Joseph Genser to Friedrich Wilhelm Jähns in Berlin
Wien, Wednesday, October 23, 1878
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Es hat mir eine unendliche Freude bereitet, nach langer Zeit wieder einmal von Ihnen Etwas zu hören und ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie wohlthuend es mich berührte, als ich an den mir wohl bekannten Schriftzügen der Adresse erkannte, von wem der Brief herrühre. Den Brief mit Hast seiner Umhüllung entledigend verschlang ich rasch dessen Inhalt und wurde so froh zu vernehmen, daß Sie wohl und gesund rüstig in Ihrer neuen Arbeit fortschreiten u. wie Sie mit derselben so innig verwachsen sind, daß Sie Ihr | Schaffen förmlich jung erhält. Bei solcher Ausdauer und unermüdlicher Thatkraft haben wir ja ein seiner Brüder gewiß vollkommen würdiges Werk zu erwarten* und ich freue mich auf sein Erscheinen.
Was den Gegenstand Ihrer Anfrage betrifft, so bitte ich zuvörderst um Entschuldigung wegen der etwas verzögerten Beantwortung; übrigens gelangte Ihr Schreiben nicht rechtzeitig in meine Hände, sonden machte daßelbe durch Schuld der Post, wie auf dem Couvert ersichtlich, den Umweg über Frankfurt.
Nun zur Sache selbst. Die bezeichnete Stelle in der Parthie des Eremiten* findet sich in der | Partitur der hiesigen Hofoper vor, wovon ich mich durch Augenschein überzeugte, aber gestrichen und wurde also seit Menschengedenken nicht gebracht*. Erst in neuerer Zeit, seit etwa einem Jahre, wird die Stelle in folge Verfügung des Kapellmeisters Hans Richter bei den hiesigen Freischütz-Aufführungen unverändert gesungen. Ich sende Ihnen unter Kreuzband ein vollständiges Textbuch, freilich nicht neuester Zeit, zu, worin Sie aber‡ die ersten 4 Zeilen des von Ihnen angeführten Textes vermissen werden* und es scheint daher, daß früher nicht die ganze in der Hoftheater-Partitur gestrichene Stelle weggelassen wurde. Heute, wie gesagt, ist man | von dieser barbarischen Auslassung, wofür zudem kein Grund zu errathen ist, abgekommen, wie es sich aber in der ersten Zeit damit verhielt, darüber konnte ich Nichts in Erfahrung bringen. Man hat mir übrigens ein altes Textbuch versprochen das ich Ihnen sofort zusende, wenn ich es erhalte. Sollte übrigens nicht Herr Bahrdt in Berlin, der Ihnen zweifelsohne bekannte eifrige Sammler, ein solches Wiener Textbuch älteren Jahrgangs besitzen?
Nun danke ich Ihnen zum Schluße noch für die Güte welche Sie hatten, sich nach mir u. meiner Gesangsakademie zu erkundigen; geht leider nicht nach meinem Sinn! Ein anderes Mal mehr dazu! In aufrichtigster u. tiefster Verehrung Ihr Ihnen allzeit Ergebener Jos. Genser
P.S. Bezüglich der Bemerkung Ihrer Nachschrift erlaube ich mir die Erwartung auszusprechen, daß Sie mich, der Ihnen mehr schuldet, nicht in die Verlegenheit setzen werden, mir die Textbücher und Porti zu ersetzen. –
Editorial
Summary
betr. Eremiten-Stelle im Freischütz; in der Partitur der Hofoper ist die Stelle vorhanden, jedoch gestrichen, erst seit etwa einem Jahr ist sie unter Hans Richter wieder geöffnet worden; schickt ihm ein älteres Textbuch, das wiederum nicht mit der gestrichenen Stelle übereinstimmt, er will versuchen, ein Originaltextbuch zu bekommen und schickt es ihm
Incipit
“Es hat mir eine unendliche Freude bereitet”
Responsibilities
- Übertragung
- Frank Ziegler
Tradition
Thematic Commentaries
Text Constitution
-
“aber”added above
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“… ”Nachtrag am Seitenrand quer zur Schreibrichtung:
Commentary
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“… vollkommen würdiges Werk zu erwarten”Gemeint sind die geplanten (nicht erschienenen) Nachträge zum Weber-Werkverzeichnis.
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“… in der Parthie des Eremiten”Der Freischütz, Finale III Nr. 16, T. 231‒252.
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“… also seit Menschengedenken nicht gebracht”Es bleibt fraglich, welche der Wiener Partiturhandschriften Genser einsah; 1821 war in Wien zunächst die komplette Eremiten-Partie gestrichen wurden, erst 1829 wurde die Rolle wieder eingefügt.
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“… Ihnen angeführten Textes vermissen werden”Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist das in der Sammlung von Jähns erhaltene Textbuch der Wallishausser’schen Buchhandlung, Wien (Josef Klemm), „Den Bühnen gegenüber als Manuscript gedruckt“ bei Carl Finsterbeck in Wien gemeint; heute D-B, Weberiana Cl. VI [Kasten 2], Nr. 13a. Darin fehlen im Finale (S. 55) die Zeilen des Eremiten „Leicht kann des Frommen Herz auch wanken“ bis „Verzweiflung alle Dämme bricht!“