Amadeus Wendt: Ueber Weber’s Euryanthe. Ein Nachtrag, BAMZ, 1826, Teil 5/6
Ueber Weber’s Euryanthe.
(Fortsetzung.)
Der mannigfaltigere dritte Akt fängt mit einer Instrumentalintroduktion an, die den Eindruck eines stillen, rührenden Schmerzes hervorbringt, und in der ausdrucksvollen Figur:
so schön verhallt. |
Das folgende Recitativ enthält wiederum mehre schöne Züge von Karakteristik, und zeigt unter andern auch den feinen Takt des Tonsetzers in der Anwendung unvollständiger Akkorde; aber es enthält auch einige Sonderbarkeiten in der Deklamation, wie z. B. das Fallen in der Frage:
und das Steigen in der Bitte:
was, wie die folgende Zeile, in der Melodie gezwungen ist.
Der Uebergang aus dem festgehaltenen Tone H in den vollen C-moll-Akkord zeigt, wie schön Weber die Tonarten zu wählen weiss; denn der Schrecken des Orts soll hier empfunden werden. Am Schlusse des Recitativs aber erweckt das unruhige, und noch dazu abgebrochene Moduliren dem Ohre Unlust, dass man froh ist, wenn man durch diese Umwege endlich bei dem A-dur angekommen ist, aus welchem das Duett zwischen Euryanthe und Adolar geht. An dieser Stelle könnte man fast ein wenig Manier des Tonsetzers entdecken. Sie besteht darin, dass Weber, der den kleinen Septimenakkord in den weitesten Lagen anzubringen besonders liebt, – was auch an Ort und Stelle die vortrefflichste Wirkung macht – gar oft die Ohren durch eine Folge sich in einander verwandelnder Septimenakkorde ohne Noth spannt. Diess gschieht hier; denn nachdem er durch einen Uebergang aus C-moll nach F-dur, und von da in den kleinen Septimen-Akkord von C gekommen ist – was sehr matt klingt:
¦so lässt er, durch eine in dem Gedanken des Zuhörers geforderte Verwandlung des B, in dem folgenden Sätzchen den E-moll-Akkord fortissimo eintreten, dann nach A-moll übergehen, und so geht es dann auf die oben angegebene Weise folgender Gestalt nach A-dur.
Wer diese Modulationen von C-moll an verfolgt, der wird auch mit Hinsicht auf den Text das Modulirens zu viel finden.
An der Einrichtung des folgenden Duetts A-dur, C Moderato, lässt sich billig tadeln, dass es in zwei, nicht wohl verbundene Theile zerfällt. Am Schlusse des ersten ist man schon in A-moll und wird nach dem Schluss der Stimme in E durch den kleinen Septimenakkord wieder nach A-moll geführt, woraus der zweite Theil geht. Hier findet man auch die hart einschneidende Folge:
Im übrigen hat dieser zweite Theil des Duetts entschiedenen Karakter.
Die Schlange wälzt sich daher mit Geräusch. Der Uebergang nach Es-dur, womit das Presto beginnt, macht keine Wirkung, da er schon wenige Takte vorher (auf dem Wort Schlange) benutzt worden ist, wo es natürlicher gewesen wäre, wenn die Modulation sich nach D-moll und A-dur gewendet hätte.
Der beugungslose, steife Zuruf im Munde Adolars:
hat bei Weber, welcher nichts umsonst thut gewiss seinen Grund. Aber ob nicht die Reflexion darin zu weit gegangen, und ob nicht | die meisten Zuhörer darin etwas Störendes finden, will ich den Lesern zu eigner Beurtheilung überlassen. Die Einleitung zu dem Satze, in welchem Euryanthe Empfindungen der höchsten Angst und der höchsten Freude in schnellem Wechsel ausströmt, enthält eine eben so angemessene, als neue Modulation (nach Ges- und von da nach H-dur). Der angeführte Satz selbst, welcher das Gemüth in seiner höchsten Spannung schildert, geht über die gewöhnlichen Formen von Recitativ und Arie ganz hinaus; er ist eine schwungvolle Rhapsodie, voll grossartiger Deklamation, wobei die steigende Bassbegleitung in einer gegen den Takt anstrebenden Bewegung und das Zittern der Geigen, Kraftanstrengung und Gefahr zugleich verkündigt. Im zweiten Abschnitte dieses Satzes, der nach einer Generalpause höchst zweckmässig beginnt, weil so schnelle Abwechselung der Gegensätze kaum eine Schilderung verstattet, scheint der Tonsetzer der Sängerin und Darstellerin das Meiste überlassen zu haben.
Die Wendung der unbegleiteten Stimme.
ist nach dem Verhallen der freudigen Siegestöne äusserst rührend. Aber in Adolar’s Antwort:
ist offenbar auf das „sei“ der Ton gelegt worden, welcher dem fern gebührte. Die fernere Rede Adolar’s konnte der Tonsetzer nicht deutlicher machen, als sie den Worten nach ist. In dem Textbuche lesen wir: „ so kann ich nicht dein Richter sein,“ ganz gegen den Rhythmus; Weber aber deklamirt hier nach dem Rhythmus: so kann ich nicht dein Richter sein, weil Ersteres sehr störend gewesen sein würde.
In der kleinen, sie Situation fortleitenden Instrumentalmusik, während welcher Adolar fortgeht, kommen herzergreifende Töne vor, und daran schliessen sich nun die kleinen ¦ Soli des Fagotts und der Flöte, welche durch ihr einsames Tönen den Eindruck der Verlassenheit schildern. Das erschöpfte Gemüth ergiesst sich in wehmüthige Klagen in der Kavatine: „Hier dicht am Quell“ (von welcher die nur verlängernde Stelle: „was rieselt im Haine“ u. s. w. bei der Aufführung mit Recht wegfällt). Hier tritt einmal der Fluss einer einfachen Melodie, und um so rührender ein, da man lange keine so gehaltene fliessende Melodie gehört hat. Dieses kleine Stück ist eben so tief empfunden, als in der Deklamation ein Meisterstück. Dass es sich in’s Recitativmässige verliert, ist auch ganz der Situation der Erschöpften angemessen. In ernsten, gedankenvollen Tönen verhallen diese Klagen, und nun drückt das schöne Jägerchor von stimmenden Hörnern, die immer näher kommen, verkündigend, den Ruf: „nun freudig sieget das gold’ne Licht,“ mit aller Kraft und Würde aus. Man bemerkt, wie schon die ganze Umgebung hier einen edlern Ton, als bei dem beliebten Jäger-Chor im Freischützen foderte‡, und dass es theils unbegleitet, theils bloss mit schmetternden Hörnern begleitet, gesungen wird, macht es desto interessanter. Die Begleitung ist eben so einfach als neu. Ob der Rhythmus in der dritten Zeile nicht natürlicher so:
als so:
lautete, muss ich unentschieden lassen, da das Ohr sich jetzt an Webers Rhythmus schon gewöhnt hat, ob gleich ihm das letztere bei den ersten Eindrücken sehr auffallend war. Auf jeden Fall hat der Tonsetzer durch diese Verrückung des Rhythmus mehr Kraft in den Vortrag der Melodie bringen wollen.
(Schluss folgt.)
Editorial
Summary
Aufführungsbesprechung Berlin, “Euryanthe” von Carl Maria von Weber am 23. Dezember 1825: Fortsetzung. Teil 5/6
Creation
–
Responsibilities
- Übertragung
- Jakob, Charlene
Tradition
-
Text Source: Berliner allgemeine musikalische Zeitung, Jg. 3, Nr. 6 (8. Februar 1826), pp. 43–45