Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater. 4. und 7. November 1819: „Die vier Temperamente“ von Ziegler (Teil 1 von 4)

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Donnerstags, den 4. Nov., Sonntags, den 7. Nov., zum ersten- und zweiten Mal: Die vier Temperamente, Original-Lustspiel in drei Akten, Nachspiel, unter dem Titel: Vierzehn Tage nach dem Schuß.

Die Lehre von den vier Temperamenten ist uralt. Aus den vier Elementen vier Haupteigenschaften, Hitze, Kälte, Nässe und Trockenheit, ableitend und diese auf die vier Hauptsäfte im Menschen, auf das Blut, den Schleim, die gelbe und schwarze Galle, übertragend, fanden schon Hippokrates und Galenus darin den Grund der geistigen Verschiedenheit in den Menschen. Seitdem haben bis auf die neuern Zeiten, bis Stahl und Hoffmann ihre Theorie einer Reizbarkeit der Fiebern und des Nervensaftes darauf gründeten, diese Temperamente ihre Rolle in der Humoral-Pathologie und Prüfung der Köpfe – man kennt ja des spanischen Arztes Juan Huarte Schrift dieses Namens aus unsers Lessings Uebersetzung – laut genug fortgespielt. In Göttingen wurde sie 1791 eine Preisfrage und die gekrönte Preisschrift von Ficker mag noch mit Nutzen gebraucht werden. Ploucquet führt in der neuesten Ausgabe seines Repertoriums 114 Schriften davon an. War’s Wunder, daß auch die Schauspieldichter sich dieses Gegenstandes von jeher bemächtigten. Bei den Griechen waren die zwei Väter und die zwei Liebhaber in der Menandrischen Comödie ganz darauf berechnet, und selbst die Masken, worin sie gespielt wurden, trugen die Anzeige davon, wie wir aus den Beschreibungen des Pollux und den Maskenbildern in den alten Handschriften des Terenz ersehen. Es verlohnte sich wohl der Mühe, dieser Fundgrube des komischen Contrastes schon im Alterthum weiter nachzuspüren, wenn man besonders den 30sten Abschnitt in Aristoteles Problemen damit vergleichen wollte. Es wäre daraus mehr zu schöpfen, als unsere Vielwisser von heute sich auch nur träumen lassen mögen.

Warum sollte nicht auch Herr Ziegler einmal sein dramatisches Heil daran versuchen, da, was Kotzebue und andre schon unter diese Rubrik gestellt haben, so gar flach und unbefriedigend ist. Der Veteran in der ausübenden Schauspielkunst heißt ja nicht ohne Ursache Consulent der K. K. Hoftheater. Er weiß, was auf die Menge wirkt, sehr gut und hätte der fruchtbare Dramatiker auch nur die einzige, fast unverwüstliche Parteienwuth gegeben, so wäre dieß hinreichend, zu beweisen, daß er den Stoff zu Effectstücken recht gut aufzufinden weiß. Man hat ihn aber oft Schuld gegeben, daß er sich auf Situationen weit besser, als auf wahre, durchgeführte Characteristik verstehe. Da wollte er’s denn einmal ganz eigentlich auf Characteristik anlegen und so schnitzte er uns nun aus der uralten ¦ Temperamenten-Lehre vier unbestrittene Charactermänner. Wenn das Ding nur nicht gar zu sehr einer dramatischen Schul-Chrie ähnlich sähe. Der Rector dictirt etwa aus Krüger’s Experimentalseelenlehre die Definition der vier bekannten Temperamente, und bedingt zugleich einen Fall aus dem bürgerlichen Leben, an welchen die in Scenen und Dialogen gesetzten psychologischen und moralischen Beobachtungen, wie an einem Faden, angereiht werden sollen. So wird ohne allen organischen Zusammenhang eine wundersame Perlenschnur, – ächte oder unächte, gleichviel – zusammengereiht und Thalien als Halsband auf so und so viel Nächte umgebunden. Daß wir bei dieser Entstehungsgeschichte den Dichter nichts aufbürden, was er nicht selbst gewollt hat, liegt am Tage. Denn er hat ja dieß Thema selbst seinem Stücke in vier Temperamentschilderungen vorgesetzt und sich sichtbar darin gefallen, daß nun alle hier protokollirten Züge im Stücke selbst den Zuschauern von den vier Temperamentshelden genau zugezählt werden. Was nicht in Handlung zu bringen war, das predigen sich die Personen des Drama’s mit höchst ermüdender Geschwätzigkeit einander vor. Hier ist nun aber gleich der erste Fehlgriff dadurch begangen worden, daß in eine Kapsel geworfen wurde, was wenigstens in acht sehr verschiedene Büchsen gehört hätte. Wie manches würde feiner und treffender eingeleitet worden seyn, hätte der Verfasser auch nur die achtfach gespaltene Temperamentlehre im zweiten Theil von Platners Aphorismen vergleichen wollen. Beim sanguinischen, cholerischen und phlegmatischen Temperamente ging die Sache noch ganz leidlich. Denn da sind die Figuren dazu, mehr oder weniger al fresco gemalt, schon hundertmal da gewesen. Allein der arme Melancholicus ist dabei ganz erbärmlich weggekommen. Hier vermochte nur die feinste Beobachtungs- und Darstellungsgabe die Scheidelinien zu zeichnen und die interessantesten Erscheinungen, die tiefe Gemüthlichkeit und das reizbarste Zartgefühl, durch Aengstlichkeit gescheucht, durch Körperlichkeit gehemmt und ins Innere zurückgedrängt, in einem solchen ächt attischen Temperamente dramatisch verkörpert, zur lebendigen Anschauung zu bringen. Der Menedem im Selbstpeiniger des terenzischen Menander ist der stehende Typus dafür. Welch eine klägliche Figur spielt dagegen der Angstkäfer Sieborn in diesem Stücke von Ziegler? Es ist hart, aber die Wahrheit verbietet alle Milderung: er ist eine Fratze, wozu nie ein Sterblicher gesessen hat. Und doch ist er der Begünstigte des Stücks, der die Braut heimgeführt. Dadurch wird es zur unnatürlichsten Posse, auf Unkosten alles seinen moralischen Gefühls. So hätte sich schwerlich ein Britte, wie ein Franzose verirrt, den hierin der Takt des Schicklichen nie verläßt.

(Die Fortsetzung folgt.)

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Die vier Temperamente“ von Ziegler (Teil 1 von 4)

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 271 (12. November 1819), Bl. 2v

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