## Title: Aufführungsbesprechung Neustrelitz: “Der Freischütz” von Carl Maria von Weber am 15. September 1822 (3. Aufführung) ## Author: Anonymus ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A031360 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Neustrelitz, den 16. Sept. Wenn die ersten beiden Vorstellungen des Freischützen uns durch die festliche Gelegenheit, welche sie herbeiführte, durch das Neue der Erscheinung und durch die Anwesenheit des Herrn Blume und der Mad. Maurer interessirten, so war die dritte Vorstellung, am 15. d. M., besonders anziehend, weil hier das Meisterwerk, ohne fremde Beihülfe, von unseren heimischen Künstlern dargestellt wurde. – Die Kapelle scheint sich immer mehr mit der klassischen Musik zu befreunden, die Tempi wurden überall richtiger genommen, die Soli mit Geschmack und Virtuosität vorgetragen. Hr. Mager (früher beim Dessauer Theater) hatte die Rolle des Kasper übernommen, und sang und spielte sie mit ungetheiltem Beifall. Derselbe besitzt bei einem vortheilhaften Aeussern eine schöne klangvolle höchst angenehme Baßstimme, er ist ein gewandter und gebildeter Sänger, dessen Manier vielleicht hie und da etwas fremd erscheint. – Er sang die Partie und besonders die Schlußszene des 1sten Akts sehr brav. – Das Spiel war wohl berechnet und durchdacht, und nur die Vergleichung mit der ausgezeichneten Leistung seines Vorgängers, so wie die südliche Mundart wirkten nachtheilig. Die Großherzogl. Kammersängerin, Mad. Tomasini, sang die Agathe. Die herrliche metallreiche, zum Herzen sprechende Stimme, das treffliche portamento, die einfache Gesangweise dieser Künstlerin waren ganz geeignet, uns das Fromme, Gemüthliche, welches wir früher nur ahnen konnten, lebhaft fühlen zu lassen. Möchte die Theater-Direktion Mad. Tomasini, nicht minder Mad. Gley, vermögen, öfter in Opernpartien aufzutreten. Der Geschmack für Musik ist hier so vorherrschend, daß die Oper das Theater besonders interessant macht, es ist der Geschmack aber auch so gebildet, daß er nicht mit mittelmäßigen Leistungen sich abfinden läßt. Wir unterschreiben willig, was ein andrer Beurtheiler in diesen Blättern über Hrn. Schütz, Hrn. Franz und Dem. Strenge gesagt. Letztere besonders ist ein allerliebstes Talent, doch müssen wir mit eben diesem Beurtheiler stark rechten, daß er einem höchst gewandten Mitgliede unserer Bühne, dem Hrn. Posch so wenig Gerechtigkeit widerfahren ließ. – Hr. Posch spielt den Böhmenfürsten Ottokar keineswegs ungelenkig, wie der Hr. Rezensent sich auszudrücken beliebte; eine gewisse edle Steifheit in der Haltung karakterisirt grade sehr richtig die Fürsten jener Zeit. Daß Hr. Posch sonst Gelenkigkeit in Ueberfluß besitzt, beweiset seine rasche, feurige Gestikulation. Jedes Wort hat seinen Gestus, verlangt der Hr. Rezensent aber, daß der Künstler auf jede Sylbe eine Bewegung bringe? – Wie in allen Theilen durchdacht Hr. Posch die kleine Rolle spielte, beweist schon der Umstand, daß er dieselbe recht sinnig mit einem leichten, höchst reizenden Anklange von böhmischer Mundart singt und spricht. – Die Chöre gingen auch diesmal gut. In der Szenerie fehlte hie und da eine Kleinigkeit.