Carl Ferdinand Pohl to Friedrich Wilhelm Jähns in Berlin
Wien, Friday, April 28, 1876

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Hochgeehrter Herr!

Es war doch gut, dass Sie mir Ihre eingehende vortreffliche Ausarbeitung sehen liessen. Beim Aufschlagen des ersten Heftes sahen mir beim ersten Blick alte Bekannte entgegen. Da war erstens die Ouverture, die sich in Köchel’s Mozart-Katalog N° 184 befindet, also den ersten Satz einer Sinfonie bildet, die Mozart in den 70er Jahren geschrieben. Ferner die erste Arie Es-dur 2/4 „Der Liebe Glück empfinden“; diese ist identisch mit einer Arie aus Haydn’s „La fedelà premiata“, comp. u. aufgeführt 1780 in Esterhaz. Nach dieser Entdeckung sah ich hier weiter u. fand noch zwei Nummern mit gleichlautendem Anfang. N° 3, Arie C-dur ¾ „ja, ja, Hans Klaus[“], passt auf die Einlage bei Scena IV C-dur ¾ „Salva ajuto“. Haydn scheint diese Arie später componirt zu haben; die frühere ist merkwürdigerweise Molltonart u andre Taktart G-moll, C. Endlich fand sich das Finale G-dur ¾ übereinstimmend mit dem Eingangschor (gleich nach der Ouverture) nämlich „Bella Dea che in ciel risplendi“. In der Ouverture hat Haydn den letzten Satz der Sinfonie La Chasse benutzt, oder hat umgekehrt später diese Ouverture zu der genannten Sinfonie verwendet. Leider ist die noch vorhandene Partitur der Oper deffect, vielleicht liesse sich dann sonst noch weiteres finden. Vergebens habe ich alle übrigen Opern von Haydn durchgesehen; keine der noch übrigen Nummern des Freibrief stimmt mit jenen zusammen*. Haydns Oper ist auf ital. Text componirt; eine beiläufige Verdeutschung steht im Textbuch der entsprechenden ital. Seite gegenüber. Die Handlung selbst ist so läppisch wie nur möglich. Die Oper wurde u. a. aufgeführt in Wien (1784, wo sie Weber gehört haben dürfte), in Pressburg von der Kumpfischen Gesellschaft (1785‒87), in Graz (1793) etc. ‒ Die Schlussfolgerung obiger Daten | ergeben sich von selbst. Jedenfalls ist die Frage nun beantwortet; es bliebe nur noch übrig, zu erfahren wer die Texte geschrieben hat; bei Haydn ist gerade diesmal kein Name genannt, hier ist dies auch von keiner Bedeutung; beim „Freibrief“ wäre vielleicht der nächste Weg bei der Weber’schen Familie selbst zu suchen. Noch Eins: Die durchgepauste Handschrift hat mit dem Copisten Elssler nichts zu schaffen; zum Vergleich habe ich einige seiner Zeichen beigefügt.

Ich muss schliessen. Verzeihen Sie, wenn die einzelnen Punkte hier vielleicht durcheinander gerathen sind; ich habe Ihnen so gerne recht bald, wenn auch mit äusserster Anstrengung, das erlangte Resultat zusenden wollen, Sie werden sich wohl zurecht finden. In Folge meines Falles leide ich an Herzbeklemmungen, die mir jede Bewegung sauer machen – sollte der Haydn wieder ein Torso bleiben?*

Mit wahrer Hochachtung und herzlichem Grusse
verbleibe ich
Ihr
aufrichtig ergebener
C. F. Pohl.

Editorial

Summary

es geht abermals um die Oper Der Freibrief, in Haydns Oper La fedeltà premiata finden sich übereinstimmende Stellen

Incipit

Es war doch gut, daß Sie mir Ihre eingehende

Responsibilities

Übertragung
Frank Ziegler

Tradition

  • Text Source: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Shelf mark: Weberiana Cl. IV B (Mappe XIV), zu Nr. 1259 E

    Physical Description

    • 1 DBl. (2 b. S. o. Adr.)
    • durchgehend in lateinischer Schrift

Text Constitution

  • “mir”sic!
  • “dann”crossed out
  • “sonst”added above
  • “ mit”added above

Commentary

  • “… Freibrief stimmt mit jenen zusammen”Zur Ermittlung weiterer Vorlagen vgl. WeGA, Bd. III/11b, S. 309‒316.
  • “… Haydn wieder ein Torso bleiben?”Bd. 1 von Pohls Haydn-Monographie war 1875 in Berlin erschienen, Bd. 2 kam erst 1882 in Leipzig heraus.

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