Briefe über Euryanthe in Wien und Webers Empfang in Dresden (Teil 1)
Briefe über Maria von Weber’s Euryanthe und seine Bewillkommung in Dresden. *)
I.
Wien, den 7. Nov. 1823.
Weber’s Euryanthe ist nun viermal aufgeführt worden. Ein Sturm des Beifalls, wie man ihn in der italienischen Oper nie stärker erlebte, ein Drängen und Treiben der Herbeiströmenden, wie es selbst bei den glänzendsten Vorstellungen der Italiener im geräumigen Kärnthnerthor-Theater nie vorkam, bezeichnete die ersten zwei Vorstellungen. Die dritte, die Weber auch noch dirigirte, war weniger drangvoll, aber das echte Kunstgefühl sprach sich, bei einem recht ausgewählten, ganz empfänglichen Publicum, wo möglich noch ¦ lauter und begeisterter aus, weil man schon vertrauter mit dieser Welt von Tönen war. Bei der vierten dirigirte der Capellmeister Kreuzer, und Weber hörte blos aus der Loge zu. Es war Allerheiligen und ein ganz anderes Publicum. Aber derselbe Effect. Unbeschreibliches Entzücken und der lauteste Jubel. Weber wurde in den drei ersten Vorstellungen, wo er selbst dirigirte, elfmal, bei der vierten, wo er nur Zuschauer war, ebenfalls dreimal, stürmisch gerufen. Einmal führte er die Sontag und Forti, ein anderes mal die Grünbaum, ein anderes mal das ganze Personal mit auf die Bühne. Alsdann wurde er noch einmal allein gerufen. Man wollte durchaus den Meister sehen, ihm Dank zollen, ihm sagen: „Du bist der Deutschen Stolz! Du willst nicht zaubern und blenden. Aber Du erhebst, begeisterst uns durch Deine himmlischen Töne!“ Die deutsche Tonkunst hat einen vollendeten Triumph gefeiert. Lassen Sie mich Ihnen die Aufeinanderfolge des ersten Abends nur in leichten Umrissen mittheilen.
Sonnabends, am 25. Oct., Abends halb sieben Uhr war kein Platz mehr in dem großen Theater zu bekommen. Eine erwartungsvolle halbe Stunde vergeht. Weber erscheint im Orchester. Fünf Minuten dauert der einstimmige Beifalljubel. Es wird Stille geboten. Die Ouverture, die der Meister erst in Wien geschrieben hatte, beginnt. Kein Laut im ganzen Hause bis zum Schluß. Noch lange nach dem Aufziehen der Gardine unbegrenztes Treiben und Stürmen. Man hätte die Ouverture gern noch einmal gehört. Da ergriff der Lenker sein Scepter. Der in Costums und Einübung trefflich gerüstete Chor der Frauen und Ritter beginnt. Doch es ist besser, daß ich die Musikstücke, welche sowohl bei der ersten als zweiten Vorstellung, die sich darin ganz gleich waren, die größte Wirkung hervorbrachten, einzeln bezeichne. In‡ Voraus bemerke ich, daß keine Nummer beifalllos vorbeiging. Im ersten Act die Introduction, die Cavatine der Euryanthe, das darauf folgende Duett und das erste Finale; letztere machten furore. Im zweiten Act die Arie Lysiarts und das darauf folgende Duett zwischen Eglantine und Lysiart. (Eglantine–Grünbaum, Lysiart–Forti wurden in beiden Vorstellungen nach diesem Duett mit Wuth | herausgerufen.) Ueber Alles aber entzückte das zweite Finale, in welchem Jeder hier so ganz an seinem Platze steht. Im dritten Act die Arie: „Nein, der Held.“ Dann das Jägerlied. Dies mußte in beiden Vorstellungen den ungestümen Forderungen des sich immer mehr erhitzenden Publicums zu genügen, sechsmal gesungen werden. Die Arie der Euryanthe–Sontag: „Zu ihm, zu ihm!“ erregte solchen Sturm, daß die liebliche Sängerin, obgleich gleichsam todt, immer noch einmal erscheinen mußte, und bei ihrem Erscheinen in der letzten Scene mit dem schallendsten Beifall empfangen wurde. Der Meister wurde zwischen jedem Acte und am Schlusse noch zweimal gerufen. Die dritte Vorstellung war das Benefiz der Sontag. Weber soll selbst geäußert haben, er habe bei seiner Euryanthe an Minna Schröder gedacht, die er bei seiner ersten Anwesenheit in Wien noch bei’m Kärnthnerthor-Theater fand, sey aber nun mit dem redlichen Eifer der Sontag sehr zufrieden, wodurch sie, was ihrer Stimme an Umfang und Fülle abgehe, zu ersetzen suche. Die Anmuth ihrer blühenden, jungfräulichen Gestalt kommt ihr dabei sehr zu statten. Auch ist sie weit mehr der Liebling des Publikums, als es die vordem so begünstigte und als Sängerin untadelhafte Grünbaum bisher gewesen ist. Diese hat aber als Eglantine ihren alten Ruhm vollkommen behauptet und sich auf’s Neue die Gunst aller Bewunderer der Weber’schen Musik erworben. Alle übrigen Sängerinnen und Sänger genügten vollkommen, nur Adolar war schwach*. Der fremde Meister war ihnen allen so lieb, als sey er auf immer in ihrer Mitte gewesen und es verbreitete sich sogar der Ruf, Weber werde, da auch Salieri, nicht ohne einige vergebliche Versuche, die Katastrophe selbst herbeizuführen, seine Laufbahn endete, unter sehr ansehnlichen Bedingungen engagirt werden. So viel ist gewiß, daß der kluge Barbaja (der beiläufig außer den doppelten Reisekosten und der Verpflegung, dem Meister 240 Dukaten gezahlt haben soll) ihn dringend gebeten hat, für ihn eine neue Oper, die in Neapel von den ersten Virtuosen aufgeführt werden soll, zu componiren und sie in San Carlo selbst zu dirigiren. Auch soll Weber diesen Antrag nicht abgelehnt haben, zumal da die Koryphäen des Virtuosenvereins, die Weber selbst noch bei der Aufführung des Matrimonio segreto, des Barbiere, der Semiramide, der Cenerentola und der Donna del lago in ihrer vollendeten Kunst zu würdigen Gelegenheit hatte, ihm dabei freiwillig ihre Mitwirkung zusagten. Bedürfte es eines äußern Beweises, daß Weber’s seltne Meisterschaft sich auch auf’s Neue in der Euryanthe bewährte, so müßte dies jeden Zweifler überzeugen!
Ueber das Buch oder das Gedicht, dessen Verfasserin, Helmina von Chezy, auch hier anwesend ist, wurde nicht überall so günstig geurtheiltT. Man fand darin nicht nur große Härte im Versbau, die aber die Dichterin zum Theil dem Meister auf den Hals wälzt, sondern auch die ganze Fabel langweilig. ¦ Das Urtheil des Unbefangenen ist weit billiger. Lieder, wie die erste Cavatine, das Mailied, der Jägerchor, der letzte Zweigesang sind gewiß des Ruhmes der Dichterin werth.
Der Clavierauszug wird in Kurzem bei dem allgemein geachteten Musicalienhändler Steiner hier erscheinen. Weber erhielt noch zwei Tage vor seiner Abreise eine Privataudienz bei’m Kaiser, der in den ersten Tagen nach seiner Rückkehr von Czernowitz sonst Niemand vor sich ließ, worin ihm der Monarch mit sehr huldreichen Ausdrücken die Erlaubniß ertheilte, ihm diesen Auszug zueignen zu dürfen; eine seltne, aber verdiente Auszeichnung.
Noch muß ich etwas von dem festlichen Abendmahl sagen, womit ein vertrauter Kreis von Weber’s Freunden, lauter Dichter und Künstler (27 an der Zahl), an demselben Abend, an dem die erste Aufführung der Euryanthe Statt gefunden hatte, in einem öffentlichen Speisehause* den Hochgefeierten empfing. Dieser Kreis versammelte sich Abends auch sonst oft an diesem Ort, doch war dies seit einiger Zeit weit seltner geschehen. Man gibt ihm hier die Benennung: Ludlamshöhle oder der LudlamT. Hier war es, wohin der Dichter Castelli und der Hofschauspieler Schwarz den mit Beifall gekrönten Tonkünstler führten und ihm zu Ehren eine eigne Liedertafel feierten. Die Büste des Kaisers stand in der Mitte, darunter Weber’s festlich gekränztes Bild. Es wurden unter dem gemüthlichsten Jubel in dieser Gesellschaft, die bis tief in die Nacht hinein sich verlängerte, mehr als vierzehn darauf gedichtete Lieder gesungen oder vorgelesen, alle überströmend von Begeisterung für den so innig befreundeten Künstler, bald in gemüthlich-herzlichen, bald in humoristisch-witzigen Formen und Einkleidungen. Zur letzten Classe gehörte insbesondre das erste Blatt einer Ludlamitischen Literatur-Zeitung, verfaßt von Jeitteles, der sich den Wächter dieser Höhle nennt, und die in Voraus gegen Weber’s Composition eingenommenen, vor der Anhörung schon alles verdammenden Vor-Recensenten mit scharfer Lauge nach Gebühr abreibt. Gewiß, es wäre Schade, wenn dieser Köcher voll Witzspitzen nicht zu allgemeiner Kenntniß kommen sollte, wie dies bei einigen andern Gedichten, die für diesen Abend erklangen, bereits der Fall gewesen. Johann Langer dichtete eine sehr beziehungsvolle Fabel von den zwei Sängern; Chr. Kuffner einen Gesang der Fröhlichen und musikalische Leiden und Freuden eines Layen. Auch in der reichen Sprache der Magyaren hatte Graf Mailâth dem Meister seinen Zoll dargebracht. Doch mögen Andere das Weitere darüber berichten. Ich theile Ihnen hier zur Probe nur den wahrhaft genialen Festgesang des gefühlvollen Seidl mit, den man auch wohl im nördlichen Deutschland durch so manche seiner Lieder, die in hiesigen Zeitschriften gelesen wurden, von der vortheilhaftesten Seite kennt. Schließen Sie von dieser Probe auf’s Uebrige. |
[Original Footnotes]
- *) Ganz Deutschland ist aufmerksam auf den Erfolg gewesen, den des gefeierten Maria von Weber’s Euryanthe in Wien, wo sie Barbaja bestellt hatte, gehabt hat. Es sind uns durch verschiedene Correspondenten ausführliche Berichte in günstiger und ungünstiger Stimmung zugekommen. Einige voll Enthusiasmus lauten fast ganz gleichförmig mit den Nachrichten, welche in wiener und dresdner literarischen und theatralischen Tageblättern bereits gelesen worden sind. Wir glaubten diese daher zurücklegen zu müssen, da wir ihren Inhalt als Allen bekannt voraus setzen können und der Raum für solche blos referirende Berichte uns sehr sparsam zugemessen ist. Es sind uns aber auch von der andern Seite Nachrichten zugekommen, die so ganz Allem, was letztere öffentlich darüber verlauteten, widersprechen, sich so geringschätzig und misgünstig darüber vernehmen lassen, daß wir billig Bedenken trugen, mit so leidenschaftlichen, sich absichtlich verblendenden Kunstrichtern hier etwas zu thun zu haben. Beikommende zwei Briefe sind von wohlunterrichteten Männern geschrieben, die weder in Lob noch Tadel ausschweifen. Die Erzählung dessen, was in Dresden geschehen ist, schien uns damit sehr passend vereinigt werden zu können.Die Red.
Editorial
Creation
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Responsibilities
- Übertragung
- Frank Ziegler
- Korrektur
- Eveline Bartlitz
Tradition
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Text Source: Literarisches Conversations-Blatt für das Jahr 1823, Nr. 278 (3. Dezember 1823), pp. 1109–1111
Thematic Commentaries
Commentary
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“In”recte “Im”.
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“… vollkommen, nur Adolar war schwach”Den Adolar sang Anton Haizinger.
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“… hatte, in einem öffentlichen Speisehause”Treffpunkt der Ludlamshöhle war das Gasthaus von Leopold Haidvogl in der Schlossergasse, nahe dem Stephansplatz.