Korrespondenz-Nachrichten aus Wien, Mai 1813, darunter “Abu Hassan” von C. M. v. Weber am 28. Mai 1813
Korrespondenz-Nachrichten.
Wien, May.
Welf von Trudenstein oder die Grube zu Dorothea, Ritter-Schauspiel in fünf Aufzügen von August Klingemann; der Kobold, eine komische Oper in vier Aufzügen nach Gotters Lustspiel frey bearbeitet von Sonnleithner; Moses Errettung, ein Schauspiel in einem Aufzuge von A. Klingemann, und Abu Hassan, Singspiel in einem Aufzuge von F. K. Hiemer, sind die neuesten Erscheinungen in unsrer theatralischen Welt.
| Welf von Trudenstein in einem, das Alterthums-Gepräge führenden, Style geschrieben, hat wenig Handlung und keine gehaltene Karaktere. Daß die beyden Sprößlinge zweyer Familien, welche einst sich liebten, und von einander getrennt wurden, sich wiederum in zwey Bildnisse, die ihnen ähnlich sind, gleichsam verlieben, durch Sympathie an sich gezogen, und endlich auch vereinigt werden, gehört ins Gebiet des Fabel- und Wunderhaften, das sich wol zur Erzählung, nicht aber zur Darstellung auf der Bühne eignet. Wenn nun noch Welf, der als dreyjähriger Knabe von Udo, Elsa’s Vater, in die Dorothea-Grube geworfen, von einem Bergmann aber gerettet wurde, als Köhlerbube erscheinen und gleich darauf mit Schwert und Schild so geschickt, wie mit dem Köhlergeräthe, hantieren muß, Udo immer und ewig auffährt, flucht und sich beruhigt, um von Neuem aufzufahren, Elsa schwärmend schmachten und sehnsuchtsvoll lieben, dabey ihrem Vater kindlich anhängen soll; so sieht man leicht, daß ein solches Stück besser zu lesen als zu spielen ist, und einzelne Scenen für das Mangelhafte der Anlage nicht entschädigen können. Es gefiel nicht. Die Besetzung desselben war gut. Hr. Rüger gab den Udo von Treseburg, und wusste diesen inkonsequenten Karakter durch eine Mischung von Bösartigkeit anziehend zu machen und aufrecht zu erhalten. Wir besitzen an diesem jungen Mann im Fache der Väter und Greise ein überaus brauchbares Mitglied, das bey fortgehendem Fleiß und Studium sich der Zahl vorzüglicher Künstler anreihen wird. – Hr. Demmer, der Jüngere, stellte den Welf vor. Ihm gelingen die mehrseitigen Rollen in einem hohen Grade; seine Ansichten sind stets richtig, sein Spiel gut geordnet, gerundet, aus ihm selbst hervorgegend. Er besitzt Originalität, ohne sie, wie Hr. Grüner, überall geltend machen zu wollen. Elsa, Dlle. Caroline Teimer, ist in sanften kindlichen Situationen immer eine angenehme Erscheinung, die zu guten Erwartungen berechtigt. In den kleinern Rollen zeichnete sich Hr. Hennig als Burgvogt, Hr. Schmidtmann als Köhler, Hr. Scholz als Bergmann Walter, der Welfengerettet hat, aus; dagegen wurde die furchtsame Amme Brigitta von Mad. Müller beynahe gänzlich vergriffen.
Die komische Oper, der Kobold, hat auch wenig Glück gemacht. Es fehlt ihr an gehöriger Exposition. Ein alberner Bedienter spielt die Haupt-Rolle. Diese befand sich in guten Händen bey Hr. Gottdank. Sie ist komisch angelegt, und auf ein gewandtes Spiel berechnet. Darin hat der Darsteller vollkommen befriedigt. Wir haben Hrn. Gottdank im komischen Fache noch nicht gesehen – ihm gehörte das der Liebhaber an – und freuen uns, seinem Talente Gerechtigkeit widerfahren lassen zu können. Er wird bey einiger Uebung sehr brav werden. Seine Stimme ist toureich und hat eine bedeutende Höhe, seine Methode ist geläutert, sein Spiel natürlich, ungezwungen. Wagner sein Herr, (Hr. Weiß), hat, die Stimme abgerechnet, die man hier allgemein schulmeisterlich nennt, von allem diesen nichts. Er bleibt kalt und herzlos; seine Mimik spricht nicht, seine Bewegung ist eckig, sein Vortrag geschnörkelt, geschmacklos. Man muß an die Schule, die ihn bildete, sehr gewöhnt seyn, um ihn erräglich zu finden. Er singt die Noten mit vieler Geläufigkeit, ohne deßhalb, im Sinne des Worts, ein dramatischer Sänger zu seyn. Den Part des Tamino in der Zauberflöte gab er neuerlich auch sehr schlecht. – Karlstein, der Offizier, wurde im Kobold vom Hrn. Forti gegeben. Seine Baß-Stimme ist voll Kraft und Metall, aber seine Sprache und Aktion bedürfen noch einer großen Verbesserung. Die beyden Damen, Henriette und Lisette, wurden von Mad. Hönig und Dlle. Henriette Teimer recht gut durchgeführt. Die Musik von Kapellmeister Himmel gefällt nicht.
¦ Moses Errettung ist die biblische Erzählung von seiner Geburt, seinem Aussetzen und Auffinden – für uns ohne Interesse. Es ist kein Verlust, weder in dramatischer noch artistischer Hinsicht, wenn wir die Produktion gar nicht erblickt hätten. Es wurde sehr mittelmäßig gegeben, aber mit unbeschreiblicher Heftigkeit gespielt. Man hatte den Anschein, die Aufmerksamkeit durchaus fixiren zu wollen. Dies gelang indessen nur der Miriam, (Dlle. Nanettte‡ Laroche) und der Thamira, (Mad. Gottdank), Beyde im Grunde nur Anfängerinnen. Letztere zeigt bey ihren glücklichen Anlagen viel Fleiß und besitzt bey einer schönen Gestalt auch ein herrliches Organ. Sie ist für tragische Rollen geschaffen, Dlle. Laroche für leichte, zarte Karaktere geeignet. Amram war Hr. Grüner; er zeichnete sich nicht aus.
Für die Langeweile, welche Moses Errettung verursachte, entschädigte die vollendete Darstellung des Singspiels, Abu Hassan, mit Musik von Karl Maria v. Weber. Letztere hat eine Menge lieblicher Ideen, lässt jedoch hin und wieder das Gelehrte der Komposition durchblicken. Der Inhalt, daß ein junges frivoles Ehepaar, Abu Hassan und Fatime, Lieblinge des Kalifen, Alles verschwendet hat, und um seinen Glücksstand zu verbessern, sich todt stellt &c., dürfte schon bekannt seyn; allein mit größerer Laune, Präzision und Wahrheit kann unmöglich eine Darstellung gedacht werden. Fatime, Dlle. Buchwieser, ist in den feinen Nuanzen der liebenswürdigen Frivolität unerschöpflich; jede Bewegung ist Anmuth, jeder Blick bedeutend, jede Stellung Grazie. Man darf die Darstellung der Fatime ein reines Kunst-Produkt nennen, das unnachahmlich bleibt, wenn man sich den gebildetsten Umgangs-Ton nicht gänzlich angeeignet hat. Von seiner Seite gleich gut gab Hr. Ehlers den Abu Hassan. Er ist als vorzüglicher Schauspieler schon lange bekannt, und entwickelt seine Talente in jeder neuen Rolle glänzender. Wenn man ihm Papageno, als liebenswürdigen Naturmenschen, im Murney als Held und Gatten, im Johann von Paris als Fürsten und lebenslustigen Bürger &c., im Hassan als leichtsinnigen Verschwender, dem nur die Gegenwart am Herzen liegt, aufmerksam betrachtet, so wird man ihm mit vollem Recht das Prädikat der Vielgestaltigkeit, nach welchem so Viele ängstlich, aber vergebens, ringen, zugestehen. Den Wechsler Omar stellte Hr. Maier dar. Rollen dieser Art, wo eine gewisse Lüsternheit nach dem Genuß der Schönheit und dem Besitze des Geldes sichtbar wird, gibt er mit täuschender Wahrheit und vieler Laune. Die übrigen Rollen sind unbedeutend.
Hr. Leo aus Würzburg, jetzt beym Theater an der Wien engagirt, ist als König Lear und Sesostris in Moses, von Klingemann aufgetreten. Wir halten ihn für einen gebildeten, sehr verständigen Schauspieler; allein sein Organ und die Gewohnheit, die Perioden aus dem halbgeöffneten Munde zu pressen, machen ihn unverständlich. Er füllt das große Theater nicht aus, und erregt keine Theilnahme. Die Wahl seiner Debüts scheint nicht ganz glücklich zu seyn, den Lear haben wir von Brokmann und Iffland, den Sesostris von Ochsenheimer gesehen. Die nachfolgenden Darstellungen bewirken Vergleichungen, und wenn die Erwartung nicht übertroffen wird, fallen diese in der Regel nachtheilig aus
Außer Hrn. Leo ist noch Hr. Pauli von Pesth und Mad. Häser von Breslau hier engagirt; Ersterer ist im Lear als Herzog von Albanien, Letztere in Moses Errettung als Prinzessinn Thermutis aufgetreten. Beyde gefielen nicht. Pauli ist voller Manier und Affektation; Mad. Häser etwas kalt und einförmig. Ihre Rolle war aber auch zu unbedeutend, um über sie vollständig urtheilen zu können.
Editorial
Summary
Korrespondenz-Nachrichten aus Wien, Mai 1813
Creation
–
Responsibilities
- Übertragung
- Mo, Ran
Tradition
-
Text Source: Morgenblatt für gebildete Stände, Jg. 7, Nr. 141 (14. Juni 1813), pp. 563–564