Aufführungsbesprechung Wien, Kärntnertortheater: “Wirt und Gast, oder Aus Scherz Ernst” von Giacomo Meyerbeer am 20. Oktober 1814
K. K. Hoftheater nächst dem Kärnthnerthor.
(Anonym eingesendet).
Am 20. Oktober wurde zum ersten Mahl gegeben: „Die beiden Kalifen,“ eine komische Oper in drei Aufzügen, von Wohlbrück. Musik von Meierbeer.
Diese Oper ist nach einem längstvergessenen französischen Stücke gemodelt, und hat weder Neuheit, noch sonst ein dramatisches Verdienst. Die Intrigue ist veraltet und schleppend durchgeführt. Es beleidigt wirklich das Gefühl der Verehrung, welches in unseren Herzen für die großen Männer der Vorzeit glüht, wenn man sehen muß, wie ein Harun al Raschid zum Gegenstand eines höchst mittelmäßigen Machwerks mißbraucht wird. Möchten doch die schlechten Dichter und deren Uebersetzer sich nur an geringfüge‡ Personen wagen, statt Männer im Grabe zu beunruhigen, deren Verewigung die Muse der Geschichte schon längst übernommen hat. – Die Musik hat glückliche Ideen, die kein gewöhnliches Talent verrathen. Jedoch scheint uns das Akkompagnement etwas überladen. Das Streben, neu und originell ¦ zu seyn, ist auch deutlich mit im Spiele. Daher die häufigen Dissonanzen, die besonders in den Singstimmen vorherrschen. Im Ganzen verdiente jedoch die Musik um ihrer Gründlichkeit willen mehr Würdigung, als ihr das Publikum zu zollen schien. So sehr ist es wahr, daß auf der Bühne die Musik mit dem Inhalt der Oper und dieser mit der Musik im widersprechenden Verhältnisse steht. Das Bessere sinkt mit dem Schlechteren, aber leider ist das Bessere nicht im Stande dem Schlechteren aufzuhelfen. Wenn das Publikum einmahl Langweile‡ zu empfinden anfängt, so nimmt es keine Rücksichten mehr, und behandelt den Dichter und den Kompositeur mit gleichem Kaltsinn. Daher wurde der erste Chor, der wirklich vortrefflich ist, mit Enthusiasmus aufgenommen. Das Publikum hatte noch keine Langeweile empfunden. Von den folgenden Musikstücken wurde, obschon mehrere vorzüglich waren, nur eine Arie des Abimelech‡ mit besonderem Beifall ausgezeichnet.
Die Aufführung war nicht allerdings befriedigend. Herr Weinmüller (Harun al Raschid) war in Rücksicht des Spiels so lange | vortrefflich , als er unter seiner Verkleidung nicht ein Kalif seyn durfte. Als Kalif aber fehlte ihm durchaus die Mäjestät‡ eines Herrschers. Sein Gesang war trefflich. Er intonirte nie falsch, ein Umstand, der (leider!) diesesmahl ein ausgezeichnetes Verdienst war. – – Herr Forti (Abimelech‡) gab diesen türkischen Prasser recht artig. Es steht ihm wirklich eine natürliche Munterkeit und Unbefangenheit zu Gebothe, die ihm auf der Bühue‡ sehr zu statten kommt. In größeren Momenten, wo es auf tieferes Studium ankam, sahen wir ihn freilich wo nicht scheitern, doch wenigstens ein Bischen an den Strand laufen, allein bei seinem Fleiße kann es ihm nicht fehlen, wieder flott zu werden, und an den Klippen der Kunst ungefährdet und rühmlich vorbei zu segeln. Er sang, wie immer, tonvoll und schön.
Demoiselle Buchwieser – – Doch man erlaube mir zuvor eine kleine Abhandlung, die sehr zur Sache gehört. Die Stimme (ich meine die, welche zum Gesang gehört) ist eine in der Organisation der Kehle und Brust liegende Eigenschaft, vermöge welcher man die Töne in einem höheren Grade von Fülle, Stärke und Vollkommenheit hervorzubringen im Stande ist, als zur gewöhnlichen Rede erfordert wird. Eine richtige Verbindung und Abstufung der Töne nach den Regeln des Wohlklangs heißt Gesang. Es ist die Ordnung der Natur, daß jede Organisation sich endlich aufreibt, und die Zerstörung liegt im Keime der ganzen Körperwelt. Die Achse am Wagen nützt sich nach und nach ab, die Stimme in der Kehle erfährt ein gleiches Schicksal, und keinem Vernünftigen wird es einfallen, das Gesetz der Natur anzuklagen. Allein wenn die Achse einmahl abgenützt, wenn die Stimme zu Ende gesungen ist, dann ist es Zeit, eines wie das andere dem ferneren Gebrauche zu entziehen, wofern man ¦ sich nicht der Gefahr aussetzen will, mit dem einen wie mit dem andern übel zu fahren. – Dieß ist unser Rath an Demoiselle Buchwieser. Es ist nicht zu vermuthen, daß das Publikum uns hierinn eines zu strengen Urtheils zeihen werde. Noch weniger wird Demoiselle Buchwieser selbst unsere Aufrichtigkeit verkennen. Wahrheit ist unser unverbrüchliches Gesetz, und Nebenrücksichten gehören nicht in ein kritisches Blatt. Wir haben die großen Verdienste der Demoiselle Buchwieser von jeher gewürdigt, und wir erinnern uns mit Entzücken ihres herrlichen Gesangs. Um ihres eigenen Ruhmes willen nähren wir die Hoffnung, diese Künstlerinn werde unserm ungeheuchelten Wunsch willfahren. Welch eine herrliche Aussicht eröffnet sich ihr im Gebiethe Melpomenens und Thaliens! Ist sie nicht schon von lange her die würdige Priesterinn dieser beiden Musen? Werden sie ihre neue Eingeweihte nicht doppelt lieben, wenn sie dem Reich der Gesänge gänzlich entsagt haben wird? Willkommen, Lady Macbeth! wird Melpomene, willkommen Turandot! wird Thalia ausrufen; bleibe bei uns, holde Künstlerinn, werden beide sagen, sei künftig unsre Gonerill und unsre Gurli, unsre Maria Stuart und unser Mädchen von Marienburg! –
Herr Krüger gab die Rolle des ältesten Imans, und spielte also heute in der Oper. Wir wissen diesem trefflichen Künstler Dank, daß er sich die Mühe einer Darstellung außer seinem Wirkungskreise nicht reuen läßt. Dieß verräth einen löblichen Eifer für die Emporhebung des Ganzen, ohne Rücksicht auf seine eigene Individualität. Er gab den Charakter vortrefflich.
Die übrigen Rollen sind unbedeutend.
Die Dekorationen waren schön. Besonders überrascht der Mechanismus der Schlußdekoration.
Editorial
Creation
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Responsibilities
- Übertragung
- Aida Amiryan-Stein
Tradition
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Text Source: Wiener allgemeine Theaterzeitung und Unterhaltungsblatt für Freunde der Kunst, Literatur und des geselligen Lebens, Jg. 7, Nr. 116 (27. Oktober 1814), pp. 461–462