Aufführungsbesprechung Königsberg: “Der Freischütz” von Carl Maria von Weber (September 1822 bis Juli 1823)

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Königsberg, vom September 1822 bis July 1823. Am 8ten September wurde die hiesige Bühne wieder mit dem Freyschützen eröffnet und zwar bey vollem Hause. Der Beyfall, den diese Volksoper auch hier gefunden, ist durch dreissigmalige Wiederholung nicht verringert worden. Der Freischütz war es, der der bedrängten Theater-Kasse oft aus der Noth half, wenn alles Andere nicht mehr helfen wollte. Dem. Minna Schäffer von Berlin, Schülerin der Dem. Aug. Schmalz, neu engagirte erste Sängerin, debütirte als Agathe. Ihre gute Theaterfigur, gebildete Sprache, ansprechende Stimme und verständige Schule gereichten ihr gleich zur Empfehlung. Noch nicht ganz feste Intonation und Mangel an Theater-Sicherheit wurden wohl bemerkt, aber gern entschuldigt, denn diese Fehler verschwinden bey Fleiss und gutem Willen mit der Zeit. Dem. Sch. weiss ihre Stimme noch nicht genug in Ensembles geltend zu machen. Sie wurde als Agathe sehr applaudirt. Schade, | dass auch sie die einfach-schöne Stelle: „Leise, leise“, wenn auch nur wenig, verzierte! Als Königin der Nacht entwickelte D. Sch. einen bedeutenden Stimmenumfang (vom tiefen A bis ins 3 gestrichne F), in der Tiefe kraftvoll, in der Höhe leicht ansprechend, und ein hübsches Staccato. Als Prinzessin von Navarra, Donna Anna, Constanze in der Entführung, haben wir sie mit Vergnügen gehört und bedauern daher ihren kürzlich erfolgten Abgang. Sie ist in Braunschweig engagirt.

[…]

Musikalische Neuigkeiten waren: die Waise aus Genf, nach dem Französischen, von Castelli, Melodram

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In der Mitte des Decembers erschien Preciosa, nicht, wie in Berlin, auf einem Saumross, sondern auf den Schultern vier stämmiger Zigeuner*. Anfangs fand sie getheilten Beyfall, denn unser Publikum ist mit dem Romantischen noch nicht sehr vertraut, ausser, wenn es in der Wolfsschlucht mit der Nase darauf gestossen wird. Auch muss man, um einer verständigen Diction ihr Recht wiederfahren lassen zu können, sie doch auch im Zusammenhange verstehen, was in unserm Theater erst nach mehrmaligem Hören möglich ist. Wir danken es wahrscheinlich dem Mangel an andern Neuigkeiten, dass uns Preciosa öfter vorgeführt wurde; so fand allmählig das ansprechende, unterhaltende Stück, mit der trefflichen, höchst romantischen Musik von Carl Maria von Meber auch hier Eingang und nun stand Preciosa Bruder Freyschütz treulich zur Seite im Schützen und Schirmen der Direction. Mad. Huray sprach und spielte die Rolle befriedigend und auch den Ansprüchen an die Tänzerin und Sängerin genügte sie, da der Componist diese Ansprüche nicht zu hoch gesteigert hat. Mad. Schulze (Wiarda) zeigte sich als Meisterin. Dass der hübsche Chor in A dur zum Schlusse wiederholt wird, ist zweckmässig.

Fernere Benefize waren (und hierauf beschränken sich zugleich die Neuigkeiten) für Herrn Huray, ält. Sohn, ersten Tenoristen: das Zauberglöckchen (la clochette ou le diable page) von Herold in Paris, Oper in drey Akten. Dekorationen und Garderobe zum Theil neu; wurde einigemal gegeben. Wir fanden die Musik verständig und theilweise recht ansprechend, auch keineswegs ein so hartes Urtheil verdienend, als ihr von Hrn. Sievers aus Paris zu Theil geworden. Dem. Lanz als Lucifer gefiel. Für Hr. Ludwig (d. jüng.) der Freyschütz, Trauerspiel vom Grafen von Riesch, mit Musik von Wurst*. Es ergab sich, dass, wenn die herrliche Apel’sche Erzählung dramatisirt werden sollte, Kind’s Bearbeitung die zweckmässigere sey.

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Nicht besser ging es der von Seiten des Textes und der Musik gleich interessanten kleinen Oper: Abu Hassan*, vom kürzlich verstorbenen Hiemer in Stuttgardt und von C. M. v. Weber, die Hr. und Mad. Schulze, ein beliebtes Künstler-Paar im Lustspiel, zu ihrem Benefiz gewählt hatten. Bey raschem Spiel der drey Hauptpersonen wird diess Stück, wie hier, überall gefallen. Man konnte auch hier mit den Leistungen des Herrn Schwarz (Hassan), Weise (Omar) und der Dem. Lanz (Fatime) zufrieden seyn, da der erste Tenorist verreist ist und die Stellen der ersten Sängerin und des ersten Bassisten erledigt waren, auch die Rolle des Hassan beynahe mehr Spiel als Stimme, und die der Fatime gerade keine Virtuosität, aber Jugend erforderte (für Hrn. W. Bariton lag freylich die Partie des Omar nicht bequem). Der dritte Pfingstfeyertag war aber für ein Benefiz unglücklich gewählt, zumal da sich nach langem Winter nun endlich Spuren des Frühlings zeigten. So ¦ war die Einnahme klein und Manchen, der weder Stück noch Musik kannte, sprach Beydes nicht sogleich vorzüglich an, wie diess ganz natürlich ist. Auch ging noch nicht alles gut zusammen. Die Bitte einiger Musikfreunde um eine Wiederholung blieb von der Direction unberücksichtigt, welches uns unbegreiflich ist, da die Erfahrung gezeigt hat, dass Webers Compositionen stets mehr und mehr gefallen und die Stimmen Einzelner, die nicht wissen, was sie eigentlich wollen, indem ihnen die Musik zur Scene in der Wolfsschlucht zu grausend (!) und schwülstig, die zur Preciosa zu romantisch und zigeunerartig (!), die zum Abu Hassan zu flach (!) und leicht klingt, wahrlich keine Berücksichtigung verdienen. Doch vielleicht ist die Rolle des Hassan für Hrn. Huray, d. ält. Sohn, aufgespart, da Hr. Schwarz sie nur interimistisch übernommen hatte.

Im Ganzen war die Einnahme im Laufe des Winters herzlich schlecht; was wäre sie vollends ohne Webers Tonschöpfung gewesen! Die Direction liess kein Mittel unversucht, um das Theaterschiff flott zu erhalten, wohlfeiles Abonnement, Verloosungen u. dgl., sah sich aber dennoch wieder im Juny genöthigt, nach Litthauen zu gehen, um in Tilsit, Gumbinnen, Insterburg Vorstellungen zu geben. Schade, dass es nicht gelingt, hier ein stehendes Theater zu begründen, dessen Vorzüge vor einem wandernden wohl unbestritten sind.

(Der Beschluss folgt.)

Editorial

Summary

Aufführungsbesprechung Königsberg: Sept. 1822 bis Juli 1823

Creation

Responsibilities

Übertragung
Mo, Ran

Tradition

  • Text Source: Allgemeine Musikalische Zeitung, Jg. 25, Nr. 35 (27. August 1823), col. 568–574

Text Constitution

  • “Meber”sic!

Commentary

  • “… den Schultern vier stämmiger Zigeuner”Königsberger Erstaufführung am 15. Dezember 1822.
  • “… , mit Musik von Wurst”Musikmeister Wurst vom ersten Regiment in Königsberg, komponierte auch Musik zum Melodram Die Waise aus Genf.
  • “… interessanten kleinen Oper: Abu Hassan”Königsberger Erstaufführung am 20. Mai 1823.

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