Briefauszug über Weber in London

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Noch etwas über Webers letzte Lebenstage *).

Weber kam elend hierher, und Jeder sahe den nahen Tod in seinem Gesichte. Er selbst sagte einem seiner vertrauteren deutschen Freunde bei seinem ersten Besuche, er werde keinen Oberon mehr liefern können, er sey eine zerrüttete Maschine; daher wies er, im Gefühl seiner Schwäche, Anträge von drei Pariser Theatern, Opern zu komponiren, ab. Die Witterung war sehr schlecht; seine Geschäfte machten ihm viel Aerger und unsägliche Arbeit; denn es war keine Kleinigkeit, an einem Theater, wie das in Coventgarden, die Sänger aus ihrem schlechten Styl zu reißen, ihnen seinen Geist einzuflößen, und das Orchester dahin zu bringen, wohin es wirklich unter ihm gelangte. Vorzüglich hat er mit Braham viele Noth gehabt. Eine große Scene, die Weber schon in Dresden für ihn gesetzt hatte, verwarf Braham ganz, weil sie ihm nicht brillant genug war; der gutmüthige Weber schrieb ¦ ihm eine neue*, und als B. noch nicht genug hatte, schrieb er ihm ein Rondo*. Auch für die Vestris legte er eine Arie ein*. So ging die Sache fort! Endlich war Alles fertig, und die Oper ging vortrefflich – der Beifall des Publikums war mäßig; man wollte mehr Arien darin haben. Viele waren enthusiastisch dafür, und des Streites war kein Ende. Weber dirigirte zwölf Mal nacheinander in dem zugigen Hause, und fühlte sich endlich so schwach, daß er einen Arzt, und zwar einen deutschen Arzt, verlangte. Von den ihm vorgeschlagenen Aerzten wählte er Dr. Kind, einen Neffen des Dichters des Freischützen. Vertrauen in die Wissenschaft hatte Weber durchaus nicht. „Niemand kann mir helfen,“ sagte er, „sie haben sich alle an mir vergeblich versucht.“ – Indessen gebrauchte er etwas, und hielt sich ziemlich unverändert, nur gewaltig schwach und kurz athmend. Dr. Kind war unermüdet, und Weber hatte ihn gern; allein er war sehr schwer zum Gebrauch mancher Mittel zu bewegen, und nur die Bitten seiner Freunde brachten ihn endlich dahin, sich eine spanische Fliege oder Senfumschläge um die Beine legen zu lassen.

An einem Sonntage fuhr er mit dem Kaufmann Göschen, Sohn des Leipziger Buchhändlers, dem Dr. Kind und Fürstenau nach Richmond*. Es war ein herrlicher Tag, und Weber wurde recht heiter; aber nur mit großer Anstrengung stieg er die Treppen hinauf, und an Herumgehen war nicht zu denken. Er fuhr den Berg hinunter, nahm ein Boot, und freuete sich sehr über die schönen Landhäuser am Flusse. An der Brücke unten am Wasser stand sein Wagen. Diese kleine Landpartie bekam ihm vorzüglich gut.

Ungefähr zehn Tage nachher, am 26. Mai, war sein Konzert*. Es fiel schlecht aus; der Saal war nur halb gefüllt. Nach dem Konzert fanden ihn seine Freunde im Vorzimmer; er hatte sich auf ein Sopha hingeworfen, und war sehr elend. Er gab Göschen die Hand und sagte: „Was sagen Sie dazu? Weber in London!“ Dabei nickte er auf seine eigene Weise mit dem Kopfe. „Ihr Deutschen solltet Euch schämen,“ fuhr er fort, „diesen lumpigen Saal nicht einmal zu füllen!“ – Mit vieler Anstrengung wurde er in den Wagen gebracht; der Dr. Kind, Fürstenau und Göschen fuhren mit ihm nach Hause, und trugen ihn, nachdem er sich einigermaßen erholt hatte, in einem Sessel die Treppe hinauf. Dr. Kind und Sir George Smart gingen um halb 1 Uhr Nachts noch aus, um Senfmehl zu holen, wovon er Umschläge ¦ um die Beine bekam. Niemand sollte bei ihm bleiben. Am folgenden Tage befand er sich weit besser, und sein Zustand verschlimmerte sich nicht bis zum 30. Mai. Am 31. Mai erregte sein Zustand große, wachsende Besorgniß, und doch sollte der Freischütz neu einstudirt, neu übersetzt, ganz so wie er im Original ist, am 7. Juni zu seinem Benefize gegeben werden! Zu einer Consultation mit einem andern Arzte war er durchaus nicht zu bereden. Am ersten Juni war er kränker, und, beinahe entschlossen, den Freischütz aufzugeben und nach Deutschland abzureisen, ordnete er seine Geldangelegenheiten, bestimmte das Honorar des Arztes, und wie viel die Dienerschaft in Sir George Smarts Hause haben sollte, wo er die ganze Zeit seines Aufenthalts in London bewirthet worden war. Von dem Tage an wurde er täglich schlechter; dennoch sprach er immer von seiner Reise nach Deutschland. Seine Freunde verließen ihn jeden Abend mit großer Besorgniß, und baten ihn oft dringend, nur Einem von ihnen zu erlauben, in seinem Zimmer zu schlafen – vergebens. Auch das Anerbieten der Aufwärterin, bei ihm zu wachen, wurde nicht angenommen, und jedesmal wurde er so gereizt, wie bei jeder Gelegenheit, wenn man ihm widersprach, daß die Freunde endlich schwiegen. Am 3. Juni schlug ihm Sir George Smart, um ihn zu prüfen, eine Spazierfahrt vor, und als er, im Gefühl seiner Schwäche, nicht wollte, stellte ihm der Arzt vor, wie gefährlich es sey, eine Reise nach Deutschland zu unternehmen. Dringend bat er Weber, um seiner Freunde willen, wegen der Reise einen andern Arzt zu consultiren. Nach vielen Bitten und Flehen gab er es endlich den 4. Juni zu, und sagte zu Fürstenau, der, als die Uebrigen gingen, bei ihm blieb: „So wollen Sie also auch gegen mich seyn? Sie sollten es doch mit mir halten. Das sage ich Ihnen, wenn die ganze Fakultät mir sagt, ich soll nicht reisen, am Mittwoch reise ich doch!“ – Göschen, Kind und Fürstenau brachten den ganzen Abend bei ihm zu. Er aß Suppe, etwas Huhn, Spargel und Erbsen, und trank drei Gläser Portwein. Seine Schwäche war aber so groß, daß er, ohne schreckliche Beklemmungen nicht gehen, sogar nicht stehen konnte. Er hustete weniger, was den Arzt ängstlich machte; der Durchfall hatte sich aber gelegt, seine Haut war besser, sein Kopf ganz frei, sein Gedächtniß treu; er sprach von den Parlamentswahlen und von vielen andern Dingen. Zu Göschen sagte er: „Bald werde ich Ihren Vater in Dresden sehen; ich will ihm sagen, Sie wären mein wahrer Freund ¦ in London gewesen.“ Göschen erwiederte: „Er verließe in London so viele Freunde, daß ein Einzelner keinen Anspruch an sein besonderes Andenken habe.“ Da nickte er wieder mit dem Kopfe und sagte: „Es ist ein großer Unterschied.“ Als Alle sich bemüheten, die spanische Fliege u. dergl. zu ordnen, sagte er: „Gott lohne Euch Alles!“ – Fürstenau kleidete ihn aus und ging um halb 12 Uhr mit den übrigen Freunden weg. – Sir George Smart kam erst um halb 2 Uhr nach Hause, und empfahl noch dem Mädchen, ja aufmerksam zu seyn. Allein alle Aufmerksamkeit und zärtliche Sorge war vergebens! Sir George Smart fand ihn am Morgen des 5. Juni um 7 Uhr todt im Bette. Er lag gerade so, wie er immer schlief, etwas auf der linken Seite, den Kopf mit der einen Hand gestützt, die andere ruhig ausgestreckt; kein Zug von Zuckung war zu bemerken, die Augen waren geschlossen. Er ist ruhig und sanft im Schlafe gestorben. – Er wollte des Abends nie in’s Bett, noch weniger sich ganz niederlegen.

Um 4 Uhr öffneten drei Aerzte die Leiche, und fanden ein Geschwür in der Luftröhre, die Lungen in einem schrecklichen Zustande. Die Aerzte stimmten darin überein, daß keine Macht der Erde ihn gerettet haben würde, wenn gleich das Klima, verbunden mit andern ungünstigen Umständen, seinen Tod vielleicht beschleunigt hätte.

[Original Footnotes]

  • *) Die Mittheilung dieses Auszuges aus einem Briefe eines der vertrautesten Freunde des zu früh uns entrissenen C. M. v. Weber wird gewiß allen seinen Verehrern angenehm seyn. Der Brief enthält manche bisher noch unbekannte Nachrichten über die letzten Lebenstage des großen deutschen Komponisten.

Editorial

Creation

Responsibilities

Übertragung
Frank Ziegler
Korrektur
Eveline Bartlitz

Tradition

  • Text Source: Zeitung für die elegante Welt, Jg. 26, Nr. 164 (24. August 1826), col. 1315–1318

    Commentary

    • “… Weber schrieb ihm eine neue”Austausch der Nr. 5 „From boyhood trained in battle field“ gegen „Yes, even Love“.
    • “… schrieb er ihm ein Rondo”Auf Brahams Wunsch wurde nicht das Rondo Nr. 20 „I revel in hope and joy again“, sondern die Preghiera Nr. 12A „Ruler of this awful hour“ nachkomponiert (10./11. April 1826). Allerdings entstand auch das Rondo erst in London (23./24. März 1826).
    • “… legte er eine Arie ein”Für die Rolle der Fatima, gesungen von Lucia Elisabeth Vestris, wurde keine zusätzliche Arie eingelegt; allerdings entstand die Romanze der Fatima Nr. 16 „O Araby, dear Araby“ erst in London (28./29. März 1826).
    • “… Kind und Fürstenau nach Richmond”Ausflug am 21. Mai 1826.
    • “… 26. Mai, war sein Konzert”Konzert in Argyll Rooms, u. a. mit der Kantate Kampf und Sieg in englischer Übersetzung als The Festival of Peace.

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