Aufführungsbesprechung Leipzig, Neues Theater: “Die drei Pintos” von Carl Maria von Weber am 20. Januar 1888
Auswärtige Stimmen über „Die drei Pintos“.
I.
*Herr Ludwig Hartmann aus Dresden berichtet (telegraphisch) über die erste Aufführung der Oper: „Die drei Pintos“ in der „Sächsischen Landeszeitung“ Folgendes: „Leipzig, 20. Januar 1888. Carl Maria v. Weber’s hinterlassene komische Oper hat einen schwer zu beschreibenden, aus Rührung und entzückendem Humor gemischten Bühenerfolg gehabt. Daß des großen todten deutschen Meißters Testament solche Schätze enthalten würde, hat wohl Niemand geahnt. Die Melodien der sieben total Weberschen Hauptnummern, welche nicht in einem Acte vereint sind, sondern durch stimmische drei Acte sich vertheilen, sind von einer Herrlichkeit und einem Liebreiz, wie sie in Euryanthe und Oberon nicht größer sein können. Was aber in diesen Werken und im Freischütz nur aderweise auftritt, das durchströmt dieses kostbare Werk in vollen Zügen. Es enthält den feinsten Musikhumor, der je geschrieben worden ist, und riß zu gerührtem Entzücken hin. Was ist alle neuere Production | gegen diese Fülle von Geist, Anmuth und Schalkhaftigkeit! Die Textumdichtung durch Hauptmann C. v. Weber bewährte sich vollkommen. Die Handlung ist gerade nicht drängend reich, aber geschickt und fesselnd, noch ganz von der Musik abgesehen: der erste und dritte Act sind am lustigsten, der zweite hat im Musikausdruck die idealsten Momente. Die Completierungs-Arbeit Mahler’s ist beinahe unfaßbar, seines Aneignungsvermögens wegen. Er denkt und fühlt Webersch bis zur Sinnestäuschung. Kein Genie, kein Wagner, noch Meyerbeer hätte dies leisten können; denn jedes Genie prägt seinem Schaffen die Eigenart auf. Wagner’sche und Meyerbeer’sche Eigenart aber wäre hier vom größten Nebel gewesen. Herr Mahler hat mit wundersamem Talent sich selbst verleugnet, und so ist, auch was er höchst verdienstlich auf Eigenem hat einschalten müssen, völlig Webersch anempfunden. Nur eine Stimme herrscht über von Weber’s, des Enkels, und Mahler’s pietätvolle und stupend wirksame Arbeit, welche dem deutschen Theater ein ungeahntes Meister Max Staegemann mit aller Energie für dies Meisterwerk eintrat und sofort den Ideen, welche so lange geschlummert haben, das blühendste Leben verschuf, ist eine entschieden glänzende Tat in der Theatergeschichte. Sänger und Orchester (Dirigent: G. Mahler) übertrafen sich selbst. Frau Baumann, Herr Hedmondt, Herr Hübner, Herr Schelper, Frl. Artner, Frl. Rothauser, Herr Grengg und Herr Köhler waren fast gleich ausgezeichnet und die Chöre geradezu bewundernswerth. Die ganze Vorstellung, an welcher Capacitäten aus ganz Deutschland theilnahmen, wie sie selten wieder zusammenkommen, darf als ein Ereigniß bezeichnet werden.“
Editorial
Summary
Bericht zur Uraufführung der drei Pintos in der vollendeten Fassung von Gustav Mahler in Leipzig
Creation
–
Responsibilities
- Übertragung
- Amiryan-Stein, Aida
Tradition
-
Text Source: Auswärtige Stimmen über “Die drei Pintos”, in: Leipziger Tageblatt und Anzeiger. 5. Beilage, Jg. 82, Nr. 22 (22. Januar 1888), pp. 451–452