Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 22. März 1817

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Am 22. März: Tancredi, von Rossini. Wie gewöhnlich war diese zweite Aufführung noch weit befriedigender als die erste, und mit wärmerer Theilnahme wurde heute diese liebliche Oper aufgenommen. Wir wollen, unserm Versprechen gemäß, die bedeutendsten der einzelnen Musikstücke etwas genauer durchgehen.

Daß das Ganze mehr lyrisch als heroisch behandelt ist, kann man schon bei der Ouverture ahnen; freundlich und wohlthuend ist die erste Scene, etwas schwach erscheint hier Argirio’s Ausdruck, doch sein ganzer Charakter ist mehr weichfühlend als groß gezeichnet. Maienhell und jugendfroh ist Amenaidens Eintritt, und diese ahnungslose Heiterkeit macht uns die hohe, edle Königstochter doppelt interessant: reizend ist die Musik dieser Scene. Charakteristischer Zug der ganzen Oper und besonders der ersten Hälfte derselben, ist es, daß die Saiteninstrumente so oft den Gesang mit pizzicato begleiten, südlich zart und einschmeichelnd ist dieser Ton und erinnert an die Zitterklänge, die jenseits der Alpen und der Pyrenäen wehen. Aeußerst lieblich und einnehmend ist Tancred’s erste Scene: man fühlt, es ist ein Heldenjüngling, dessen Seele aber einzig von Liebe erfüllt ist; süßeres als dieß: „mi rivedrai – ti rivedò“ läßt sich nichts denken. Argirio’s große Arie: „Se ostinata“ ist sehr ausdrucksvoll, besonders passend ist es, daß der zärtliche Vater sich weit mehr bei der Hoffnung aufhält seine Tochter auf dem Wege der Pflicht zu finden, als bei den Drohungen. Daß erste Duett zwischen Tancred und Amenaide ist trefflich, ihre bange Verschlossenheit, seine allesüberwindende Liebe, beider Schmerz, dieß erste Wiedersehen so getrübt zu finden, alles ist seelenvoll ausgemalt. Höchst ergreifend und wahrhaft schön ist der Anfang des Finales; störend ist es hernach schon in dem Text, daß Amenaide sich so Reihe herum an jeden wendet, ein rasches, banges von Einem zum Andern Eilen hätte dieß in der Musik verschleiern können, statt daß so ein Zwischenspiel bei jeder Anrede jene Fehler verschlimmert, doch wir vergessen ihn gern bei dem reizenden vierstimmigen, begleitungslosen Gesang. Es ist hinreißend, wie sanft diese Stimmen in einander verschmelzen und wie schön ihre Verhältnisse zu einander benutzt sind, er wird meisterhaft ausgeführt. Beklemmend und düster wie ein fernes Gewitter an einem ¦ schwülen Sommertage endigt sich dann dieß Finale. Die erste bedeutende Scene des zweiten Aktes ist die im Kerker, das sie ankündende Ritornell ist sinnig schön instrumentirt, denn durch dieß schmerzlich bange Wogen der Saiteninstrumente tönt die einsame Oboe so verarmt und rührend und später gesellt sich das Fagott so schauerlich klagend zu ihr, daß wir der Worte kaum bedürfen. Das Duett darauf ist innig und gefühlvoll und Amenaidens große Arie, welche aus dem kindlichsten Gebet durch ein herrliches Crescendo, in welches der Chor rasch eingreift, bis zur jubelndsten Freude übergeht, ist sehr würkungsreich; und der völlig unpassende Schlag, der einem fernen Schluß ähnlich klingt, stört hierbei. Die Scene zwischen Tancred und Amenaiden ist eine der allervorzüglichsten. Mit gleicher Sympathie, wie ihre Herzen, verschmelzen beider Stimmen im süßesten Wohllaut, und nur die feindlichen Mißverständnisse treten trennend dazwischen. Unbeschreiblich rührend sprechen diese tiefen Contr’alttöne Tancred’s Gemüth aus, welches dann in der Einsamkeit in düstere Wehmuthversinkt, und nur durch Waffenruf wieder Thatenkraft gewinnt. Ein Mißverhältnis bleibt es, daß erst dieß Verkennen Amenaiden’s so unauflösbar und endlos scheint und endlich die Lösung durch den minutenlangen Kampf nun so augenblicklich erfolgt. Doch dieß war Schuld des Dichters; das überaus fröhliche Polonaisenthema des Finales ist an sich allerliebst, obschon freilich nicht der Würde einer ernsten Oper angemessen. Doch Melodrama ist ja auch dieses Werk nur genannt, und innig können wir uns dieser lieblichen Melodien freuen, wenn sie auch wie blühende Laubgewinde sich mehr in freier warmer Luft wiegen, als daß sie sich auf die Grundpfeiler durchdachter Harmonien stützen. Nur dürfen wir deßhalb Rossini nicht für den Repräsentanten italischer Kunst halten, da alle gründlichern Meister seines Landes selbst ihm seinen Mangel an Tiefe und fester Charakterzeichnung oft vorwerfen. Doch die Tondichtung, diese allgemeine Sprache der Gefühle, hat ja auch das schöne Vorrecht der Künste sich in allen Formen aussprechen zu können und von allen Herzen, in allen Zonen, ohne mühseliges Grammatikstudium verstanden zu werden! Mit wahrer Freude sehen wir künftigen Wiederholungen dieser Oper entgegen, deren melodischer Reichthum bei öfterm Hören immer neuen Genuß verspricht, und die hier so ausgezeichnet schön ausgeführt wird.

C.

Editorial

Creation

Tradition

  • Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 83 (7. April 1817), f 2v

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