Aufführungsbesprechung der Wiener Erstaufführung des Oberon im Arrangement von Franz Gläser am 20. März 1827
Wien.
K. K. priv. Theater in der Josephstadt.
Dienstag den 20. März. Zum Vortheile des Kapellmeisters Franz Gläser; zum ersten Mahle: „Oberon, König der Elfen“. Romantisch-komische Feenoper in drey Aufzügen, nach der Hell’schen Uebersetzung, aus dem Englischen von Planche, für diese Bühne frey bearbeitet vom Verfasser der „schwarzen Frau.“ – Musik von Carl Maria von Weber (?!) für diese Bühne eingerichtet und mit einigen neuen Nummern vermehrt von Franz Gläser; Tänze vom Pantomimenmeister Occioni; Decorationen von Herrn Nipperdey; Maschinen von Roller.
Geschehen mag es wohl dem armen Menschen,Daß er im Traume sieht ein Paradies,Von Blüthen, Liedern, zarten Spielen,Von froher Kindheit rosigen Gefilden,Und er hinüber träumt sich in das sel’ge Land; —Und wie er nach den Früchten greift verlangend,Wie er sich in den Chor der Sänger mischt, —Da schlägt ein Blitz herab aus heiterm HimmelUnd schmettert zum Cocyt’ den Träumer hinUnd statt der Spiele, Lieder, – statt der Blüthen,Sieht er Dämonen rings Verderben brüten.So sprach ich, als nach Weber’s herrlicher Ouverture, in der, durch den kräftigen Schlachtenruf des Lebens, das zarte Gelispel eines räthselvollen Jenseits sich schlingt, und dem darauf folgenden tief ergreifenden Chor der Elfen, der das Gemüth der Zuschauer zur höchsten Empfänglichkeit begeisterte, – nun plötzlich Oberon (Herr Scholz) heraus trat und ganz absonderlich in Knittelversen zu sprechen begann, wie etwa ein Bauer in der Bierkneipe und Donna Titania (Dem. Blum) ihm im Geschmacke einer Kräutlerinn oder eines Hamburger-Fischweibs antwortete, – so sprach ich tief aufseufzend über den Verfall dramatischer Kunst; als Puck (Herr Platzer) zur gemeinen Carrikatur umgestaltet, in einem durchaus unverständlichen Jargon, in dem herrlichen Bunde, der Dritte war. —
Unstreitig mußte Hr. Gläser glauben, etwas ganz Besonders, ganz Außerordentliches zu leisten, als er dem kunstliebenden Publikum Wiens diesen verstümmelten „Oberon“ darboth, – und dieses kann sein Versehen in etwas entschuldigen, – aber wie der Verfasser der „schwarzen Frau“ es versuchen mochte, Hand zu legen an das rückgelassene Werk des großen deutschen Tondichters, es herabzuziehen, aus dem hehren König der Elfen, dem Ideale männlicher Vollkommenheit, einen abgeschmackten, dummen Tropf, aus der ätherischen Titania eine Poissarde zu machen, und so den durch das Ganze wehenden, romantischen Geist zu versenken in den Schlamm heilloser Travestirung, das bleibt ein unauflösbares Räthsel. – Aber nicht genug, daß schon der Text ganz verstümmelt wurde, daß hierdurch schon die Folie der herrlichen Musik verloren ging, – allein auch die Tondichtung mußte herhalten. – Die meisten Musikstücke, worunter Oberons Arie: „Schreckensschwur! Dein wildes Quälen,“ Rezia’s Arie während Hüons Traum, der große Feenchor, der Jubelmarsch mit Chor zu Hüons Arie bey Nanua, der dumpfe Chor der Serail¦wache, der mit Rezia’s Arie: „Seelenfroh in Jubelklängen“ das Finale des ersten Acts macht, – der Seesturm mit Pucks großer Baßarie, (ein würdiges Seitenstück zur „Wolfschlucht“), das Duett zwischen Oberon und Puck: „Hieher ihr Elfen all“ u. s. w. u. s. w. u. s. w., blieben theils ganz weg, theils erschienen sie in einer so veränderten Gestalt, daß sie niemand erkannte, wie z. B. Hüons Gebeth im zweyten Act, das wohl wie eine Rossini’sche Cavatine, aber nicht wie es Weber schrieb, begann und erst gegen das Ende in die Tonweise des großen Meisters überging. – Die wirklichen Finale des Originals, in die Weber’s Riesengeist alle ihm nur zu Gebothe stehende Kraft legte, wurden in die Mitte der Acte versetzt, oder blieben ganz weg, und andere wurden geschaffen, und für alle diese Willkührlichkeiten können doch Bearbeiter und Kapellmeister nur ihren Wahlspruch: car tel est notre plaisir, angeben. Kommt nun noch hinzu, daß von den wirklich ausgeführten Weber’schen Nummern alle, die Ouverture ausgenommen, nur aus dem im Stich erschienenen Clavierauszuge vom Hrn. Kapellmeister Gläser instrumentirt wurden, so wird jeder, der Weber’s und Gläser’s Instrumentirung vergleicht, einsehen, wie wir des großen Tondichters letztes Meisterwerk sahen. – Sollte das Ganze blos Parodie seyn, was jedoch der Titel nicht besagt, so ist sie nicht an ihrem Orte, denn Parodie kann nur da ansprechen, wo das Original schon bekannt ist.
Statt den weggelassenen Nummern hat nun Hr. Gläser die Oper mit einigen eingelegten Arbeiten seiner Composition versehen, wovon z. B. Fatime’s Arie im zweyten Act, nichts als wie das Aschenlied, aus dem „Mädchen in der Feenwelt“* in einer andern Tonart und mit einem andern Schluße ist. – Ist die Kritik diesmahl strenger als gewöhnlich, so hat sie das Recht dazu, denn es handelt sich hier nicht um das ephemere Leben einer Burleske oder Posse, sondern um ein Meisterwerk von einem deutschen Meister, dem deutschen Vaterlande geschenkt, – und dieses sollte als solches Achtung verdienen. – Ob dem‡ Verfasser der „schwarzen Frau“ und den Bearbeiter der Musik, der theilweise Beyfall der letzten Gallerie, für die Mißbilligung aller Kunstkenner und Kunstfreunde entschädigt hat, kann Ref. nicht bestimmen, aber Beyden werden die getäuschten Erwartungen des Publikums, und die daher entspringende Unzufriedenheit gewiß nicht angenehm seyn. —
Ein anwesender Fremder, den Ref. zu sprechen das Vergnügen hatte, und der die Oper bey ihrer Aufführung in LeipzigT gesehen, versicherte, daß er sie gar nicht erkenne, und umsonst einen festen Anhaltspunkt suche, um sich in diesem Wirrwar zu orientiren. Eine Erscheinung, die sich sehr leicht erklären läßt, wenn man nur an die Bearbeitung des Textes denkt, die ordentlich mit Gewalt das Romantische des Stoffes wegreißt.
Als Beweis, wie sehr unser kunstliebendes Publikum den wahren Meister schätzt, diente die Todtenstille des gepfropft vollen Hauses während der Ouverture, diesem bunten fantastischen Feengewande, diesem Lichthimmel, auf dem sich die Momente alles Folgenden abspiegeln, und wo sich aus dem ahnungsvollen Graun, aus dem Jubelruf der Freude, aus den‡ durcheinanderfluthenden Gang der Passagen, wie ein himmlischer Stern der melodische Hauptgedanke entwickelt, – das enthusiastische Beyfalljauchzen nach ihrer Beendi|gung, das nicht eher aufhörte, bis sie von dem wackern Orchester mit noch mehr Präzision und Fertigkeit wiederholt wurde. – Aber eben so kalt wurde von dem gebildeteren Theile der Zuschauer alles Uebrige aufgenommen, bis plötzlich wieder ein Weber’scher Strahlenblitz das Dunkel erhellte und der Donner des Beyfalls ihm nachrauschte. – Hr. Kreiner (Hüon) sang seinen Part mit sichtlicher Liebe und Eifer, nur ist sein Gebrauch der Fistel noch zu unbestimmt und nicht fest genug.
Doch gebührt ihm, Hrn. Seipelt und Dem. Vio, (Alf und Rezia) die, die ihnen übrig gelassenen Nummern mit vielem Feuer und großer Reinheit vortrugen, das gerechte Lob. – Auch Mad. Kneisel und Hr. Hopp (Fatime und Scherasmin) gaben ihre Parte brav. – Die Ausstattung war, wie wir es von der Liberalität der Direktion dieses Theaters gewohnt sind, sehr schön, – die Decorationen und Maschinen, so wie Tänze und Costüme ließen nichts zu wünschen übrig; – und so bleibt uns nur der Wunsch noch, die Direktion hätte auch die Kosten nicht gescheut, die vollständige Partitur anzuschaffen, die fehlenden Sänger durch Gastrollen zu ergänzen, und dann so diese Oper entweder als hehres, grandioses Ganzes, oder, – gar nicht zu geben. —
Ein Freund deutscher Musik.
Editorial
Summary
Besprechung der Wiener Erstaufführung des Oberon im Arrangement von Franz Gläser am 20. März 1827
Creation
–
Responsibilities
- Übertragung
- Ziegler, Frank; Jakob, Charlene
Tradition
-
Text Source: Allgemeine Theaterzeitung und Unterhaltungsblatt für Freunde der Kunst, Literatur und des geselligen Lebens, Jg. 20, Nr. 39 (31. März 1827), pp. 158–159