## Title: Aufführungsbesprechung München: “Oberon” von Carl Maria von Weber am 20. März und 5. April 1829 ## Author: Anonymus ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A031754 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ NACHRICHTEN.Erster Quartalbericht aus München vom 20sten April 1829. […] | […] Endlich der lang ersehnte, viel besprochene Oberon am 20sten März und 5ten April. Es wäre wohl überflüssig, über das Kunstwerk an sich selbst, das schon überall gewürdigt, überall auf den Theatern und Klavierpulten einheimisch geworden, noch einmal sich erklären zu wollen. Mit Fleiss und nach langer Vorbereitung dargestellt, hat, einige misslungene Maschinerieen ausgenommen, das Ganze alle seine grosse Wirkung hervor gebracht; es hatte diese so genialisch angelegte, mit Laune und phantasiereicher Durchführung so ausgezeichnete Composition die oft weitgetriebene Erwartung nicht getäuscht. Man bewundert des Tonsetzers Eigenheiten und Originalität, ohne jedoch, wie es uns schien, dadurch so ergriffen zu seyn, als man mit einiger Zuversicht hätte voraussetzen können. Wir unsers Theils sind der Meinung, dass keine der drey berühmt gewordenen Opern dieses grossen Meisters durch ihren musikalischen Charakter der zum Grunde liegenden Dichtung so sehr entspricht, als eben diese; dass das luftige, ätherische Spiel dieser ausser dem Bereiche der Sinnenwelt liegenden Wesen nirgend trefflicher aufgefasst worden, als es hier geschehen; dass, so zu sagen, eine ganz neue Welt von Tönen und Harmonieen sich uns eröffnet; dass aber demungeachtet sie, diese Oper, dem Freyschützen im Ganzen immer nachstehen und nicht so lange, nicht so häufig besucht als er auf der Bühne sich erhalten werde. In einem theatralischen Singstücke, dem so viel Recitirendes, wie bey Oberon eingemischt worden, ist es ja der singende Theil, besonders wenn er nicht nach neuitalischer Art kann, oder darf gehalten werden, nicht allein, welcher bleibenden Eindruck hervorbringen könnte, er ist für sich allein vollends nicht mächtig genug. Und wer sollte denn jetzt, da Wieland nicht so häufig mehr gelesen wird, und die Realität der Weltereignisse diese Mährchenspiele ausser Cours gesetzt haben, an der Emsigkeit der Elfen, dem Horne des Hrn. Hüons u. dgl. Dingen noch Antheil nehmen, wer nicht mehr sympathisiren mit den zärtlichen Empfindungen der Agathe, der Gefahr des jungen Abentheurers, und endlich an der Wolfsschlucht und dem Kugelgusse, ja selbst an dem Satan sich noch ergötzen? Es liegt uns alles diess viel näher als Titania mit ihrem Luft- und Wolkenhimmel, und als Oberon selbst, der, wie man hier noch nicht vergessen hat, bey Wranitzky von einem reizenden, jungen Mädchen dargestellt wurde. Daher kam es nun wohl, dass, ungeachtet der zweckmässig ausgestatteten und guten Darstellung, doch nicht selten das Wort, welches man bey Beurtheilung von Kunstwerken so wenig gern hört, gewagt wurde; denn abgeschmackt, läppisch, mitunter auch possierlich, mag besonders ein theatralisches Werk wohl an sich seyn, man weiss sich da auf so mannigfache Weise zu helfen, und so leicht den Geschmack eines Publicums anzusprechen – aber langweilig: diess Wort klingt ominös. Herr Weber, der, wie man aus seinem schriftlichen Nachlasse ersieht, über das Wesen seiner Kunst, und über die nöthige, poetische Grundlage derselben reiflich nachgedacht hat, konnte nicht wählen, er musste nehmen, was man ihm darbot; seine Schuld ist es demnach nicht, wenn der Ausspruch gegründet seyn sollte. Wir gehören dabey nicht zu jenen, welche alle Prosa durchaus von der deutschen Oper verbannt wissen möchten; die Zeit ist wohl noch nicht gekommen, in welcher Sänger ein deutsches Recitativ so vortragen, der Componist so setzen möchte, dass es für sich an ziehen, und von bleibender Wirkung seyn könnte. Aber so sollte man zum Ersatze, und um die Kluft zwischen Singen und Recitiren dem Verstande genügend auszufüllen, darauf bedacht seyn, dass der Zuhörer während des Sprechens aus Mangel an Interesse nicht ganz erschlaffe, und im Geschwätz und Pochen seine Erholung suchen müsste – es wäre ja wohl denkbar, und ist ja hin und wieder schon geschehen, eine dankbare Rolle für einen gebildeten Schauspieler, eine beliebte Schauspielerin einzuschalten, die in irgend einem aus dem Ganzen hervorgehenden Monologe, mit Tiraden und Kraftstellen, die des Beyfalles Rauschen hervorrufen, ein brillantes folgendes Singstück vorbereiten, und es somit dem schon zum Höhern dadurch gestimmten Geiste näher legen sollten; denn nicht jede leidenschaftliche Situation ist desswegen auch schon eine sangbare, und so ein mit Umsicht und Sachkenntniss geleiteter Verein, bey welchem die Declamation, gleichsam gehemmt tiefer einzudringen, von sich selbst zum höhern Seelenausdrucke, dem Gesange, übergeht, möchte vielleicht nicht ungeeignet seyn, grosse Effecte hervor zu bringen, wenigstens das herkömmliche Gähnen während der prosaischen Scenen entfernt zu halten; nur müsste man dabey bedacht seyn, recitirende Organe zu wählen, die, nachdem durch Chöre und Ensemblestücke, durch Cadenzen motivirt à la Rossini mit vollstem Orchester das Ohr ergriffen worden, noch vernehmbar in dem Saale sich erhüben, seltene Organe, und wenn auch nur in etwas jenem mächtigen ähnlich, welches wie eineSchneelawine Alles mit sich fort reisst und eben jetzt seine Donner in dem Theater an der Wien rollen lässt. Gewöhnliche, bloss für den theatralischen Conversationston gebildete Stimmen genügen hier nicht, es müsste, sollte ein geregeltes Ganze daraus werden, heroisch declamirt, im höhern Style sogar etwas geschrieen werden, wenn neben dem Lärme des Orchesters recitirende Stimmen sich halten sollten. Wir gehen diessmal nicht weiter, und hoffen bey wiederholter Oper Gelegenheit zu haben, über den Gesang unserer beyden beliebten Sängerinnen, so über manches andere, die artistischen Leistungen betreffend, uns weiter auszusprechen. […]