Aufführungsbesprechung Karlsruhe, Großherzogliches Hoftheater: “Der Freischütz” von Carl Maria von Weber, 1822 (Teil 3 von 6)
Auch eine Stimme über die Aufführung des Freischützen auf dem Großherz. Hoftheater zu Karlsruhe.
Fortsetzung.
Max wird noch weiter überlistet oder von den Nachstellungen des Teufels umgarnt. Kaspar spricht von der nahen Stunde, wo der Zauber geschehen soll, und von der Mondscheibe, welche sich heute Nacht verfinstern würde – "Die Natur bietet sich selbst zu deinem Dienst an, durch günstige Gestirne ist dein Schicksal bestimmt!" – Wie wird also Max ausweichen können oder auch nur wollen? Es wird sein Schicksal so Fatum für ihn und noch dazu kein streng waltendes Fatum. Gütige Himmelsmächte wollen, daß er sich den Anlockungen des Bösen hingebe, da sich für ihn nur unschädlich seyn würden – Diese Idee aber fasset er nicht ganz so auf als er sie auffassen könnte, und die später folgenden Erscheinungen, die Zuhülfe Samiels, treten vielmehr als schauerliche Warnungszeichen ein, sich jenen Anlockungen nicht hinzugeben.
Da er muthig von Natur ist; so ist sein sittliches Zartgefühl sehr groß, daß er keinen Muth zeigt, in die Wolfsschlucht zu gehen, und dennoch, freilich aus Liebe für seine Braut, folgt er der Versuchung und das trübt das reine Gefühl seiner Liebe. Was er aus Liebe fehlt, scheint sehr der Entschuldigung zu verdienen; aber konnte er nicht selber seiner Liebe schaden, konnt’ er nicht Agathen betrüben oder wohl ihr noch unbekannte Schmerzen bereiten, wenn er die unterirdischen Mächte zu ihrer gemeinsamen Hülfe aufrief? "Nimm meine Warnung acht, denk’ an Agathens Wort!" ruft sie ihm zulezt noch in die Seele; er erhebt sich über die zärtliche vorschauende Sorge des liebenden Mädchens, und sieht sein Gehen in die abschreckende, im Aberglauben des Volkes verwünschte, Wolfsschlucht, für nothwendiges, ihm unausbleibliches Geschick an – "winken ihn doch selber seine Sterne des Himmels dahin!" – Warum hält er durch den geschehenden Schuß nach dem Adler sich verbunden, wenn er auch sein Schicksal für unausweichlich halten sollte? Beides sind die Hauptmotive seiner Handlung. Er sagt zulezt vor seinem Abschiede von Agathen:
"Ich schoß den Adler aus hoher Luft,Ich kann nicht rückwärts, mein Schicksal ruft!"Aber war, selbst bei dieser Ueberzeugung, das Bild seiner erscheinenden Mutter, die ihm so erschien, als wie er sie im Sarge gesehen hatte, und war die wahnsinnige Schauergestalt Agathens nicht im Stande, ihn auf immer von der Wolfsschlucht wegzuziehen, obgleich Satan diese Erscheinungen selber als Lockmittel gebraucht hatte? Sah er sie in einer wahren Geisteszerrüttung, wo aus der Seele erzeugte Phantome als äußere Gestalten vor ihm erscheinen, so war er zu bedauern, und wir würden uns nicht wundern, warum er in solcher Geisteszerrüttung, wo der Mensch zu entgegengesezten Extremen getrieben wird, noch sein tieferes Verderben suchte; sah er sie aber noch mit einiger freien Besonnenheit und Geistesgegenwart, so vermehrt sich für uns die ¦ Schwierigkeit, einzusehen, wie er bei dem vorgemachten Gaukelspiele durch diese so geliebte Gestalten, durch die Gestalt seiner abgeschiedenen Mutter und durch die des Mädchens, seiner Braut, für die eben jezt er alles wagen wollte, nicht für immer gewarnt und abgeschreckt wurde. Was sollte die Mutter hier? die hat keine sichtbar bestimmte Bedeutung. Etwa weil Agathe durch das Ahnenbild des Altvaters Kuno gewarnt worden war? Ja Max erscheint in diesem Falle, da er dennoch herunterkömmt in die Wolfsschlucht, verbergen läßt es sich nicht, mit einiger Schlechtigkeit. Wenn das nur ein bloßer Fehltritt seyn soll, dann läßt sich wohl alles in der Welt vertheidigen! Die einzige Entschuldigung, die wir hier für ihn aufbringen können, ist seine eigene. Er glaubt nämlich, wenn er die Kugeln nicht selbst gösse, so habe er keine Schuld. "Es sey wider die Abrede" sagt er zu Kaspar, der ihn in den Zauberkreis hereinbegehrt, obgleich Kaspar schon vorher ihn mit den Wortem‡ ermuthigt hatte: "die Kugeln zu gießen sey ein Kinderspiel, nachdem er bereits eine Kugel verschossen." So scheint er also das Ganze noch für unschuldig zu halten und Kasparn früher nicht recht verstanden zu haben, als dieser zu ihm sagte: "glaubst du, der Adler sey dir geschenkt!" Max fragt: "Was hab’ ich zu thun, Hezenmeister‡?" Das ist mit Verachtung gesprochen, er will nicht recht Theil an der Beschwörung haben. Jezt sagt Kaspar zum bangen Max: "Umsonst ist der Tod! Nicht ohne Widerstand schenken verborgene Naturen dem Sterblichen ihre Schätze!" Max konnte also glauben, daß wohl Gefahr mit dem Unternehmen verbunden sey, aber für Sünde konnte er’s nicht halten. Als Sünde war es im Vorgehenden nicht genug aufgenommen und dazu geprägt worden.
(Die Fortsetzung folgt.)
Editorial
Summary
Aufführungsbesprechung Karlsruhe, Großherzogliches Hoftheater: “Der Freischütz” von Carl Maria von Weber (Teil 3 von 6). Die ersten beiden Teile erschienen in den vorigen Beilagen, die drei weiteren Teile folgen in den Beilagen 16, 21 und 23.
Creation
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Responsibilities
- Übertragung
- Fukerider, Andreas
Tradition
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Text Source: Charis. Rheinische Morgenzeitung für gebildete Leser, Jg. 2, Nr. 13 (24. August 1822)