Wichtige Erweiterung der Quellen für die Edition der “Euryanthe”

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In seinem Ausgabenbuch hat Weber für die Jahre 1823 bis Ende 1824 insgesamt 16 von ihm autorisierte und vertriebene Abschriften seiner Euryanthe aufgelistet. Unter den davon bislang noch nachweisbaren sechs Kopien befand sich auch eine Partitur aus der Österreichischen Nationalbibliothek Wien (Mus.Hs.16.141), die bis auf die in Wien nachkomponierte Ouvertüre von Webers Dresdner Kopisten Carl Gottlob Kretzschmar stammt. Da diese Abschrift neben der von einem Wiener Schreiber kopierten Ouvertüre auch Eintragungen Webers enthält, war klar, dass sie die frühe (Wiener) Überlieferung repräsentiert. Erstaunlich mutete allerdings an, dass sich fast keine Eintragungen von fremder Hand darin fanden, auch keine Vermerke der in Wien von Weber (und später von Conradin Kreutzer) vorgenommen Kürzungen. Bei seiner systematischen Durchsicht der Wiener Bestände für den Katalog der Weber-Quellen hatte Frank Ziegler vor vielen Jahren eine weitere handschriftliche Partiturquelle unter der Signatur KT.139 sowie die unter der Signatur O.A.320 überlieferten Stimmen autopsiert. Die Partitur stammte ebenfalls von einem Dresdner Schreiber, gehörte aber offensichtlich nicht zu den noch von Weber autorisierten. Bei den aus unterschiedlichsten Zeiträumen stammenden Stimmen war zu prüfen, ob sich darunter noch welche befinden, die mit den frühen Wiener Aufführungen zu tun hatten. Ende Februar letzten Jahres nahmen Irmlind Capelle und Joachim Veit eine gründliche Durchsicht dieser Stimmen vor und konnten in dem umfangreichen Konvolut der bis zum Jahr 1960 verwendeten Stimmen feststellen, dass sie offensichtlich am Kärntnertor erst ab 1855 benutzt wurden und erst aus den 1830er-Jahren stammten. Die unglaublich vielen Bearbeitungsspuren in diesen Stimmen können somit Veranlassung für einen separaten Artikel über dieses Material sein, für die Edition der Euryanthe-Partitur müssen sie glücklicherweise aber nicht berücksichtigt werden...

Um auch die unter der Signatur KT.139 überlieferte dreibändige Partiturabschrift genauer einzuordnen, nahm Joachim Veit anlässlich des Mitgliedertreffens der Weber-Gesellschaft und des dabei veranstalteten kleinen Euryanthe-Symposiums eine nochmalige Durchsicht vor und hatte dabei zwecks eventueller Vergleichsmöglichkeiten die kompletten Materialien dieser Signatur bestellt. Beim jetzigen erneuten Durcharbeiten hatte er sich schon gewundert, dass im Bibliotheksregal eine größere Kistenzahl bereit lag als er von der letzten Einsicht her in Erinnerung hatte, vermutete in den unteren Kisten aber unwichtigeres spätes Material. Deshalb ließ er sich die Kisten mit der Signatur KT.139/4–6 erst am letzten Tag seines Aufenthaltes aushändigen und staunte nicht schlecht als er plötzlich eine weitere dreibändige, in dunkle Pappe eingebundene Partiturabschrift in Händen hielt, die ebenfalls von Kretzschmar stammte, während die separate Ouvertüre vom selben Wiener Schreiber kopiert war wie jene von Mus.Hs.16.141. Diese “neue” Partitur nun wies zahllose Eintragungen, Striche und zusammengenähte Blätter auf, so dass die praktische Verwendung eindeutig belegt war und schon bei der ersten Einsicht klar wurde, dass es sich hier offensichtlich um die eigentliche Wiener Uraufführungs-Partitur handelt.

Im ersten Band dieser Partiturabschrift fehlte leider das Finale Nr. 9 (mit rotem Bleistift ist im Innendeckel vermerkt: “Finale fehlt”), aber auch diese Lücke ließ sich glücklicherweise füllen, denn unter der Signatur Mus.Hs.25371 (früher Suppl.Mus.No. 25371 bzw. T.W.318A) waren auch die 30 Blatt mit dem aus der Partitur entnommenen und in neuem Kontext im Theater an der Wien benutzten Finale erhalten (von dort waren sie offensichtlich später als Geschenk wieder an die Bibliothek gelangt).

Ein sehr herzlicher Dank geht an Frau Dr. Andrea Harrandt, die unmittelbar nach dem Besuch ein Digitalisat für die WeGA anfertigen und dabei auch die umgeklappten bzw. vernähten Seiten so dokumentieren ließ, dass nun eine vollständige Kopie für die Arbeiten an der Ausgabe zur Verfügung steht. Bei der Integration der Quelle in die für den Quellenvergleich erstellte interne Edirom konnte gleichzeitig festgestellt werden, dass schon die beiden frühen Abschriften das Muster für die weiteren, fast fließbandartig hergestellten Kopien abgaben. Zugleich ist durch diesen unerwartbaren “Fund” einer zweiten Partitur unter derselben Rahmen-Signatur deutlich, dass es sich bei der anderen Partiturabschrift der ÖNB (Mus.Hs.16.141) um das laut Ausgabenbuch für den Wiener Verleger Steiner bestimmte Exemplar handeln muss. Für die gegenwärtig von Tim Hüttemeister, Solveig Schreiter und Joachim Veit vorbereitete Ausgabe des Werkes brachte dieser “Fund” der nunmehr siebten autorisierten Quelle die bisher wichtigste Erweiterung der Quellenlage. Über weitere Details wird dann in der Partituredition in Serie III, Bd. 6 berichtet werden.

Joachim Veit, Tuesday, December 12, 2023

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