## Title: Karl von Decker: Der Freischütz in Paris (Teil 2), 1826 ## Author: Decker, Karl von ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A031443 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Der Freischütz in Paris.Dramatische Analyse, von Adalbert vom Thale.(Fortsetzung.) Die schöne Arie mit dem Etsch-Chor ist dadurch ganz verunstaltet, daß nicht Kilian, sondern Caspar sie singt, und jenen dabei den Bauern als Sieger vorstellt, trotz dem, daß er es eigentlich nicht ist, wie wir so eben gesehen haben. Das Etschen bleibt natürlich weg, und ist in ein dissonirendes Lachen (ah! ah! ah!) verwandelt. Max-Tony muß daher die Gelegenheit vom Zaune brechen, um Händel mit den Bauern anzufangen, damit nur Cuno-Reynold dazu kommen und rufen kann: „Wie? zwanzig über Einen!“ (dreißig, wie Kind es gewollt hat, ist den Franzosen doch zu viel gewesen.) Die nun folgende Scene ist ziemlich treu übersetzt, als aber Cuno dem Caspar ernst und vorwerfend zurufen soll: [„]Schweig! vorlauter Bube &c.“ zog der Schauspieler es vor, diese Stelle humoristisch zu nehmen, dem Caspar schelmisch mit dem Finger zu drohen, ungefähr als ob er zu ihm sagte: „Spaßvogel, ich kenne dich, du bist ein Schlemmer, ein falscher Würfler &c.“ So wenig haben die Uebersetzer und Akteurs den Sinn dieser Dichtung begriffen. Doch es kommt noch besser! Bei der Erzählung des Försters, die etwas breiter gerathen ist, um den französischen Zuhörern das Tüpfel auf’s i zu setzen, sprangen die Kartenbilder wie die Narren umher, und die ganze Scene endet in Fröhlichkeit; das schöne Ensemblestück: „O diese Sonne &c.“ mit dem Chor: „Laßt lustig die Hörner erschallen &c.“ bleibt weg, der Bauernmarsch auch, das Walzen auch – weil die Franzosen nicht walzen können – das Volk hüpft ab, Max-Tony bleibt als Meilenzeiger allein stehen, das Orchester spielt den Walzer, aber im Andante-Tempo, das Publikum horcht schweigend den abgebrochenen Takten zu, die Musik verhallt, hört endlich ganz auf, und nun bricht – wie nach Windstille der Sturm – ein wüthender Applaus los, zum reinen Triumph des deutschen Meisters, denn die französische Bühne ist ja leer, bis auf den vergessenen Max, der etwas dumm in das Freuden-Unwetter hinein sah. | Die Arie des Max: „Nein länger trag’ ich nicht &c.“ sang der gute Tony nicht übel, wenn er nur nicht wie Pikbube ausstaffirt gewesen wäre? Was sich doch die Franzosen von einem Jäger zu Carls I. Zeiten – denn dahin haben die Uebersetzer die Zeit der Handlung verlegt – für eine Vorstellung machen müssen! Bei dieser Arie schreitet Samiel nicht über die Bühne. Die Scene zwischen Max und Caspar ist im Wesentlichen geblieben, der letztere aber ein kleiner Milchbart, der den Sansfacon spielt, als wäre er einer der beiden Hofmeister in asinus asinum fricat. Das originelle meisterhafte Trinklied verpfuschte er total, denn er sang es im Sitzen, dazu war der Rythmus geändert, das Ganze moralisirt und à la française coupletirt worden, mit dem Refrain: L’amour, le jeu, le bon vin: Voilà mon joyeux refrain, et ma philosophie wobei die mit weiblicher Endung skandirte „Philosphie“ sich wie ein Stückchen Gummi elastikum in die Länge zog. Es war unerträglich! Als Max den Steinadler schießt, fällt dieser mit einer feurigen Rakete herunter, und Max springt freudig herum, als ob er eine Christpuppe beschert erhalten hätte. Die Uhr schlägt nicht sieben, folglich bleibt auch im zweiten Akt die darauf sich stützende Anspielung weg. Statt der Wolfsschlucht spricht Caspar von den Ruinen von Sanct-Dunstan, singt die Arie: „Schweig, daß dich Niemand warnt &c.“ nicht, sondern Cuno mit den Landleuten kommt plötzlich dazu, und das im Vorigen ausgelassene Ensemblestück mit dem Chor: „Laßt lustig die Hörner erschallen &c.“ macht das Finale des ersten Akts. Die Abänderung ist keck, aber im Ganzen nicht übel, und es gilt die Frage, ob unser großer Meister sie nicht vielleicht selbst gut heißen würde, besonders da jene Kraftarie des Caspar keinesweges gestrichen, sondern nur in den andern Akt verlegt wurde. Uebrigens waren die Chöre weiblicher Seits unter der Kritik, die Männerstimmen gingen an. (Die Fortsetzung folgt.) L’amour, le jeu, le bon vin: Voilà mon joyeux refrain, et ma philosophie