## Title: Aufführungsbesprechung Berlin, Schauspielhaus: “Der Freischütz” von Carl Maria von Weber, 8. Juli 1823 ## Author: Anonymus ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030431 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Am 8ten Juli im Schauspielhause: "der Freischütz" . (Dem. Wilh. Schröder, vom Königl. Hoftheater zu Dresden: "Agathe.") – Warum ist es nicht möglich, bei dieser Oper alles musikalische und nicht musikalische Getöse zu überhören, und sich an ihren naiven, launigen, lieblichen und innig rührenden Melodien allein zu laben! Doch hier auf dem Papiere soll uns ihr Bischen Plack und Qual, das ist, ihre Milch des Mondes, ihr hut! sammt ihrem Spinnweb' – denn auch hieran fehlt es ja wohl mitunter nicht, sonderlich da, wo die Geigenbogen wahre Fiedelbogen-Dienste verrichten u. ganze Minuten auf einem Tone hin und her tanzen müssen – keine Noth machen, zumal heute, da wir mit Vergnügen einer „Agathe“ gedenken, die dem Komponisten an wahrer Seele ähnlich ist, und die er sich vielleicht selbst zuzog. – Das zarte Täubchen that bei uns gewaltig verschüchtert. Und recht überlegt, kann man's ihm, eben der Zartheit wegen, durchaus nicht verdenken; es mochte hier mehr als einen grimmigen Recensenten-Habicht wittern, und wir haben dergleichen, die mit ihrem krummen Schnabel und giftigen Krallen so verzweifelt vornehm thun, daß sie keck jenen für den ächten satyrischen Stachel, und diese für wahre Hogarthsche Lanzetten ausgeben. Aber warum vergaß Demois. Schröder so ganz, daß sich gescheidte Leute hier die Freiheit nehmen, solche Kritiker gleich an Ort und Stelle zu verlachen, damit man sich nicht erst auswärts damit zu incommodiren habe? Da wir unser gutmüthiges Körnchen Weihrauch den übrigen Sängern und Sängerinnen bei Gelegenheit bereits zukommen ließen, so sey es uns erlaubt, bei der lieblichen Fremden diesmal allein zu verweilen; sollte es auch nur seyn, um ihr zu zeigen, daß es mitunter in Berlin doch auch wohlgezogene Recensenten giebt, die das Angenehme gern und das Unangenehme, wenn auch nicht mehr verbindend als verwundend, doch so sagen, daß man merkt, es sey besonders nur die Heilung in aller Hinsicht bezweckt. – In der That, bei so entschiedenen Vorzügen, als diese gemüthliche Sängerin theils der Natur, theils der Kunst verdankt, hätte sie die Aengstlichkeit gar nicht nöthig gehabt. Ihre Stimme ist nicht bloß rein | und von gehörigem Umfange, ihre ausnehmende Anmuth ist auch jener Reinheit, und ihre Fülle und Kraft diesem Umfange vollkommen gleich. Dabei singt sie mit einem so hinreißenden Ausdrucke, und hat das seelenvolle, allmählige Anschwellen des Tones, ihrer Jugend ungeachtet, schon so in ihrer Gewalt, daß sie jedes der Empfindung offne Herz sogleich an sich fesselt. Schade also, daß Demois. S. die Zuversicht, die ihr nach den ersten Beifalls-Bezeugungen zu statten kam, nicht gleich Anfangs hatte! Sie brachte uns damit, freilich ohne es zu wollen, um einen Theil des schönen Genusses. Denn hätte ihr jene Zuversicht nicht gefehlt, fürwahr, sie würde uns mit der begeisternden Arie: „All' meine Pulse schlagen,“ noch inniger gerührt haben, als dies unter den Umständen geschehen konnte. Dafür sang sie aber, durch den Beifall, der ihr selbst bei der Aengstlichkeit nicht fehlen konnte, aufgemuntert, die Cavatine „Und ob die Wolke sie verhülle,“ bezaubernd schön. Referent bittet, für keine Floskel zu halten, was nur der wahrste Ausdruck seiner Empfindung ist[.] Auch ihr Spiel wurde freier, als sie erst wieder Zutrauen zu sich selbst gewonnen hatte, und die Steigerung ihres mimischen Ausdrucks bei der immer wachsenden Hoffnung, daß das Endurtheil des frommen Eremiten zu Gunsten ihrer Liebe seyn werde, war über jedes kalte Lob erhaben. Daß die Bühne ihr übrigens noch kein ganz heimisches Gebiet ist, bemerkt man an der etwas nachlässigen Körperhaltung, an den noch schwankenden Bewegungen, was indessen kleine Mängel sind bei so vielem Beruf, obgleich sie allerdings noch hinweg müssen.