Aufführungsbesprechung Hamburg: “Oberon” von Carl Maria von Weber am 12. September 1829
Hamburgische Theater-Zeitung.
Stadt-Theater.
Sonnabend den 12. September: Oberon, König der Elfen, Oper in 3 Aufzügen von C. M. v. Weber.
Mad. Krans‡-Wranitzky: Rezia.
Genug und schon zuviel ist über diesen Benoni* unsers genialen Webers und über dessen romantische Musik gesprochen und geschrieben worden; es wäre daher unnütz, mit Hyperbeln und strotzenden Musikfloskeln tausendmal Besprochenes wiederzukäuen, wie es eine bekannte Gattung Thiere, die nicht als Symbol des Verstandes dienen, zu thun pflegt. Sey es uns daher nur vergönnt, einiges über die heutige Aufführung zu sagen, und da Referent auch den Oberon in Berlin* hörte, einen kurzen Vergleich der Darstellungen dieser Oper auf beiden Bühnen aufzustellen. – Die Ouverture wurde hier wacker ausgeführt, doch ward wohl das Tempo zu rasch genommen; auch haben wir noch zu bemerken, daß, bei der größten Anstrengung, es dem Sänger unmöglich ward, vernommen zu werden. Die Chöre gingen im Ganzen recht gut, doch schrien die Männerstimmen über die Gebühr und Vorschrift; besonders mißfiel uns, daß No. 1 durchgängig im forte genommen ward, während schon dem natürlichen Verstande gemäß, ein piano die Wirkung gethan hätte, die der laute Gesang zerstörte; dem Berliner Theater gilt dieser Vorwurf nicht, eben so wenig der, daß zu wenig Leben in den Chören sey. Warum geschieht das hier nicht? oder geschieht es aus individueller (falscher) Schaam? Jeder muß für sich, und in Gemeinschaft mit dem Ganzen wirken, um eben das Ganze zu runden. Die Decorationen sind brav, und einige gefallen uns hier besser als in Berlin, doch stört das zu große Geräusch bei den Verwandlungen, man hört Wolken, Schlösser, Gärten, Stuben, &c. schon knarren und rollen, ehe sie uns erscheinen. – Mad. Hesse sang den Oberon, eigentlich ist diese Parthie für einen Tenor gesetzt*; doch dünkt es uns so besser; man bemerkte ein lobenswerthes Bestreben nach reinem Gesang, was auch, wenigstens in den ersten Acten, mit Erfolg gekrönt wurde; aber in der Höhe, da fanden sich noch immer Schwierigkeiten. Die Altoparthie des Puck sang heute Herr Reithmeyer, sehr seltsam! einen Elf, einen Genius im Alto singen zu lassen, ist gewagt, aber nun gar im Bariton*! Diese Transfiguration ist eben so seltsam, als wenn ein Berliner Rezensent wie Herr Rellstab, es wagt, über Gesang und schöne Künste urtheilen zu wollen. Herr Albert (Hüon) hat eine, wenn auch nicht starke, doch überaus angenehme, liebliche Stimme; wie oben bemerkt, übertönten die Instrumente seine größten Anstrengungen, doch wurden diese besonders im ersten Acte sichtbar. Herr Stümer steht ihm weit nach, wenn auch nicht im Spiel, doch im Gesang, Herr Gloy spielte den Scherasmin überaus brav, aber das Singen fällt ihm gewaltig schwer, umgekehrt ist dies der Fall in Berlin beim Herrn Devrient, der zwar eine schöne Stimme und viel Manier, aber desto weniger freies Spiel hat, man sieht es seiner Komik an, daß sie eine erzwungene ist. Mad. Kraus-Wranitzky trat unter rauschendem Beifall auf. Niemand wird ihr außerordentlich große Gewandheit und Fertigkeit absprechen, doch dehnt sie die meisten Töne unge¦wöhnlich, sie zieht sie nicht herunter, man könnte sagen, daß sie sie herunterreißt*) das Spiel besonders im 2ten Act vermißten wir sehr. Alles, was Mad. Kraus besitzt und nicht besitzt, vereinigt in sich Dem. Schechner, die Heroine der deutschen Oper, die ein Rezensentchen, Herr Rellstab, (Verzeihung, daß ich schon zweimal seinen Namen genannt) über Göthe, Shakespeare u. a. m. gestellt hat[.]
Auch die liebenswürdige Schwester der Mad. Kraus, die Mad. Seidler, leidet manchmal an dem Fehler, einige Noten zu dehnen, doch übertrifft sie sie bei weitem im Spiel und Sicherheit. Einige hamburgische Recensenten vergöttern Mad. Kraus, ein Berliner Kritiker spricht ihr geradezu alles Talent ab; beides verdient sie nicht, am wenigsten das letzte. Dem. Schröder (Fatime) hat eine gute Stimme, doch geht derselben fast alle Flexibilität ab, auch schleichen wohl mitunter einige Errata in den Noten ein, ein Fehler, den sie mit der Berliner Darstellerin, Dem. Hoffmann, einer hoffnungsvollen, jungen Sängerin, gemein hat, und der leider vieles verdirbt; doch wird letztere von der Dem. Schröder als Schauspielerin übertroffen. Zum Schlusse noch ein Wort über das Ballet. Wir haben uns schon bei Gelegenheit der „Stummen von Portici“ geäußert: lieber gar kein Ballet als ein solches! Heute drei Tänzerinnen! Doch gestehen wir daß wir mit dem Tanze der Damen nicht unzufrieden sind, sie hat Anlagen, ihre pas glissés, croisés, entrechats, waren nicht schlecht, die pirouettes hingegen mißlangen; sie könnte bei einem größeren Ballet angestellt mit der Zeit etwas leisten. Aber der Solotänzer sprang wie besessen umher! Das sind keine pas, keine attitudes, oder soll es gar Grotesktanz seyn! Doch genug von einer solchen Nebensache!
Das Haus war besetzt, Herr Albert, so wie Mad. Kraus erhielten wohlverdienten Beifall.
Editorial
Summary
über die Aufführung des “Oberon” in Hamburg am 12. September 1829 (im Vergleich zur Berliner EA) mit veränderter Besetzung im Gegensatz zu den vorhergehenden Aufführungen (Oberon mit Sopran und Puck mit Bariton besetzt!!!)
Creation
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Responsibilities
- Übertragung
- Ziegler, Frank; Schreiter, Solveig
Tradition
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Text Source: Originalien aus dem Gebiete der Wahrheit, Kunst, Laune und Phantasie, Jg. 13, Nr. 113 (21. September 1829), col. 903f.
Text Constitution
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“Krans”sic!
Commentary
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“… zuviel ist über diesen Benoni”Vermutlich Anspielung auf Ben-Oni, zweiten Sohn Rahels aus dem 1. Buch Mose, dessen Name „Sohn des Leides“ bzw. „Schmerzenskind“ bedeutet.
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“… auch den Oberon in Berlin”Die offizielle Erstaufführung an den Kgl. Schauspielen in Berlin fand am 2. Juli 1828 statt.
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“… Parthie für einen Tenor gesetzt”Die Rolle des Oberon wurde in den ersten Aufführungen in Hamburg von dem Tenor Georg Albert gesungen; vgl. Aufführungsbesprechung zur EA (Teil 4/4).
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“… aber nun gar im Bariton”Den Puck verkörperte in der EA Julie Mädel.