Aufführungsbesprechung Karlsruhe: “Preciosa” von Carl Maria von Weber im November 1821
(Fortsetzung.)
Zuerst unläugbare Thatsachen: Den allgemeinen Beyfall haben sich die erwähnten drey neuen Stücke in folgender Rangordnung erworben: 1) Preciosa; 2) Kassius und Phantasus; 3) Fluch und Segen. Im ersten Stück war bey allen drey Vorstellungen* das Haus gedrängt voll; es wurde vielfach, sowol‡ dem Ganzen, als einzelnen Reden, der Musik und dem Tanze, ja selbst den Dekorationen lauter Beyfall gezollt, und nach der ersten Aufführung Mad. Neumann (Preciosa) hervorgerufen. Bey dem zweyten Stück war das Haus in beyden Vorstellungen durchaus gefüllt; es wurde weder so häufig noch so stark geklatscht, desto mehr aber gelacht; die Aufmerksamkeit war gespannt; es wurde Niemand gerufen, aber es war nach der Aufführung in der Stadt mehr Gespräch über dieses Stück, als über das erste. Das dritte Stück wurde mit ausgezeichneter Stille angehört, die nur von lauten Thränen unterbrochen ward, und endete unter nicht rauschendem aber herzlichen Beyfall; es ¦ ist bis jezt nur einmal gegeben; das Haus war mäßig besezt. Da nun Hr. Wolff, Hr. Robert und Hr. v. Houwald, alle drey, ihre beabsichtigten Wirkungen: Applaus, Gelächter, Thränen genugsam hervorgebracht haben, so werden sie vermuthlich und gerechterweise mit großer Beruhigung von der Höhe des Gelingens auf ihre Kritiker herabsehen; und dieses freut Referenten herzinniglich, weil er nun, durch ihre Beruhigung beruhigt, Tadel aussprechen und nicht befürchten darf, weder ihren Unmuth zu erregen, noch ein wohl erworbenes Verdienst zu schmälern. – Hrn. Wolffs romantisches Schauspiel ist im buchstäblichen Sinne Schauspiel; ein hauptsächlich für die Augenlust eingerichtetes Spiel, und das einige, was auch dem Ohr geboten wird, so mit Musik verziert, daß sich der Zuschauer zwischen der Oper und dem Drama auf einem nicht behaglichen Indifferenz-Punkte befindet, wo er stets wünscht, bald daß das Drama eine Oper, bald daß die Oper doch ein Drama seyn möchte. Die Fabel braucht hier nicht erzählt zu werden, da sie schon durch andere Berichte vollkommen bekannt ist; auch hat A. Schreiber (Referent erinnert sich nicht wo) eine ganz ähnliche erzählt; dort war aber die alte Zigeunerin die verlassene Geliebte des Grafen, sie stiehlt Preciosa aus Rachsucht: ein Motiv, das der talentvolle Dichter sich nicht hätte sollen entgehen lassen. Ein talentvoller Dichter muß Hr. Wolff genannt werden, weil er es verstand, dieses Schauspiel mit vielem Geschmack, bey technischer Bühnenkenntniß zu schmücken, so daß selbst die Schaulust der Gebildeten befriedigt wird. Diese aber werden dennoch fragen, warum er die Schaulust befriedigen wollte, warum er der Mode des Tages huldigt, den waltenden Irrthümern schmeichelt? Zu diesen Irrthümern gehört nicht nur die Pracht ohne Nothwendigkeit, wie z. B. die Dekoration des letzten Aufzugs, sondern auch die übermäßige, allesverschlingende Lyrik, die Reminiscenzen von beliebten Karakteren und Tiraden, so daß Preciosa nur die Jungfrau von Orleans, Korinna, Sappho, Hedwig, und sogar ein wenig die kleine Zigeunerin ist, die Roxelane in den Sultaninnen nicht zu vergessen, da sie ja auch ihre Sing- und Tanzkunst produziren muß. Unter den Einzelnheiten ist die eigentliche Improvisation das schwächste und selbst in der Form verfehlt, welche frey und doch kunstreich-dithyrambisch seyn sollte; dagegen ist die Stelle, wo Preciosa das Antlitz des Geliebten deutet, musterhaft, und befriedigte auch am allernatürlichsten. Alle jene zusammengestellte Einzelnheiten locken nun und reizen die Menge, die sich der bekannten Anklänge, der lyrischen und scenischen Pracht in bequemer Behaglichkeit freut; und nur Wenige fragen: Ist mit diesen Einzelnheiten auch der Kunst Genüge geleistet? Ist das provinzielle und häusliche Leben der Spanier mit so wahrhaftem und lebendigem Kolorit dargestellt, daß es hier auch dem verständlich wird, der die Novellen des Cervantes nicht gelesen hat? Dem talentreichen, berühmten Maria v. Weber muß Referent dieselben Fragen machen: Ist die Musik charakteristisch spanisch? Ist es z. B. die Romanze, sind es alle Tänze? – Ist der Chor mit dem Echo, so schön, so wirksam er auch ist, nicht ächt deutsch, so ächt, daß ihn die Lüzower singen könnten? Freylich dürfte der bewährte Musiker mit Fug und Recht erwiedern: „Wie leicht wäre es mir gewesen, national-charakteristisch zu seyn!“ Aber ist es denn künstlerisch-nothwendig, sich’s schwer zu machen? – Bey allen diesen Einwendungen, die Referent theils im Publikum hörte, und die theils von ihm selbst herrühren, bleibt dennoch Preciosa, wenn gleich keine großartige, doch eine recht angenehme Erscheinung auf der Bühne. – Von der Darstellung zu sprechen erlaubt heute der Raum nicht; nur so viel sey gesagt, daß Mad. Mittel in der Rolle der alten Zigeunerin ihre Aufgabe vollkommen löste.
(Der Beschluß folgt.)
Editorial
Creation
–
Responsibilities
- Übertragung
- Amiryan-Stein, Aida
Tradition
-
Text Source: Morgenblatt für gebildete Stände, Jg. 15, Nr. 292 (6. Dezember 1821), pp. 1168