Bemerkungen zum Weimarer Freischütz-Bühnenbild (Wolfsschluchtszene) von Carl Holdermann nach Carl Lieber
Die Wolfschlucht aus dem Freischützen.
(Ein Decorationsbild.)
Wie vielfach hat der allgefeierte Freischütz nicht auch die bildenden Künste in Anspruch genommen und alles, was eine Reißfeder, einen Pinsel, einen Griffel oder Grabstichel zu führen wußte, in Bewegung gesetzt! Ein Sammler von dergleichen Curiositäten hatte schon zu Ende des letzten Sommers an 50 Blätter in allerlei Formaten und Manieren zusammengebracht. Und da waren die von Ramberg erfundenen und von verschiedenen Kupferstechern mit mehr oder wenigerem Erfolg ausgeführten Blätter zum Freischütz, die der Orphea im deutschen Publikum so viel Gunst erworben haben, noch nicht mitgezählt! Auch die Costümiers und Decorateurs haben hier einen weiten Tummelplatz für so manche fantastische Hirngeburt nach ihrer Art gefunden, wobei nur selten auf den Wink geachtet wurde, die der geistreiche Dichter des Stücks theils im Gedicht selbst gelegt theils auch in einzelnen Aufsätzen ausgesprochen hat. Aber nichts hat die Fantasie unserer Decorationsmaler und Maschinisten, die hierbei stets offene Cassen der Directionen fanden, so sehr in Anspruch genommen, als die berüchtigte Wolfschlucht mit allem ihren Hexensabat und Teufelsspuck. Es ist uns vor wenigen Tagen von Weimar ein sehr fleißig gearbeitetes Aquatinta-Blatt in größtem Folioformat zugekommen, welches eine der Idee nach wohl gelungene Vorstellung dieses dämonischen Stelldichein darbietet und bekannter zu werden verdient. Entwurf und Zeichung sind nach der Idee eines Lehrers bei der Weimarischen Zeichenakademie, Karl Liebers. Nun hat Schwertgeburt die | Staffage hineingezeichnet. Die Ausführung in Aquatinta ist von Holdermann, Regisseur und Decorationsmaler des Weimarischen Hoftheaters. Der Großherzog fand Wohlgefallen daran. Die Szene der Wolfschlucht wurde darnach auf dem Weimarischen Theater von Holdermann abgeändert, das Blatt aber dem Großherzog in Huldigung dargebracht.
Es ist der Moment gewählt, wo das wüthende Heer vom apokalyptischen Tode, (wie ihn vor einigen Jahren unser Prof. Hartmann gemalt hat,) auf dem fahlen Pferde angeführt, aus der gähnenden Wolfschlucht selbst in die durch herabzückende Blitze beleuchteten Dunstmassen emporsteigt. Die dreifachen Lichteffekte, unten durch die höllische Kohlenglut zum Gießen der Freikugeln gezündet, in der Mitte durch die Blitze, welche aus der Ferne herüberflammen, oben durch das Mondlicht, wodurch auch der Wasserfall in ermattendem Schimmer erglänzt, sind verständig angeordnet, sollten sie auch wegen mannigfacher Schwierigkeiten hier im Bilde noch nicht genug verschmolzen seyn. Aber Eine Idee hat uns vorzüglich in dieser Ausführung befriedigt.
Wer auch nur in unserer sächsischen Schweiz oder in dem benachbarten Schlesischen Zacken- und Kochelfalle herumkletterte, weiß, wie leicht sich Felsenmassen in einer nur etwas aufgeregten Fantansie zu allerlei barocken Aehnlichkeiten, zu großnasigen Riesenprofilen, Kamelen, Büffeln, Gänsen u. s. w. umgestalten, auch wohl in Märchen oder Sagen, wie der Jungfernsprung, Mönche und Nonne und wie sie sonst heißen mögen, umbilden lassen. Wie viel mehr muß dieß in diesem höllischen Felsenschlund ¦ in der Wolfschlucht der Fall seyn. Davon ging die Weimarische Theaterdecoration aus und gab allen Coulissen und Vorschiebestücken, statt bloßen schroffen Felsenmassen die fratzenhaftesten Larven und Thierrachenprofile mit allerlei Teufelsbrut und Gewürme, welches dazwischen herumkriecht, zwar eigentlich nur Buschwerk und halbverdorrtes Gestrüpp ist, aber hier an die Sippschaft erinnert, wie sie ein Höllenbreughel hervorruft. Wir halten diese ausdrucksvollen Felsenbilder für eine nicht schwere Aufgabe für einen nur mäßig geübten Skenographen. Nur kömmt dabei sehr viel auf die Beleuchtung und die das wohlangelegte Halbdunkel an, in welchem dergleichen fantastische Vorspiegelungen nur so viel Umriß bekommen, als zur Täuschung nöthig ist. Besonders macht ein grinzender Faunenkopf und eine Teufelsmaske ihm gegenüberm einen sehr auffallenden Contrast von Hohn- und Schadenfreude. Bei der mit Fleiß ausgeführten Decoration der Wolfschucht auf dem Dresdner Theater wurde ein ausgehölter Baumstumpf in den Rachen einer gefräßigen Bestie umgebildet. Was ließe sich nicht aus bloßen in einander gewundenen oder in Drachenwirbeln sich verschlingenden Baumwurzeln machen. Wer Albrecht Dürrer‡s christlichen Ritter und die darauf von La Motte Fouqué gegründete Erzählung in den Jahreszeiten noch in gutem Andenken hat, wird mich verstehen und in der Anwendbarkeit dieser Ideen selbst für Theaterdecorationen nicht zweifeln. – Zum Schlusse bemerken wir nur noch, daß nach einer uns mündlich mitgetheilten Bemerkung dem berühmten Tonsetzter des Freischützen der erfinderische Holbein auf dem ständischen Theater in Prag diesen in Ungeheuern verkörperten Felsen- (eigentlich Coulissen-) Wänden so gar während der Beschwörungszene durch Beweglichkeit einzelner Partien einen noch höhern Grad von Täuschung zu geben wußte, indem sich riesig-gespenstische Fantome durch Ausdehnung und Zusammenziehung gewisser Theile vor den Augen der Zuschauer ganz eigentlich zu beleben scheinen.
B.
Editorial
Creation
–
Responsibilities
- Übertragung
- Dubke, Esther
Tradition
-
Text Source: Artistisches Notizenblatt, Beilage zu Abend-Zeitung, Jg. 8, Nr. 5 (März 1824), pp. 19–20