Aufführungsbesprechung Leipzig, Neues Theater: “Die drei Pintos” von Carl Maria von Weber am 20. Januar 1888

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Musik.

Neues Theater.

Die erste Aufführung von Weber’s nachgelassener Oper „Die drei Pintos“ in der Bearbeitung von Weber-Mahler.

Leipzig. 21. Januar. Ein selten glänzendes Fest – denn nur mit diesem Namen läßt sich der Charakter des ¦ gestrigen Theaterabends kennzeichnen – hatte gestern ein ungemein zahlreiches erwartungsvolles Publicum in unser Theater gezogen. Man darf sagen, daß ganz Deutschland vertreten war; und wenn es eines Beweises für die Zauberkraft des Namens Weber bedürfte, so hätte man einen nachdrücklicheren sich nicht wünschen können, als die gestrige Aufführung von „Die drei Pintos“. Bezeichnend für die Popularität des urdeutschen Componisten ist auch das Interesse, welches man der Kunde widmete, daß die nachgelassene Oper endlich die ersehnten Bearbeiter gefunden habe: sämmtliche europäische Zeitungen registrirten die Nachricht, sandten auch Fachverständige zur Information an Ort und Stelle, und so kam es, daß „Die drei Pintos“ populär wurden, ehe sie noch das Licht der Oeffentlichkeit erblickten. Wer würde sich nicht dieses dem liebeswürdigen Tondichter gewidmeten Interesses freuen! Wer würde nicht aufrichtig wünschen, daß mit der komischen Oper „Die drei Pintos“ dem Meister ein neues schönes Denkmal gesetzt würde! Ueber das Werk selbst erschienen einige ausführliche informirende Artikel an dieser Stelle. Der Verfasser derselben gesteht die Schwierigkeiten zu, die der Text einer Bearbeitung entgegenstellte. Herr von Weber hat sich augenscheinlich demselben nicht ändernd, sondern nur verbessernd gegenübergestellt, und so kommt es, daß das Textbuch trotz allen Geschickes seines Bearbeiters doch noch offenbare Schwächen zeigt. Dieselben concentriren sich in der Anhäufung von Nebensächlichem, das oft den Gang der Handlung hindert. Zum Beweise seien nur die ersten Scenen der Oper angeführt. Der studentische Aufzug, der verschmitzte Wirth und seine hübsche Tochter haben mit der Handlung nichts zu thun und verschwinden auch spurlos mit dem Ende des ersten Actes aus dem Stück. Der Tochter des Wirths gegenüber ist dies weder galant, noch klug; die niedliche Sängerin zieht die Aufmerksamkeit so auf sich, daß man ihr gern weiteren Spielraum im Stücke gewähren möchte. Auch mit dem zweiten Acte rücken wie dem Kernpuncte des Stückes, der durch das Auftreten von „drei Pintos“, von denen jeder echte zu sein vorgiebt, gewonnen wird, nicht näher. Beide Acte sind nur Einleitungen zum dritten, und als dieser endlich erscheint und mit ihm die drei Pintos, so geschieht immerhin wenig genug: der erste Pinto verschwindet schnell auf Nimmerwiedersehen, und Pinto Nr. 2 führt die Braut heim. Eine Reihe komischer Situationen, von denen einige sich auf Kosten der Handlung sehr ausbreiten – man denke die Scene, in welcher der Pinto durch Don Gaston und seinen Diener im Brautwerben unterrichtet wird –, dann eine Anzahl musikalischer Ruhepuncte müssen ersetzen, was der Handlung an Reiz abgeht. Herr von Weber, der Bearbeiter des Textes, vermochte trotz allen aufgewendeten Geschickes daran nichts zu ändern, der ursprüngliche Entwurf sollte stehen bleiben, und so mußten die vielen Nebendinge, die sich an musikalische Entwürfe des Meisters festklammern, mit in den Kauf genommen werden. Trotzdem müssen die Bemühungen des Herrn von Weber unumschränkt anerkannt und ihm das Verdienst zugesprochen werden, das der Vergessenheit anheim gegebene Werk zur Kenntniß des deutschen Publicums gebracht zu haben. Ebenso bereitwillig darf man die intelligente musikalische Arbeit des Herrn Mahler anerkennen. Wenn ich auch nicht der Meinung beipflichten kann, daß Meyerbeer die Oper aus Unfähigkeit liegen ließ, und auch nicht glauben mag, daß eine Reihe hervorragender Musiker die Arbeit nicht unternehmen wollte, weil sie nicht eben so viel Kraft als Herr Mahler in sich gefühlt haben, so bleibt die musikalische Bearbeitung des Herrn Mahler doch eine That, die allen Respect herausfordert.

Ueberall ist es ja nicht gelungen, das Ganze stillvoll ganz im Geiste Weber’s zu gestalten, und namentlich könnte die Instrumentation oft viel einfacher sein. Aber der erste Act, in dem jedes einzelne Stück eine musikalische Perle ist, bietet die vollsten Beweise, daß Herr Mahler es verstand, sich ganz den Intentionen des Tondichters zu fügen, wenn sie nur deutlich erkennbar vorgezeichnet waren. Das wunderhübsche Vorspiel zum zweiten Acte, ein Rückblick auf den musikalischen Inhalt des ersten, ist wohl ganz aus Herrn Mahler’s Feder geflossen. Es ist eine der schönsten Stellen des ganzen Werkes, und Herr Mahler hat mit ihm ein glänzendes Document musikalischer Befähigung in unsere Hand gelegt. Die weiteren Beziehungen der Mahler’schen Arbeit zum Weber’schen Entwurfe wurden genügend gekennzeichnet, auch ihm, dem musikalischen Bearbeiter, gebührt für seine eben so sorgfältige als hochintelligente Arbeit der Dank der musikalischen Welt.

Mit der Aufführung hat unsere Direction dem Buche ihrer Wirksamkeit ein neues schönes Blatt eingefügt. Die Darstellung war glänzend in jeder Beziehung. Frau Baumann zeigte sich leider indisponirt, aber man ist ihr zu Dank verpflichtet, daß sie trotz des Unwohlseins die Aufführung nicht im Stiche ließ. Ihre Clarissa wird in Zukunft eine Glanzleistung sein, Frau Baumann zeigt sich für so anmuthsvolle musikalisch feine Aufgaben wie geschaffen. Frl. Artner findet in der Laura ein Gegenstück zu ihrem vortrefflichen Aennchen, während Fr. Rothauser die Rolle der Inez ohne Vorbild schaffen mußte. Mit wieviel Glück das geschah, zeigte der sehr reiche Beifall nach der vorgetragenen Romanze vom Kater Mansor. Vortrefflich bei Stimme und Laune waren die Vertreter der männlichen Rollen, von denen Herrn Hedmondt die bedeutungsvollste Rolle zufällt. Herr Hedmondt sang und spielte mit überlegenem Humor und stattete die Partie mit so viel feinen Zügen aus, daß man sein Vertrautsein mit Weber’s Eigenthümlichkeiten überall herausfühlte. Der Don Pinto wurde in urkomischer Weise durch Herrn Grengg verkörpert; man kam aus dem Erstaunen über die sehr gelungene Auffassung nicht heraus. Herrn Grengg’s Pinto dürfte Urtypus dieser Gestalt werden. Herr Schelper fand im Ambrosio keine allzu dankbare Aufgabe; was er der Rolle abzwang, machte seinem Genie alle Ehre. Die Regie führte Herr Director Staegemann in eigner Person; wer wollte da an der Vortrefflichkeit des Gebotenen zweifeln? Das Orchester, welches unübertrefflich spielte, leitete Herr Mahler mit der ihm als Bearbeiter zukommenden Ueberlegenheit; einige kleine Unsicherheiten brachte wohl die Aufregung der Premiere mit sich. Der Erfolg des ersen Actes war ein stürmischer, mit den Darstellern wurden die Bearbeiter, von denen nur Herr Mahler erschien, nebst dem Director viele Male gerufen. Der zweite Act fand weniger Anklang, nach dem dritten Acte wiederholte sich der Erfolg des ersten, man hatte eine Büste von Weber aufgestellt und leitete pietätvoll den Beifall auf den ursprünglichen Schöpfer des Werkes hin. Dem Enkel desselben wurde durch Herrn Hedmondt der wohlverdiente Lorbeer überreicht. Die Zukunft wird zeigen, ob die Oper lebensfähig ist. Sollten sich die Hoffnungen der Weber-Freunde erfüllen, dann hätten sich die Herren Mahler und C. von Weber ein unvergängliches Verdienst erworben. (Wir hegen sicherlich die Hoffnung, daß sich das prächtige Werk mit seiner frischen, gesunden Melodik auf den deutschen Bühnen erhalten wird. Die Red.)

M. Krause.

Editorial

Summary

Bericht zur Uraufführung der drei Pintos in der vollendeten Fassung von Gustav Mahler in Leipzig. Die Beurteilung fällt insgesamt positiv aus, das Libretto wird aber deutlich kritisiert.

Creation

Responsibilities

Übertragung
Amiryan-Stein, Aida

Tradition

  • Text Source: Musik. Neues Theater, in: Leipziger Tageblatt und Anzeiger. 5. Beilage, Jg. 82, Nr. 22 (22. Januar 1888), pp. 451

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