Christoph Ludwig August Paalzow an Friedrich Wilhelm Jähns in Berlin
Prenzlau, Sonntag, 18. Dezember 1864

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Hochgeehrtester Herr Director

Der bereits verstorbene Gymnasial-Director Professor Dr. Kannegiesser, mein Landsmann Schul- und Universitäts-Freund, und Vorgänger im Amt als Rector des hiesigen Gymnasiums vor Mich. 1822, ausgerüstet mit sehr ausgebreiteten sprachlichen historischen und literarischen Kenntnissen, auch der Musik nicht fern, hatte eine fleißige Feder in Uebersetzungen, prosaischen, poetischen Erzeugnissen, die leicht in Versen sich erging; und in Folge dessen mannichfachen Verkehr mit Buchhändlern und Componisten, selbst bis Paris hin; weshalb diese Erzeugnisse auch weithin zerstreut sind. Manches ist auch hier in Prenzlau entstanden und gedruckt z. B sein | Gedicht: Prenzlau, wovon ich noch ein Exemplar besitze; ferner handschriftlich: Panormus und Gonippus*, dann: Die Franken kommen (1806) wer wehrt sie ab. Auch hatte ich von ihm: David und Absalon, so wie: kleine Erzählungen, die mir durch Leihen abhanden gekommen. Von den drey Männerliedern, componirt von v. Weber ist mir nichts bekannt, noch weniger zur Hand.

Vor etwa acht Wochen ist hier das 25jährige Erinnerungsfest der hiesigen ältesten Liedertafel* unter der Leitung des hiesigen Musikdirector Schulz* gefeiert worden, den p Kannegiesser schwerlich je kennen gelernt. Durch meine Tochter habe ich die verwittwete Oberbürgermeisterin Busch*, die zu Kannegiesser hiesiger | Zeit vorzugsweise als Sängerin und auf dem Piano an der Spitze damaliger musikalischer Bestrebungen stand, Ihr geehrtes Schreiben vorlegen lassen; aber auch sie weiß nichts von einer damaligen Liedertafel, noch von den drey Männerliedern.

Eine andere Dame aus Kannegiessers hiesiger Zeit macht für Ew. Wohlgeboren Nachforschungen auch die drey Kinder des Dr. Herz*, des Schwagers der Frau Hofräthin Herz* welche als Freundin Schleyermachers und anderer in Berlin in gutem Gedächtniß sein wird, welche Geschwister Herz sehr musikalisch waren, und zu K. hiesiger Zeit hier als solche sich sehr thätig zeigten. Die Schwester, bereits verstorben, war eine nahmhafte Virtuosin auf der Harfe, und kann zu dem Gedicht, der Harfner Veranlassung gegeben haben. Der älteste | der drey Geschwister ist der in Berlin lebende H Hofrath Herz, vormals beim PupillenCollegium beschäftigt*; der jüngere Bruder, der sich längere Zeit in Java aufgehalten, lebt als Rentier in Neustadt-Eberswalde. Diese beiden Hℓ Herz könnten vielleicht die gewünschte Auskunft geben.

Vermelden Sie gelegentlich meinen Gruß an die Frau Director Kannegiesser*, und theilen Sie ihr mit, daß ich 82 5/12 Jahr alt noch täglich meinen Spaziergang, die hiesigen Anlagen entlang oder um die Uker oder zum Bahnhofe und weiter mache.

Ich empfele mich Ew. Wohlgeboren aufs Freundlichste. Paalzow DG

N.S. Ein Freund und naher Verwandter des Kannegiesser ist der Director Klaeden* am Schindlerschen Waisenhause in Berlin. Vielleicht weiß der etwas davon; oder sein, des Kannegiessers Sohn, Prediger in Rathenow*

Editorial

Summary

J. war auf der Suche nach Autographen der drei Männerchöre, die von Kannegießer gedichtet worden waren; P. war ein Studienkollege von K., er kann darüber jedoch nichts sagen und gibt ihm Hinweise auf andere Personen, die evtl. weiterhelfen könnten

Incipit

Der bereits verstorbene Gymnasial Director

Responsibilities

Übertragung
Frank Ziegler

Tradition

  • Text Source: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Shelf mark: Weberiana Cl. X, Nr. 479

    Physical Description

    • 1 DBl. (4 b. S. o. Adr.)
    • am oberen Rand gestempelt: “an Jähns”

Text Constitution

  • Schwagers“Bruders” overwritten with “Schwagers
  • Hof“von” overwritten with “Hof
  • “räthin”added below
  • “… zu dem Gedicht, der Harfner”überschrieben aus die Harfnerin
  • “… Freund und naher Verwandter des”nicht eindeutig lesbares Kürzel

Commentary

  • “… ferner handschriftlich: Panormus und Gonippus”Erschienen in: Urania. Taschenbuch für Damen auf das Jahr 1815, Leipzig und Altenburg: Brockhaus, S. 279–285.
  • “… Erinnerungsfest der hiesigen ältesten Liedertafel”Paalzows Angabe ist falsch: Die ältere Prenzlauer Liedertafel war 1814 gegründet worden und bestand bis 1874; vgl. Jürgen Theil, Prenzlauer Stadtlexikon und Geschichte in Daten (Arbeiten des Uckermärkischen Geschichtsvereins zu Prenzlau, Bd. 7), S. 114. Paalzow meint hingegen wohl den am 27. September 1840 gegründeten Gesangverein, der 1864 gerade das 25. Jahr seines Bestehens begonnen hatte; vgl. ebd., S. 63 und 265. Die jüngere Prenzlauer Liedertafel wurde am 20. Januar 1842 als „Männergesangverein Primislavia“ begründet; vgl. ebd., S. 266. Die Anfrage von Jähns bezog sich möglicherweise auf den Abdruck von Kannegießers Gedicht Gute Nacht in der Breslauischen Moden Zeitung, Jg. 1823, Nr. 7, S. 55 mit der Überschrift: „Gedichtet von K. L. Kannegießer und komponiert von C. M. v. Weber für die Liedertafel in Prenzlau“. Weber hatte den Text am 29. Juli 1819 vertont, also tatsächlich noch zu Kannegießers Prenzlauer Zeit. Bei der Gründungsversammlung der Breslauer Liedertafel am 24. März 1823 (mit Kannegießer als Gründungsmitglied) fand der Chor als Schlusslied Verwendung; vgl. Deutsche Blätter für Poesie, Litteratur, Kunst und Theater, Jg. 1, Nr. 51 (1. April 1823), S. 204.
  • “… Leitung des hiesigen Musikdirector Schulz”Otto Karl Friedrich Wilhelm Schulz (1805–1890), Musikdirektor und Komponist.
  • “… ich die verwittwete Oberbürgermeisterin Busch”Die Witwe von Samuel Carl Gottfried Busch (1784–1837), ab 1821 Oberbürgermeister von Prenzlau.
  • “… drey Kinder des Dr. Herz”Dr. Simon Herz, seit 1781 als Arzt in Prenzlau tätig, verheiratet mit Johanna Herz.
  • “… der Frau Hof räthin Herz”Möglicherweise Julia (Herz), Schleiermachers Bekannte in Prenzlau.
  • “… , vormals beim PupillenCollegium beschäftigt”Hofrat F. W. Herz, Registrator beim Pupillen-Kollegium in Berlin.
  • “… an die Frau Director Kannegiesser”Jenny Kannegießer, geb. du Four (gest. 1870).
  • “… Kannegiesser ist der Director Klaeden”Carl Wilhelm Klaeden (1802–1867), Inspektor am Schindler’schen Waisenhaus.
  • “… Sohn , Prediger in Rathenow”Archidiakon Ed. Kannegießer in Rathenow gründete 1874 einen „Verein zur Verbreitung von Flugschriften für das evangelische Volk“ (publiziert bei Haase in Rathenow); vgl. u. a. Dresdner Nachrichten, Jg. 20, Nr. 24 (24. Januar 1875), S. 1.

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