## Title: Aufführungsbesprechung Wien, Theater an der Wien: “Der Freischütz” Carl Maria von Weber 24. Juli 1822 ## Author: Anonymus ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A031234 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Neuigkeiten.Tagebuch der Wiener-Bühnen.Juli 1822.[…] Den 24. Kärnth. "Corradino." (Letzte italienische Oper, worüber der theatralische Wegweiser noch eine Notiz geben wird.) An der Wien: "der Freischütze." Dem. Sonntag, vom königl. ständ. Theater in Prag, gab als zweite Gastrolle die Agathe. – Wie verschieden sich die Kunst in verschiedenen Gemüthern entfalte, lernten wir dießmal kennen. Wir haben diesen Part bereits von mehreren Künstlerinnen gehört, allein keine schien uns den schönen Grundgedanken der ganzen Oper, welche zuerst aus Agathens Gebet hervorgeht und am Schluße wieder so sanft und beruhigend zurückkehrt, ganz und vollendet aufgefaßt zu haben; keine vermochte ihn uns genügend vorzutragen. Es ist, glauben wir, hier derselbe Fall, wie in der Tragödie; die Hauptidee schlingt sich gleich einem Siberfaden durch alle Theile, sie ist das warme Herz, das den todten Körper beseelt, und wer es nicht erkennt, hat nur ein Scheinleben. Um es aber zu erkennen. ist vor allem ein reines ungetrübtes Kunstgefühl vonnöthen, und daß Dem. Sonntag dieses besitze, geht aus der Innigkeit hervor, mit welcher sie, von tiefen Stellen hingerissen, solches auffaßt und entwickelt. Jene zwei Arien, welche der Compositeur in seinen heiligsten Stunden gedichtet zu haben scheint, welche uns so unwiderstehlich der Erde entreißen und dem Himmel zuführen, welche so echt christlich sind, daß sie zugleich als ein Typus der romantischen Oper gelten können, trug die junge Künstlerinn vor, wie sie nur ein von dem Höchsten ergriffenen und das Höchste erkennendes Gemüth vortragen kann. Da war kein Ton zu schneidend oder zu grell, was bei der Höhe des Satzes so selten vermieden wird. Da vereinigte sich Alles zum weichen, sehnsüchtigen, schmelzenden Gebete und selbst ein gewisses Zittern der Stimme, die hie und da bemerkbar war, trug mehr zur höhern Vollendung bei, als daß es zu tadeln gewesen wäre. – Hatten wir Dem. Sonntag als Prinzessinn von Navarra bewundert, so lernten wir ihren innern Werth als Agathe erst erkennen, und dürfen um so sichrer behaupten, daß sie sowohl im Gesange als Spiele eine für ihr Alter seltene Kunsthöhe erreicht habe, die zu den größten Hoffnungen berechtiget, und die den Wunsch allgemein macht, sie doch unser nennen zu dürfen. […]