Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Ein Besuch im Narrenhause, oder Bedlam’s Nachbarschaft“ von Theodor Hell am 23. November 1819 (Teil 2 von 2)
Ein Besuch im Narrenhause.
(Beschluß.)
So parodirt Mad. Schirmer auch nur den Wahnsinn, wo sie die folle par l’amour spielt, und setzt, damit die Zuschauer nicht im Irrthume seyn können, gleich bei der ersten Anrede an Alfred durch einen Blick abwärts, ihr muthwilliges Doppelspiel in’s wahre Licht. Den stärksten Effekt spart sie sich auf die Hererzählung ihrer Talente und auf die Ueberraschung des von ihr selbst gemalten Bildes, welches aber allerdings durch einige, mit komischer Umständlichkeit (Seitwärtsblicken, Seitwärtsgehn) ihm aufgedrückte Küsse noch gesteigert werden kann. Die Angst, als nun Alfred selbst Geistesabwesenheit erdichtet, ist in ihrem Spiele wirklich da. Das Verbergen hinter dem Baume höchst natürlich und so auch die, vom Dichter selbst witzig angelegte Scene, wo sie ihn Beichte hört und sich von seiner Treue immer mher überzeugt. Hier und durch’s ganze Stück wirkt der ihr eigenthümliche Wohllaut der Stimme beredter als alles Mienenspiel. Wie sprach sie die Worte: „Lieber Himmel, jetzt ist er mir gar zu treu!“ und wie ergötzlich der Anlauf, den sie nimmt, als sie dem Namen ihres Alfreds die liebkosenden Beiwörter zusetzen muß! Dieß alles ist aber nur beim geistreichen Zuspiel des geliebten Ungetreuen möglich; denn wenn da gegenüber bloß der Schein mit oft stockenden Lippentönen vortritt, muß alle Illusion verloren gehen. Herr Julius gab seine Rolle mit der natürlichsten Kunstwahrheit. Zuerst mit aller vornehmen Nachlässigkeit eines Weltlings, der alles genossen hat und dem nichts geblieben ist, als ein gout blasé. Auch sein Wahnsinn wird uns durch geschicktes Seitenspiel als bloße Maske deutlich. Natürlich aber, daß er die Frau durch Leidenschaftlichkeit noch überbietet, eine nothwendige Steigerung, die aber von manchem Zuschauer mißverstanden und für zu stark gehalten wurde. Sein doppelter Fußfall müßte dem grämlichsten Murrkopfe ein Lächeln abzwingen. Bei einem solchen Zusammenspiel zweier Künstler kann es an allerlei aussprühenden Witzfunken nicht fehlen. Wenn Mad. Schirmer, als sie, das Walzen vorbildend, die Bühne umkreiset, ihre Guitarre dabei zärtlich in die Arme schließt; so umarmt Hr. Julius beim ersten Hereinbrechen im wahnsinnigen Liebestaumel den Stamm des Baumes im Vorgrunde, als sei es seine Daphne. Es wäre pedantischer Vorwitz, so phantasienreichen Künstlern vorzuerzählen, was sie alles bei künftigen Vorstellungen noch zum Ausputze anfügen könnten. Das Stück selbst verdient schon kaum Lob, daß es so viel Gelegenheit zu solchem Nebenspiel darbietet. Die aus dem ursprünglichen Vaudeville gebliebenen Verse wurden mit vieler Schicklichkeit so vorgetragen, daß sie aus der Situation gleichsam von selbst hervorzuspringen schienen. Nur war der Schluß zu abgebrochen. Die zwei Hauptpersonen müssen in einer passenden Wechselrede schließen. Das Ganze hinterläßt aber einen heitern Eindruck und die Ueberzeugung, daß es nirgends eine Mißheirath sey, wo französischer Witz mit deutscher Gemüthlichkeit sich paare. –
Böttiger.Apparat
Zusammenfassung
Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Ein Besuch im Narrenhause, oder Bedlam’s Nachbarschaft“ von Theodor Hell am 23. November 1819 (Teil 2 von 2). Der erste Teil erschien in der letzten Ausgabe.
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Fukerider, Andreas
Überlieferung
-
Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 292 (7. Dezember 1819), Bl. 2v