Aufführungsbesprechung Wien, Theater an der Wien: EA Preciosa, 5. Juli 1823
Im Theater an der Wien ging die vielbesprochene "Preciosa" endlich am 5. July in die Scene. – Obwohl Zigeunermädeln in der Regel keinen Paß mit sich führen und auch keinen bekommen, so wollen wir doch bey gegenwärtigem eine Ausnahme machen und ihm einen solchen ausstellen, aber keinen Laufpaß, sondern einen ordentlichen. Preciosa also, oder Preciöschen, wie sie ihre schwarzbraune Ziehmutter gerne nennt, ist eine geborne Wolff, d. h. der Vater, dem sie geboren worden, und wie einige wissen wollen, in Spanien geboren worden, nennt sich Pius Alexander Wolff. Sie ist gerade so alt, um zu wissen, daß ein schmucker Ritter eine bessere Parthie sey, als ein schmutziger Zigeuner. Ihre Reise geht durch ganz Deutschland und sie hält sich überall so lang auf, als die Leute an ihr Gefallen finden. Ihr Reisegefährte heißt Carl Maria von Weber, und Viele wollen behaupten, Preciöschen begleite ihn, nicht er Preciöschen; das ist ein Räthsel, aber ein sehr leichtes. Uebrigens ist sie ein sehr reitzbares Geschöpf, das selbst nicht recht weiß, was es will, also durchaus romantischer Natur; […]
Wer außerdem noch Näheres von ihr zu erfahren wünscht, den verweisen wir auf die erste beste spanische Novelle, wo ein adeliches Kind von gemeinen Zigeunern gestohlen, unter dieser Rotte, ein Engel unter Teufeln, auferzogen und am Ende aber glücklicherweise von den unglücklichen Aeltern mittelst diesem und jenem Merkmahle wieder erkannt wird – er findet hier Punkt für Punkt die nähern Umstände von Preciosas abentheuerlichem Leben.
Im Ernst gesprochen; für ein Spektakelstück ist diese Preciosa zu gut und für ein Drama, das auf höhern Werth Anspruch macht, zu mittelmäßig; wir hätten sie daher unter die Reserve kommandirt, wenn nicht das Geschrey, welches seit Jahren über das charmante Zigeunermädchen aus allen Zeitungen erscholl, uns auf den Nebentitel: Zugstück verwiesen hätte; – ob mit Recht, das wird sich, hier wenigstens, binnen Kurzem entscheiden. Uebrigens ist das Ganze ohne Zweifel Nachahmung irgend eines spanischen Stückes, und die Einfachheit der Handlung wäre lobenswerth, wenn die Ausführung besser gerathen. Unter den Charakteren ist keiner fest und bestimmt ausgeführt, der einzige Pedro ausgenommen, dessen Eisenfresserey wirklich durch einige kräftige aus dem Leben genommene Züge ergötzt. Preciosa selbst ist schon oben näher bezeichnet worden, man weiß nicht, was man aus diesem Geschöpfchen machen soll, das bald schwärmerisch, bald naiv, bald kalt, bald glühend, bald furchtsam, bald über die Massen tapfer erscheint. Vorzüglich leer und augenscheinlich blos um des Effektes willen hingestellt, kamen mir die hübsch gereimten Verse vor, die das Zigeunermädchen im ersten Aufzuge improvisirt; […]
Was Webers Musik anbelangt, so ist sie den meisten Kunstfreunden wohl bereits, wenigstens in einzelnen Stücken, bekannt. Die Ouvertüre zeichnet sich zwar durch wohlklingende Instrumentirung aus, doch fehlts ihr an Einheit. Bey der ersten Darstellung mußte sie wiederholt werden. Einzelne Chöre waren von großem Effekte, z. B. jener im Anfang des zweyten Aufzuges mit Echo. Aeußerst zart und lieblich ist auch Preciosa’s Ariettchen: Einsam bin ich , nicht alleine &c.
Die Darstellung von Seiten der Schauspieler konnte ziemlich gelungen genannt werden. Dem. Schröder fand in der Hauptrolle vielen Beyfall; doch konnte sie sich unmöglich in alles finden, was dazu erfordert wird. Es ist genug, wenn man alle Anlagen zu einer guten Schauspielerinn hat, und wer kann oder darf dann noch mehrere verlangen? Hr. Spitzeder war als Pedro klassisch.
Editorial
Summary
Preciosa EA 5. 7. 1823 Theater an der Wien
Creation
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Responsibilities
- Übertragung
- Solveig Schreiter
Tradition
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Text Source: Allgemeine Theaterzeitung und Unterhaltungsblatt für Freunde der Kunst, Literatur und des geselligen Lebens, Jg. 16, Nr. 86 (19. Juli 1823), pp. 343