Aufführungsbesprechung London: “Oberon” von Carl Maria von Weber am 12. April 1826
Correspondenz-Nachrichten.
London den 16. April 1826.
Unser Landsmann Weber ist gegenwärtig in London der „Löwe des Tages;“ Sie dürfen sich daher nicht darüber wundern, wenn ich fürs erste alles bei Seite setze, um Ihnen über die neue Oper, Oberon, die nach langen Vorbereitungen am vergangenen Mittwoch aufgeführt worden ist, Bericht zu erstatten. – Die Erwartung des Publicums war auf den höchsten Grad gesteigert. Dienstag Abend war das Theater (Coventgarden) geschlossen, wie die Anschlagzettel angaben, „der ungeheuren Vorbereitungen wegen,“ die gemacht werden mußten; und alles ließ darauf schließen, daß dießmal das äusserste aufgeboten werden würde, um Vergnügungen und Staunen hervorzubringen. Das ganze Haus war aber auch, auf den ersten Anlauf, vollgepfropft, und viele Hunderte, vielleicht Tausende waren genöthigt, da sie keinen Einlaß mehr erhalten konnten, unverrichteter Sache nach Hause zu gehen. Die Rollen waren folgendermaßen vertheilt:
Karl der Große – – – – – Hr. Austin.Huon von Bourdeaux – – – – Braham.Scherasmin, sein Schildknappe – — Fawcett.Kaliph Harun Alraschid – – – – Chapman.Babekan, ein Saracenischer Fürst – — Baker.Almansor, Emir von Tunis – — – Cooper. | Abdallah, Seeräuber-Capitain – Hr. Horrebow.Hassan – – – – – – – – I. Isaacs.Sclave – – – – – – – – Tinney.Oberon, Feenkönig – – – – – C. Bland.Puck – – – – – – – Miss H. Cawen‡.Reiza, Haruns Tochter – – – – Paton.Fatima – – – – – – – Mad. Vestris.Ramuna, Fat. Großmutter – — Mrs. Davenport.Roshana, Almansors Gemahlin – Miss Lacy.Weber präsidirte selbst im Orchester und wurde bei seinem Eintritt von der ganzen Versammlung mit stürmischem Beifall empfangen.
Die Ouverture (die noch einmal wiederholt wurde) beginnt langsam und sehr schön; sie wird darauf rascher und heftiger, indem sie die verschiedenen Kräfte aller Instrumente vereint; doch muß ich gestehen, daß ich sie der Ouverture des Freischützen nicht gleichstellen kann, weder in einzelnen Theilen, noch in Bezug auf die Gesammtwirkung. Die eröffnende Scene ist Oberon’s Halle mit einem Feen-Chor; sie ist sanft und voll Phantasie. Bei der Darstellung haben wir nur bedauern müssen, daß die Schauspieler, welche lustige Wesen vorstellen sollten, sich so gar ungeschickt dabei benahmen. Die Worte des Chors sind folgende:
Light as fairy foot can fall,Pace, ye elves, your master’s hall;All too loud the fountains play,All too loud the zephyrs sigh,Chase the noisy gnat away,Keep the bee from humming by.Stretch’d upon his lily bed,Oberon in slumber lies;Sleep at lenght‡, her balm hath shedO’er his long unclosed eyes.O may her spell as kindly bringPeace to the heart of our Fairy King!Die erste Erscheinung von Reiza ist in einem Traum des Sir Huon, und die Anrede, mit der sie sich in demselben an ihn wendet, ist äußerst rührend und lebendig. Die große Scene, welche darauf folgt, ist eine Probe von dem, was der Componist im Grandiosen, Fröhlichen und Pathetischen zu leisten vermag. Braham führte die große Arie in derselben in allen ihren Theilen mit dem feinsten Geschmack und dem treffendsten Ausdruck aus. – Das Finale des ersten Acts fängt an mit einem Recitativ und einer Arie, von denen diese durch die Naivetät der Begleitung, jenes durch den Glanz im Anfang und die Zartheit am Schluß ausgezeichnet ist. Miss Paton zeigte hier die ganze Mannigfaltigkeit und den ganzen Umfang ihres Talents. Der Sclavenchor in diesem Finale ist in seiner Construction in der That sehr eigenthümlich; aber wir müssen gestehen, | daß er auf uns eben keinen sehr angenehmen Eindruck machte. Der zweite Act wird gleichfalls mit einem Sclavenchor eröffnet; und nach einem schönen Lied, eben so schön gesungen, von Mad. Vestris, als Fatima, kommen wir zu einem Quartett, welches als das chef d’oeuvre der Oper betrachtet wird: zwischen Huon, Hassan, Reiza und Fatima. Die Construction ist genial, obgleich nicht verwickelt, und die Melodie bezaubernd. Die beiden Duetts, mit denen es beginnt, haben mir besser gefallen, als die Vereinigung der vier Stimmen, womit es schließt; aber im Allgemeinen befriedigt es eben so sehr den tiefen Musikkenner, als es den ungebildeten Zuhörer ergötzt und wahrscheinlich wird es daher bald sehr popular werden. In der nächsten Scene hat der Decorationsmaler und der Mechaniker mit dem Componisten gewetteifert und es ist ihnen gelungen, einen Effect hervorzubringen, der Allem gleichkommt, was je auf der Bühne gesehen worden ist. Hunderte von Luftgeistern aller Art und Gestalt stürzen auf einmal aus den Oeffnungen eines Felsens, der in diesem Moment plötzlich berstet und aufspringt. Die Neuheit dieser Erfindung zog auf einige Zeit die Aufmerksamkeit von der Musik ab, welche sehr merkwürdig und passend ist. Die große Scene, in der Miss Paton den Triumph ihres Talents feiert, eröffnet sich mit einem Recitativ. Nichts zeichnet Weber so sehr von andern Componisten aus, als seine Recitative, welche, indeß sie den Erzählungsstyl nicht verlassen, voll von Abwechselung und kräftigem Ausdruck sind. Der Sturm in dieser Scene war nicht so gut dargestellt, als die darauf folgende Ruhe, das Durchbrechen der im Wasser untergehenden Sonne, und die Erscheinung des nebligten Mondes. Die Arie, welche auf das erwähnte Recitativ folgt, war diesem Wechsel angemessen; aber obgleich Miss Paton sie bewundernswürdig sang, war sie doch eher ermüdend, als daß sie eine bedeutende Wirkung hervorgebracht hätte. Die Einführung einer Seejungfrau gab dem Componisten Gelegenheit, eine köstliche Arie anzubringen vor dem Chor von Feen, Seenymphen &c., welcher den ersten Act schließt. Die Hauptmaterialien, aus denen der dritte Act besteht, sind: ein schöner Gesang von Mad. Vestris, eine traurige Cavatine von Miss Paton, eine Polacca von Braham und ein Chor von beinahe allen spielenden Personen. Die Polacca war, wenn auch Einzelnes darin nicht unangenehm war, im Allgemeinen verfehlt, und die ganze Composition zeigte, daß der Componist die Musik nicht mit den Worten in Uebereinstimmung zu bringen gewußt hatte.
Die Acteurs thaten alle ihr Bestes, wenn auch dieß Beste bei einigen schlecht war; so ist z. B. C. Bland durchaus nicht geeignet, den Oberon darzustellen. Hr. Cooper, als Emir von Tunis, war viel zu heftig und laut in dem Theil des Dialogs, der ihm in den Mund gelegt war, und Mr. Chapman dagegen (der Kaliph von Bagdad, der beiläufig in allen Opern | beständig Harun Al Raschid heißt, als ob es nie einen andern gegeben hätte) konnte nur mit Mühe gehört werden. Indeß war das, was er zu sagen hatte, von keiner Bedeutung. – Miss Paton genügte allen Anforderungen, die man an sie machen konnte, vollkommen, sowohl im Dialog, als Gesang; auch Braham verdiente dasselbe Lob, obwohl man sah, daß er sein Aeußerstes that. Zu bedauern ist nur, daß so wie das Orchester zu spielen aufhört, alles Leben von ihm weicht und – daß er nicht wenigstens sechs Fuß hoch ist. Ein Heros, wie der Paladin von Frankreich, sollte nie unter dieser Größe seyn; als er, bei Eröffnung des zweiten Acts, Miss Paton von der Bühne fortbringen sollte, waren seine Anstrengungen äußerst lächerlich. Mad. Vestris, als Fatima, zeichnete sich durch Spiel und Gesang gleich rühmlich aus.
Die Scenerie war sehr schön. Die Ansicht des Hafens von Ascalon war eine der großartigsten und malerischesten Decorationen, die ich je gesehen habe; eben so die Ansicht von Bagdad aus der Ferne. Der Glanz im Innern der Palläste war unbeschreiblich, ohne deshalb je das Auge zu beleidigen. Die vortrefflich gemalten Fenster in der Waffenhalle Karls des Großen waren aber ein Anachronism.
Nachdem der Vorhang gefallen war, erhob sich ein schwacher Ruf nach Weber, der sich vom Orchester zurückgezogen hatte. Er wuchs und wurde endlich so allgemein, daß sich der Componist genöthigt sah, auf der Bühne zu erscheinen. Er wurde geführt von Fawcett, konnte aber nicht vermocht werden, weiter als bis in eine Ecke vorzutreten, wo er stehen blieb und sich in sichtlicher Verwirrung über diese ungewohnte Situation ungefähr eine Minute verbeugte. Er zog sich zurück, sobald dies mit Anstand geschehen konnte. Das Publikum hätte ihm übrigens seinen Beifall allerdings wohl auch bezeugen können, ohne einen bescheidenen Mann von Genie so theuer dafür bezahlen zu lassen.
Editorial
Summary
Aufführungsbesprechung des Oberon von Carl Maria von Weber in London
Creation
–
Responsibilities
- Übertragung
- Jakob, Charlene
Tradition
-
Text Source: Britannia oder Neue englische Miszellen, Jg. 2, Nr. 3 (16. April 1826), pp. 273–276