich war daher überzeugt, sie würde bereits eine ¦ Rezension enthalten, und hegte nur die Hoffnung, dass ich nachträglich bei der erneuerten Aufführung mich noch würde darüber aussprechen können. Allein ein Gespräch mit dem Herrn Redakteur belehrte mich, dass noch nicht ausführlich über die Oper in der musikal. Zeitung geschrieben sei, dass er mir diesen Raum aufbehalten habe; eine Rücksicht für meinen Wunsch, die ich ihm sehr danke. Nun, da es sich einmal so lange verzögert hatte, wünschte ich freilich sehr, erst eine Aufführung zu hören. Um dies indess nicht gar zu sehr ins Unbestimmte dauern zu lassen, setzte ich mir einen bestimmten Zeitraum fest. Dieser ist verflossen, und bei der Unbestimmtheit des „Wann“ und sogar bei der Unsicherheit des „Ob“ die Aufführung in diesem Winter statt finden werde, (da hier Alles Hindernisse findet, ausgenommen Spontinis Opern) muss ich endlich an die Beurtheilung gehen, ohne die Oper ganz wie sie ist, gesehen und gehört zu haben. Ich werde daher auch ein umgekehrtes Verfahren als das, welches ich gewöhnlich beobachte, einschlagen; der natürliche sichere Weg, um das Werk aus dem Ganzen zu fassen, ist nämlich zuerst die Beurtheilung des Gedichts, seine musikalischen Eigenschaften und Mängel, seine dramatische Wirkung und in wie fern es dadurch den Komponisten trägt oder hemmt. Hierauf kann man erst mit Bestimmtheit den absoluten und relativen Werth der Musik bestimmen. Bei einem anderen Komponsiten als Maria v. Weber würde die Aufgabe noch schwerer sein, ihn zu beurtheilen, ohne ihn gehört zu haben; indess bei Weber stellt sich manches anders. Einmal ist er uns in seiner Gattung schon völlig vertraut; es lässt sich daher manches leichter mit Gewissheit voraussehn, als es bei einer fremdartigen Musik möglich wäre. Eben daher dürfen wir über seine Textauffassung sicherer sein, auch ohne das dramatische Ganze zu kennen, weil wir seine Art und Weise auch hierin bereits mehrfach beurtheilen, und uns an der Feinheit und Tiefe seiner Verständniss des Gedichts erfreuen konnten. Schwerlich möchten uns daher bedeutende Züge dieser Art verloren gehen. Auf der anderen Seite aber treten Schwierigkeiten ein, die sich nicht so | leicht heben lassen. Weber hat sich in frühern Werken schon oft zur barocken Seltsamkeit verführen lassen; hier scheint er mir viel näher an die richtige Kunstbahn sich angeschlossen zu haben, wie ich denn überhaupt in seinen Werken ein stetes Fortschreiten zu bemerken glaube. In wie fern nun der Komponist in allen Theilen gerechter, gewandter, natürlicher und doch erfinderischer erscheint, das lässt sich freilich ohne wirkliche thätige Erregung des Ohrs und des Auges bei weitem nicht so streng entscheiden. Es gibt Stellen der Komposition, deren Sinn erst beim wirklichen Vorgang der Handlung auf der Bühne verständlich wird (und namentlich ist dies bei Weber der Fall, der so innig mit seinem Gedicht verwächst); andre erklären sich erst durch die Instrumentation, durch Wiederkehr in andern Formen und Instrumenten, durch Schattirungen, die sich selbst aus der Partitur nicht so lebendig lesen, als durch das Ohr unmittelbar empfinden lassen.

Indem ich so manches (lange nicht alles) hin und wieder erwogen vorausgeschickt habe, wollte ich mich gegen Tadel einigermaassen sicher stellen, wenn ichvilleicht später inNachträgen, über einzelnes anders denken, oder manches nachmals wichtig erscheinen dürfte. Ich weiss, ich sehe nur noch einen Annäherungspunkt, zu dem der der richtige ist, aus dem das Werk beurtheilt werden soll; ich urtheile nicht ganz gern und frei, aber ich kann es nicht länger mehr abweisen, die Feder zu ergreifen. So will ich denn versuchen, durch Genauigkeit und Treue zu ersetzen, was an lebendiger Empfindung der Wahrheit mangeln wird. Ich werde nun den mechanischen Weg gehen, und die hauptsächlichsten Theile der Oper einzeln beurtheilen.

Zuerst die Ouvertüre. Diese habe ich mehrmals mit vollem Orchester gehört, und fühle mich daher am sichersten, wenn ich über sie sprechen soll. Sie steht mit der Oper in einem innigen Zusammenhange, wie alle Ouvertüren Webers; vielleicht aber ist er in der Häufung musikalischer Bedeutungen zu weit gegangen. Sie wirken mächtig, tief ergreifend, wenn sie ¦ selten, aber an der rechten Stelle erscheinen; sie enthalten ein gewisses Element des Wunderbaren, ahnungsreiche Beziehung zwischen Tönen und Geschicken; sie können ganze Zeiträume aneinander rücken, ganze Reihen von Gemüthszuständen in wenig Augenblicken an uns vorüberführen. Aber eben darum darf man dieses Mittel nicht durch den zu häufigen Gebrauch schwächen; Wunder, die täglich geschehn, sind keine mehr in der Empfindung des Menschen; ein Geist, der oft erscheint, wird uns vertraut und bekannt. Wie aber der Dichter fehlen würde, der Hebel dieser Art öfter als an den entscheidensten Incidenzpunkten anwenden wollte, so fehlt dieser Meinung nach der Komponist, der stete Erinnerung und Ahnung durch Wiederkehr und Durchklingen melodisch oder harmonisch hervorstechender Züge anregen will. Es knüpfen sich noch andre Fehler an diese Gewohnheit, namentlich eine Schwächung der musikalischen Gedanken selbst, (da ein wiederkehrender eine fremde Kraft erhält die ihn stützt) ein gewisses Vereinzeln der Melodieen, und manches andre, was hier nicht näher ausgeführt werden kann, und auch Webern zunächst nicht zur Last fällt. – Einen üblen Einfluss aber hat diese Behandlungsweise auf diese Ouvertüre (vielleicht auch auf Frühere desselben Komponisten) unfehlbar geäussert. Der Fluss des Ganzen stockt, obwohl ein so gewandter, so reich erfindender Tonkünstler, als Weber, vielfältige Mittel angewendet hat, die Fugen und Lücken zu verkleiden, die aus dem Aneinandersetzen vieler einzelner Theile entstanden sind. So erscheint uns namentlich der Satz, der an den Sturm erinnert, wiewohl für sich interessant und fliessend gearbeitet, dem Ganzen der Ouvertüre fremd zu sein. Mir däucht, der feurige Einleitungssatz, mit seinem melodischen Gegensatz, aus dem sich nachher die in der Arie wiederkehrende Melodie entwickelt, würden sich abgerundeter gegeneinander gestaltet haben, wenn ein Mittel- oder ein Uebergangssatz (wie z. B. in der Ouvertüre zum Titus) aus Theilen dieser Hauptsätze gebildet werden würde. Mehr gediegene Arbeit würde alsdann gewiss in das Werk gekommen sein. | Was die Melodie: [2 Takte Ouv. einbauen]
u. s. w. anlangt, so haben manche ihr den Vorwurf machen wollen, sie sei gemein (Leider müssen wir diesen trivialen Ausdruck in Ermangelung eines bessern gebrauchen.) Diesem muss ich aber durchaus widersprechen; man ist mit der Bezeichnung „gemein“ viel zu freigebig, indem man leicht solche Melodien so nennt, die einen hervorstechenden rhythmischenAccent haben. Sie werden aber nur leicht gemein behandelt; der Komponist hat sie sich mit dem Adel des Vortrags verschwistert gedacht. Warum erscheint diese Melodie nicht gemein, wo sie zuerst piano und zart auftritt, sondern erst später, wos ie stark und rhythmisch sehr wirksam unterstützt, vorgetragen wird? Weil da die drei Vorhalte zu roh herausgehoben werden, was aber nur ein Vortragsfehler ist, wiewohl eben diese Wiederkehr von Vorhalten mir selbst nicht erfreulich wirkt, obgleich ich sie nicht gemein nennen kann. Sie hat im Gegentheil viel Feuer, und gut vorgetragen, eine hinreissende rhythmische Kraft. —Ich darf nicht zu weitläufig werden.
Die Instrumentation, (wie überhaupt alles Technische) ist eines Künstlers, wie Weber würdig; er wendet Mittel sehr effektvoll, aber doch durchaus nicht überladen an. Ueber das Adagio der Ouvertüre spreche ich in der nächsten Nummer,


Dem Elfenchor, mit dem die Oper sich eröffnet. An diesem Stück müssen sich sogleich mehrere andere anreihen, nämlich das Chor der Erd- und Luftgeister, das Finale des zweiten Akts, besonders rücksichtlich des Chores „Segelt fort“ u. s. w. Es scheint eine Richtung der Zeit überhaupt zu sein, dass sie das rein Schöne weniger liebt und hervorbringt, als das karakteristisch Schöne; aus diesem Grund hat Weber auch so mächtig auf die Zeit eingewirkt, weil er, diese Richtung auffassend, sie fördernd ausbildete, indem vorzugsweise auch die stärkste Seite seines Talents derselben entsprach. Wir können diese Gattung zwar nicht für die Lösung der höchsten Kunstaufgaben ¦ halten, gewiss aber ist ihr, auf richtige Art aufgefasst, eine sehr hohe Stufe anzuweisen. Um ihr frei genügen zu können, wünschte Weber auch stets seltsam von den gewöhnlichen Formen und Schauplätzen möglichst abweichende Stoffe zu bearbeiten, wie ich dies aus seinem eignen Munde weiss.

(Fortsetzung folgt.)

Apparat

Generalvermerk

Zuschreibung: namentlich gezeichnet

Kommentar:

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Schaffer, Sebastian

Überlieferung

  • Textzeuge: Berliner allgemeine musikalische Zeitung, Jg. 5, Nr. 48 (26. November 1828), S. 456–458

Textkonstitution

  • „Seiler“sic!
  • „einigermaassen“sic!
  • „ichvilleicht später“sic!
  • „inNachträgen“sic!
  • „rhythmischenAccent“sic!

Einzelstellenerläuterung

  • wos ierecte „wo sie“.

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