Korrespondenz-Nachrichten aus Prag, Juli 1813

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Korrespondenz-Nachrichten.

Prag, July 1813.

Unsre Stadt war in den letzten Monaten der Mittelpunkt mancher interessanten Erscheinungen, die mehr oder weniger mit den großen Ereignissen unsrer Zeit in Verbindung standen, und unsern Tagesgesprächen, die bis dahin gewöhnlich nur Nahrung aus den öffentlichen Blättern zogen, eine lebendige Quelle gewährten. Gleich zu Anfang, als das Kriegsgetümmel sich der Elbe näherte, und dann diesen Fluß überschritt, kamen Flüchtlinge aus Sachsen, viele edle Familien und Individuen, in unsern friedlichen Gefilden eine Zuflucht gegen die Drangsale der Heimath zu suchen. Dann wanderte plötzlich der Königlich Sächsische Hof von der Donau her hier ein, und mit ihm ein Gefolge von hohen und subalternen Offiziers von allen Waffen in glänzenden Uniformen, wie wir zu sehen hier nicht gewohnt sind. Promenaden und Schauspiele waren nun wie durch einen Zauberschlag mit neuen Gestalten angefüllt, und die Blicke der Logen ruhten jetzt mehr auf dem Parterre, als auf der Bühne. Der Sächsische Hof lebte eingezogen auf der Burg, | selten sah man ihn öffentlich erscheinen, und das nur auf irgend einem Fleck der schönen Umgebungen, womit die Natur uns so reichlich ausgestattet hat. Zu gleicher Zeit war auch die Großfürstinn Katharina Pawlowna, verwittwete Prinzessinn von Oldenburg, hier eingetroffen, die in mehr als einer Hinsicht die Blicke auf sich zog. Diese Fürstinn verbindet mit den Vorzügen der äußern Gestalt das liebenswürdigste Betragen und einen hohen Geist, und gewann bald die Ehrfurcht aller derer, die sich ihr zu nahen das Glück hatten. Sie nahm all unsre Institute, alles Sehenswerthe, was Kunst und Natur hier darbieten, in Augenschein. Ueberall zeigte sie sich als eine Dame von seltnen Kenntnissen, gebildetem Geiste und reger Wißbegierde.

Plötzlich änderten sich diese Erscheinungen; die Schlacht von Lützen rief die Sachsen in ihre Heimath zurück, und aus den preußischen Provinzen kamen nach und nach eine Menge Flüchtlinge herein, die zuletzt in einem solchen Maße zunahmen, daß unsre Stadt für eine Weile, im wirklichen Sinne des Worts, damit überfüllt ward. Seit der ersten Emigration der Franzosen mag man wol nirgend ein solches Schauspiel gesehen haben. Theils vertrieb sie die Furcht vor den heranrückenden Franzosen, mehr aber noch die Anordnung des Landsturms, dem man sich entziehen wollte. Die Ansicht der Tagsereinisse ward denen, die den reinen Quellen nicht ganz nahe waren, durch diese vielen Fremden nicht klarer. Es fanden sich unter ihnen Leute von den verschiedensten Gesinnungen, Erwartungen, Wünschen und Hoffnungen, und die Momente der Zeit mussten sich oft, jeder Thatsache zum Trotz, nach diesen gestalten. Es gab keinen, wirklich oder vermeintlich bedeutenden, Namen, der nicht zu jeder Stunde des Tags als Autorität für irgend ein Gerücht angeführt ward. Das letzte Getümmel dauerte nicht lange; theils wurden die Flüchtlinge durch die übermäßige Theurung unsrer Wirthshäuser, zu denen sie, da hier die Privat-Logis nicht gewöhnlich sind, Zuflucht nehmen mussten, verscheucht, theils kehrten sie bey dem Waffenstillstande schnell wieder nach ihren ehemaligen Wohnplätzen zurück. Jetzt bietet Prag die angenehmsten Erwartungen dar. Die Bevollmächtigten zum Kongreß sind eingetroffen. Die Nähe unsers vielgeliebten Kaisers, der das zwey Meilen von hier gelegene Schloß von Brandeis bewohnt, und des Hauptquartiers des die Armee in Böhmen kommandirenden Fürsten von Schwarzenberg, so wie der in den umliegenden Gegenden kantonnirenden Truppen, unterhält die nun schon gewohnte außerordentliche Bewegung und Lebhaftigkeit in dieser ohnehin stark bevölkerten Stadt.

Unser Theater bot mittlerweile keine besondre Erscheinungen dar. Die Oper ist, wie bereits berichtet, für diesen Sommer nicht im Gange, und das Publikum sieht mit Ungedult der neuen Schöpfung entgegen. Mit dem Personal des Schauspiels ging keine bedeutende Veränderung vor. Es hat an Hrn. Schmelka, der zu Ostern abging, einen braven Komiker verloren, der zwar mitunter dem gebildeten Theile der Zuschauer durch Trivialitäten lästig ward, im Ganzen aber doch manche Rolle belebte, die jetzt, da er durch Niemand ersetzt ward, schleppend dargestellt wird. Einige Gäste besuchten uns, wahrscheinlich um engagirt zu werden, sie gefielen aber nicht, z. B. Hr. Ströbel vom Weimar’schen Theater; er brachte Haltung und Manieren der hohen Tragödie, die er sich dort angewöhnt haben mochte, in unsre Conversationsstücke über, und erschien steif; dabey ist sein Organ keineswegs angenehm; sonst ist ihm Talent in der Deklamation nicht abzusprechen. Dann erschien ein Hr. Kattfuß, wahrscheinlich von irgend einer herumstreifenden Truppe; er fiel aber bey den ersten Rollen durch, und dies rettete uns vor einem Don Carlos nach seiner Manier, womit wir bedroht waren. Referent erinnert sich auf großen ¦ Bühnen nie so etwas Widriges, als diesen jungen Menschen, gesehen zu haben. Dann producirte sich Hr. Fiedler. Er hat ein leichtes, natürliches Spiel, und einen reinen Dialekt. Es ward ihm verdienter Beyfall zu Theil; und er wäre wahrscheinlich engagirt worden, wenn nicht um dieselbe Zeit Hr. Polawsky wieder zu uns zurückgekehrt wäre. Dieser brave Künstler ward voriges Jahr mit all den Vortheilen eines Hof-Schauspielers nach Wien berufen; es scheint ihm aber dort nicht gefallen zu haben, theils weil sein Rollenfach schon von Andern besetzt war, theils wol aber auch, weil er gewohnt war, sich hier in allen seinen Bewegungen und Manieren applaudirt zu sehen, wovon denn doch einige dort näher geprüft werden möchten. – Hr. Polawsky verdient ohne Widerrede zu den bessern deutschen Künstlern gezählt zu werden; er ist stets Meister seiner Rolle, wenn es darauf ankommt, sich dem Erguß oder vielmehr Ausbruch der innern Gefühle zu überlassen; aber er vernachlässigt oft die kleinen Nuanzen in Haltung der Charaktere, die den wahren Künstler bezeichnen. Hr. Brand vom Rigaer Theater, der seit Ostern zu den Mitgliedern unsrer Bühne gehört, ist einige Mal in den Rollen karrikirter Franzosen, Riccaut in Minna von Barnhelm und in der Heirath durch den Reichsanzeiger, aufgetreten, wozu er Talent hat; sonst aber scheint er hier noch nichts einstudirt zu haben. Seine Frau spielte in dem letztern Stücke die Preciöse, und erhielt Beyfall. Uebrigens bleibt es auf der hiesigen Bühne noch immer bey den Stücken des alten Repertoires, von denen einige, wenn sie durchgängig gut besetzt sind, wirklich meisterhaft dargestellt werden; ein Lob, in das auch viele der uns besuchenden Fremden, welche die ersten Bühnen Deutschlands kennen, einstimmen. Es versteht sich dies nur von den Conversationsstücken und sogenannten Familien-Gemählden, denn zur Tragödie versteigen wir uns selten, und thun wohl daran. Von Neuigkeiten erinnert sich Referent nur Welf von Trudenstein, von Klingemann, ein Spätling aus der tobenden Ritter- und Gespenster-Epoche, und die Soldaten von Arresto, gesehen zu haben. Bey dem Letztern war auf dem Anschlagzettel bemerkt: noch Manuscript, es hätte aber zugleich eingeschaltet werden sollen: wol nur aus Mangel eines Verlegers. Es ist dasselbe Stück, welches den Verfasser, nebst der Fortsetzung desselben: Der feindliche Sohn, vor etwa zehn Jahren in den lächerlichen Streit mit mehrern kritischen Blättern, besonders dem Freymüthigen, verwickelte.

Eine wunderliche Erscheinung auf unsrer Bühne war die des Dr. Wötzel, bekannt durch die Erscheinung seiner Frau nach ihrem Tode. Er hat jetzt eine zweyte Frau, und mit dieser reist er umher, sogenannte dramatische Deklamationen zu geben. Beyde haben keinen Beruf zu dieser ohnehin mißlichen Kunst. Hier fielen sie gänzlich durch. Mad. Wötzel spielte zugleich die Frau im häuslichen Zwist, von Kotzebue; allein zur Schauspielerinn ist sie weder durch Gestalt noch Kunst geeignet.

Die Emigration aus dem Preußischen hat uns auch den Dichter, Hrn. Robert und Hrn. v. Woltmann zugeführt. Der Erstere wird seine Tochter Jephtas und die Macht der Verhältnisse hier aufführen lassen, und der Letztere, wie es heißt, an einer Geschichte Böhmens arbeiten. Auch will er hier noch mehr Materialien zu seiner Geschichte des dreißigjährigen Krieges sammeln, woran es in diesem Lande, das den ersten Anlaß zu demselben gab, und wo er so oft wütete, nicht fehlen kann. Eine Idee zur Geschichte Böhmens von ihm erscheint im nächsten Heft des Kronos. Dieses Journal liefert fortdauernd interessante Aufsätze und eine fortlaufende Geschichte der Zeit.

Editorial

Summary

Bericht aus Prag, u. a. über Neuigkeiten aus dem Ständetheater.

Creation

Responsibilities

Übertragung
Mo, Ran

Tradition

  • Text Source: Morgenblatt für gebildete Stände, Jg. 7, Nr. 190 (10. August 1813), pp. 759–760

    Commentary

    • Tagsereinisserecte “Tagsereignisse”.

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