## Title: Aufführungsbesprechung Prag, Ständetheater: “Fernand Cortez ou La Conquête du Mexique” von Gaspare Spontini am 9. September 1813 ## Author: Anonymus ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A031366 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Deutsche Oper in Prag.Den 9. September ward nach einer vier monatlichen Pause die deutsche Oper mit der Vorstellung des Ferdinand Cortez wieder eröffnet. Die Erwartung war um so höher gespannt, da alle Kunstfreunde den Genuß der Oper nur ungern durch mehrere Monaten entbehrten, und um so gewisser darauf rechneten, durch eine vorzüglich neue Organisation derselben für diese Entsagung entschädigt zu werden. In wie weit diese Hoffnung sich durch die That realisirte, wird uns eine kleine Uebersicht des jetzigen Zustandes zeigen. Die neu engagirten Mitglieder, die wir bis jetzt kennen gelernt haben, sind Herr Mohrhardt Tenorist, Herr Kainz und Schnepf Baßsänger, Madame Leutner, welche zu Chören und auch zu Aushülfsrollen verwendet wird. Das theatralische Debüt der Demoiselle van der Vliegen, die in einem Conzert zum Besten der barmherzigen Brüder zum erstenmahl sich öffentlich hören ließ, soll nächstens erfolgen. Im Orchester ist am Platze der Herrn Wenzl Müller Herr Kapellmeister Karl Maria von Weber, statt Herr Kral dirigirt die erste Violine Herr Klement aus Wien, die erste Oboe ist durch Herrn George neu besetzt, und das Violoncelle mit einem Individuum vermehrt worden. Der männliche Chor ist bedeutend verstärkt, dem weiblichen gebricht es zwar nicht an der Quantität, doch an der Qualität, indem er außer einigen weiblichen Stimmen noch immer von Singknaben besetzt ist. Die bis itzt unter Herrn Wenzl Müller bestandene Dislokation des Orchesters ist zum Vortheil abgeändert, der Flügel aus selben beseitiget, und der Kapellmeister taktirt bloß an einem kleinen Querpiano forte. Ferner ist die Oper mit einem Ballet bereichert, das theils aus einigen neu aufgenommenen Individuen theils aus Schauspielern, die schon ehedem zu Tänzen verwendet wurden, besteht. Ferdinand Cortez erschien auf der hiesigen Bühne zum erstenmahl, und da über diese Oper in öffentlichen Blättern schon so Vieles und Verschiedenes theils gesagt, theils nachgesprochen worden ist, so werde ich mich hier bloß auf die Wirkung beschränken, welche die Vorstellung derselben auf das hiesige Publikum im Allgemeinen hervorbrachte. Die vielfältigen, mitunter sonderbaren Aeußerungen über den musikalischen Theil dieses ernsthaften Dramas liefern in wenig Worten das Resultat, daß selber der Erwartung, sowohl des Laien als des Eingeweihten in der Kunst, nicht entsprochen hat. Da die Tonkunst die einzige ist, wo das Urtheil des Uneingeweihten wenigstens in einige Erwägung gezogen wird, weil diese Kunst das schöne Vorrecht hat unmittelbar zu dem Gefühl zu sprechen, wohin jede andere erst durch den Verstand wirket, so ist es nicht unbillig, daß wir hier auch seine Stimme mit hören, um so mehr, als besonders die dramatische Musik mittelst ihres melodischen und harmonischen Zaubers auch das Gefühl des Nichtkenners, deren doch der größte Theil ist, ergreiffen soll. Daß dieses aber bei Cortez nicht der Fall ist, erhellt daraus, weil selber kein anderes als nur jenes flüchtige Wohlgefallen darin findet, welches die plastischen und mimischen Reize ihm gewähren können. Dem Kenner hingegen entgeht zwar Herrn Spontinis Streben nicht, etwas Großes leisten zu wollen, aber leider fühlt er auch, daß der Künstler dieses erhabne Ziel nicht erreicht hat. Durch den Wahn verleitet, groß imposante Wirkungen seyen nur durch vervielfältigte, geräuschvolle Instrumente, und schneidend bizarre Akkorde hervorzubringen, füllt er das Ohr, und läßt das Herz leer. Den wahren Reichthum der Harmonie verkennend, sucht er ihn in der immerwährenden Veränderung der Tonarten, und nicht in der Verschiedenheit der Akkorde und ihrer mannigfaltigen schönen Verbindung. Sich bemühend, den Zuhörer, ohne ihn | vorher in eine angenehme Spannung versetzt zu haben, gewaltsam zu überraschen, bewirkt er im Gegentheil eine Monotonie, da er die heut zu Tage zur Mode gewordenen enharmonischen Ausweichungen in die entferntesten Tonarten, die mittelst des verminderten Septimmerakkordes und seiner Umwendungen so leicht und vielfach zu bewerkstelligen sind, bis zur Uebersättigung immer auf ein und dieselbe Art gebraucht. Omne nimium vertitur in vitium. Die schädlichen Folgen eines solchen Mißbrauches werden besonders in den Rezitativen am fühlbarsten, wo der Sänger von der Furcht, so schwierige, unmelodische Intonationen zu verfehlen, gefesselt, sich der nothwendigen Freiheit in der Deklamation und dem Spiele nicht bedienen kann, nicht zu erwähnen, daß der Kontrast, der zwischen dem Rezitativ und dem eigentlichen Gesangstücke herrschen soll, sich in das Einerlei verliert. Von jenen Schönheiten, die nur die höhere Setzkunst entfaltet, und die von den berühmtesten Meistern älterer und neuer Zeit mit hinreißender Wirkung im ernsthaften Drama benutzt wurden, sind wohl keine zu entdecken. In der Neuheit der Melodien, die den einzelnen Stücken zum Grunde liegen, war der Herr Verfasser dießmahl etwas karg, indem mehrere aus der Vestalinn entlehnt oder nachgebildet sind, andere aber, besonders die Märsche und Tänze, sich über das Gewöhnliche nicht erheben. Madame Grünbaum (Müller) gab die Rolle der Amazilly so treu und feurig, als sie nur immer der Componist empfunden haben mag. Nicht so lebhaft Herr Grünbaum den Cortez. Der Part des Herrn Mohrhardts als Alvaro ist zwar für einen Sänger nicht sehr auszeichnend, doch ließ er eine volle ausgiebige Stimme, und reine Intonation hören. Sein Spiel ist lebhaft, nur bisweilen zu unruhig. Herr Kainz scheint zwar ein braver Schauspieler zu seyn, jedoch als Sänger steht er auf der Stufe der Mittelmäßgkeit, und es ist ihm besonders das Studium der Reinheit zu empfehlen. Herr Siebert vereinigte in seiner Person den Moralez und Oberpriester, welches freilich nicht die günstigste Wir kung hervorbrachte, besonders da Herr Siebert eben nicht die Eigenschaft des Proteus besitzt. Der männliche Chor wirkte kräftig zusammen, und entschädigte für das, was man am weiblichen vermißte, der sich des Fehlers des Distonirens und Heulens schuldig machte, und daher noch einer Verbesserung fähig ist. Die Tänze sind zwar nicht von der Art, daß sie entzücken, demohngeachtet werden sie dem schauliebenden Theile des Publikums für manches Andere zur Entschädigung dienen. Die Exekution von Seite des Orchesters war pünktlich und feurig, und entsprach den löblichen Bemühungen des neuen Operndirektors. Die Dekorationen sind neu und schön, das Kostüme passend und geschmackvoll[.]