Besprechung der ersten Aufführungen des Oberon in Güstrow am 27./28. Mai 1829
[…] Ganz neu traten ¦ ausser einigen Kleinigkeiten nur auf: Oberon und der Schnee. Sie also, bei denen auch das Haus theils ganz, theils ziemlich besetzt war, müssen hier vorzugsweise zur Rede kommen; besonders da unser Publikum mit dem scharfen Kritiker in No. 542 d. Bl. nicht allenthalben übereinstimmt*.
Wir vermissen nämlich im Oberon keineswegs eine zusammenhängende Handlung, noch weniger eine, durch das ganze Stück durchlaufende Idee. Die Idee ist unstreitig diese: Unerschütterliche Liebe und Treue findet in den größten Gefahren einen höheren Schutz und bleibt auch bei den schwersten Leiden durch sich selbst glücklich, diese Idee scheint uns, nach der allerdings zum Grunde liegenden, unübertrefflichen Dichtung Wieland’s, hier vollkommen durchgeführt; alle einzelnen Handlungen beziehen sich, in einer völlig befriedigenden Steigerung, nur auf sie, und sie wurde, da Dem. Bianchi (Geist Droll) die Exposition sehr deutlich vortrug, auch durchaus klar. Daß Planché die doppelte Aufgabe für Hüon, die Backenzähne und Barthaare des Kalifen mitzubringen, hier wegließ, kann nur gelobt werden. Denn sie sagt dem ernsteren Gedichte, was Wieland’s nicht seyn will, nicht zu, und wird nach dem letzteren nicht durch Hüons Thätigkeit, sondern allein durch Oberons Zaubermacht gelöst, gehört mithin nicht in das Drama. Gleich lobenswerth erscheint das Verschweigen der von den beiden Liebenden auf dem Schiffe begangenen Uebereilung, da dieß nur einen störenden Schatten auf sie geworfen, und die Darstellung ihrer, in dem Gedichte so schön ausgeführten Buße die Handlung auf der Bühne unnöthig gedehnt haben würde. Uebrigens bleibt die dramatische Behandlung eines lyrischen oder romantischen Stoffs immer eine undankbare und den Forderungen der Aesthetik widerstrebende Arbeit. An dieser Klippe scheiterte auch der geistvolle Clauren bei der Umwandlung seiner eigenen Dichtungen. Im Oberon fällt, da die Hauptsache – die Einheit der Handlung – nach dem Vorgesagten beobachtet ist, die Verletzung der beiden andern Einheiten des Aristoteles weniger auf, weil die Versetzung der handelnden Personen im Ort und in der Zeit stets durch die Zauberkraft Oberons und seiner dienenden Geister geschieht und daher der Phantasie, die man freilich zur Lesung oder Anhörung eines romantischen Gedichts immer mitbringen muß, keinen Zwang auferlegt.
Th. Hell’s Bearbeitung des Textes läßt unstreitig für die Kritik in Hinsicht der Diktion und Metrik vieles zu wünschen übrig. Allein man muß bedenken, daß vor ihm schon der englische Text vom Komponisten in Musik gesetzt war und er nun dieser Musik seine Worte aneignen mußte. Wer sich jemals mit einer ähnlichen Arbeit befaßt hat, der kennt die großen Schwierigkeiten derselben. Das Genie führt zwar mit Leichtigkeit in der Poesie alle zwölf Arbeiten des Alziden aus. Allein: Homo sum etc.* sagte schon Terenz.
Ueber K. M. v. Weber’s Musik urtheilen – sei es nun lobend, tadelnd, vergleichend, oder gar zergliedernd – heißt eine Ilias post Homerum dichten. Wir wollen uns dieser Sünde nicht theilhaftig machen. Es möchte uns sonst ergehen, wie den Chemikern: die Materie geht in der Form unter. – Die Darstellung der Musik zum Oberon vor und auf unserer Bühne betreffend, können wir nach zweimaliger Anhörung nicht finden, daß irgend ein Tempo zu schnell oder zu langsam genommen worden sei. Bei der ersten Aufführung passirten unleugbar einige Schwachheiten im Orchester und auf dem Theater. Sehr erklärbar und zu entschuldigen aber dadurch, daß unser Orchester nur aus unserm, übrigens sehr geachteten, Hrn. Stadtmusikdirektor Bierwerth* und dessen Gehülfen nebst einigen Dilettanten besteht, welche mit einem bedeutenden Aufwande von Zeit und Mühe erst zusammen eingeübt werden müssen. Die zweite Vorstellung löschte jeden Flecken der ersten aus.
Durch die Veranlassung aufgefordert, können wir hier nicht unbemerkt lassen, daß jeder Vorwurf, den man wegen einer Opern-Aufführung dem Hrn. Musikdirektor Romberg* machen möchte, im höchsten Grade ungerecht ist. Wenn dem Manne aufgegeben wird, binnen vier Wochen eine neue Oper, zumal von Weberscher Komposition, mit den Sängern und Instrumentisten einzustudiren; so verlangt man eine musikalische Unmöglichkeit. Doch leistet derselbe in diesem Zeitraume, ¦ was Menschen und Musik-Direktoren vermögen. Zugleich ist hier der Ort, zu sagen, was längst hätte gesagt werden sollen, dem stillen Verdienste aber stets versagt worden ist: daß nämlich jeder Beifall, der den Sängern auf den Brettern gezollt wird, eigentlich nur dem Hrn. Romberg gehört. Unsäglich ist die Mühe, welche er sich mit diesem Personal geben muß, das – rühmliche Ausnahmen abgerechnet – zum Theil keine Note kennt, zum Theil gar kein Gehör hat. Man denke sich vollends die Duette, Terzette &c., überhaupt alle Ensemble-Stücke. Erstaunen erregt es in sofern, wenn man die Leistungen hört.
Wir können die Darstellung des Oberon vom Hrn. Ritschel nicht tadeln. Seine Figur eignet sich ganz für dieses zarte idealische Wesen; seine angenehme hohe Tenorstimme, welche sich freilich der Fistel, jedoch immer auf eine gefällige Art, bedient, sagt dem zu, und sein Vortrag des Dialogs verband sehr glücklich den Ausdruck der unumschränkten Geistermacht und der, dem Menschen sich mehr nähernden, Milde und Trauer. Ein heroischer Vortrag würde hier sehr an der unrechten Stelle gewesen seyn. Besonders gelang ihm die Schlußszene unter den Elfen. – Um ihn nicht überall selbst zu bemühen, sind ihm hier zwei Geister sehr passend untergeordnet, welche von Mad. und Dem. Bianchi in Kostüme, Gesang und Spiel befriedigend dargestellt wurden. – Der Dem. Conradt (Rezia), welche sichtlich in ihrer Kunst fortschreitet, theilen auch wir den Preis in dieser Oper zu. Wir finden ihre Stimme aber nicht zu schwach, wol aber in der Höhe zu scharf. – Nicht so Hr. Hanßen, der als Hüon zwar eine kräftige, frische Tenorstimme ohne Fistel hören ließ, und auch den Gesang (mit Ausnahme des Gebets) ziemlich seinem Karakter gemäß vortrug, im übrigen aber sehr matt und fast geistlos spielte, welches bei dem heldenmüthigen, exzentrischen Hüon vorzüglich zu bedauern war. – Gefällig und treu waren dagegen Gesang und Spiel der Mad. Becker (Fatime). Sie zeigte keineswegs eine gewöhnliche Soubrette, eben so wenig aber auch ein bloßes Kind der Wüste, welches sie, bereits lange am Hofe des Kalifen im vertrauten Umgange mit der Prinzessin lebend, nicht seyn kann und soll, vielmehr eine unschuldige, heitere, ganz dem Glück ihrer Gebieterin sich widmende, Vertraute, was sie seyn soll. Nach dieser Ansicht tanzte sie zu Schwerin im Schlußchor mit – nicht von dem Zauberhorn, sondern von der jugendlichen Munterkeit bei dem Anblick so vieler Tänzer getrieben. Aus gleicher Quelle entsprang der entre-chat bei ihrer, jedesmal sehr gelungenen, Arie: „Arabien, mein Vaterland“. Bei uns ließ sie, stets freundlich auf freundlichen Rath hörend, der möglichen Mißdeutung wegen, beides hinweg. Ergötzlich war noch die Szene, wo die Probe des Zauberhorns sie zum unwiderstehlichen Lachen reizt. Sie zwang das ganze Publikum zu einem unwillkührlichen Lach-Chorus. – Hr. Naumann nahm den Scherasmin, der Rolle getreu, bei der zweiten Darstellung jünger und munterer, wie das erste Mal. Hier tritt nämlich nicht der Wielandsche Scherasmin auf, sondern „ein junger, munterer Bursche“, wie Fatime sagt. Sein Gesang gefiel sehr, besonders das Duett: „An den Ufern der Garonne“. – Die Chöre wurden im ganzen ziemlich gut ausgeführt und die Tänze glückten sehr. – Auffallend war es übrigens, mit wie wenigem Interesse diese neue Oper von unserm Publikum aufgenommen wurde. Das erste Mal hatte sich das Haus durch die vielen Fremden sehr gefüllt; das zweite Mal war es leer. Nur einzelne Arien der Rezia und Fatime erhielten eine laute Beifallsbezeugung. Vom Rufen war nicht die Rede.
[…]
Editorial
Creation
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Responsibilities
- Übertragung
- Frank Ziegler
Tradition
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Text Source: Freimüthiges Abendblatt, Jg. 11, Nr. 546 (19. Juni 1829), col. 516–518
Commentary
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“… Allein: Homo sum etc .”„Homo sum, humani nihil a me alienum puto“ (lat.: Ich bin ein Mensch, nichts Menschliches, denk ich, ist mir fremd.) aus der Komödie Heautontimoroumenos (dt. „Der Selbstquäler“) des Dichters Terenz (Vers 77).
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“… sehr geachteten, Hrn. Stadtmusikdirektor Bierwerth”Carl Bierwirth bzw. Bierwerth, Stadtmusikus von Güstrow, Krakow und Lage.