## Title: Aufführungsbesprechung Mannheim: “Der Kalif von Bagdad” von François Adrien Boieldieu am 13. September 1810 ## Author: Gottfried Weber ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A031086 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Mannheim, den 13. Sept. 1810.Der Kalif von Bagdad, von Boieldieu, Operette in einem Akte; nach langem Stilleliegen wieder hervorgezogen. Auch wieder einmal ein Paar Tropfen Geist unter eine große Quantität Wasser gemischt; einige gelungene Szenen und viele Noten-Makulatur! Die Ouvertüre ist – ob sie an sich lange ist, weiß ich nicht mehr, gewiß aber ist sie zu lange. Sie beginnt mit einem Pastoral-ähnlichen Andante, 6/8 D dur, soll vermuthlich auf die häusliche Ruhe der armen Familie Lemaidens anspielen, welche in der Folge durch Schreckensszenen unterbrochen und zuletzt gegen glänzendes Glück vertauscht wird: – darum geht denn auch das Andante, wie billig, bald in ein Allegro über, mit vielen hurtigen Noten. Dies wäre recht gut ausgedacht, wären nur nicht Andante und Allegro so äußerst mittelmäßig und Trivial. Tonischer und dominanten Akkord, hie und da auch wirklich einmal ein unter dominanten Akkord, machen der Harmonien Reichthum der beiden Sätze aus, und Ausweichungen in die Dominante und von da in die Tonika zurück bezeichnen den Ideenschwung des Komponisten. Durch Janitscharen-Instrumente, Triangel, Becken, große Trommel ec. ist indessen wacker nachgeholfen; dahingegen werden diese Auxiliar-Instrumente hier auch dermaßen schlecht, unsicher und unmäßig exkutirt, daß man glauben muß, die Künstler, welchen die Manipulation derselben anvertraut ist, können entweder gar nicht Noten lesen und Takte zählen, – oder sie werden gar, rein im Janitscharengeiste, – ohne Noten exekutirt. Die Singstücke der Oper sind meistens einzeln stehende Stückchen; das erste Duett der beiden Mädchen in B ganz artig. Nro. 2. eine Sopran-Arie mit obligatem Violoncell, A dur, erst Largo 4/4, welchem ein italienisches Rondo folgt, etwas alla turca aufgeputzt, sehr unbedeutend. Nro. 3. eine Szene der Soubrette, welche sich rühmt, Talent zu jedem genre von Liebenswürdigkeit zu besitzen; sie gibt ein Probestück des enjouement der Französinnen, des Ernstes der Spanierin u. s. w. Aecht französisch ist die Idee, die Engländerin durch eine Anglaise, und die Deutsche durch einen Walzer zu karakterisiren. – ! Nro. 4. ein Rondo des Kalifen, wurde, da es seit Herrn Bergers Abgang an einem brauchbaren Tenoristen fehlt, von Herrn Hoffmann um einem oder zwey Töne herab nach C dur transponirt. – Alles andere sang er im Tenor. – Endlich unter Nro. 5. gibt der Komponist etwas sehr gelungenes, ein Terzett zwischen dem noch unerkannten Kalifen, seiner Geliebten und deren Mutter. Die Stelle: „Wie klopft mein Herz“, ist höchst gelungen, und besonders das Wiederkehren derselben nach einer langen Generalpause oder Fermate, von der glücklichsten Theatralwirkung, welche besonders durch das zweckmäßige geschickte Spiel der Mad. Gervais noch sehr gehoben wurde. Das ganze Terzett verdient und erhielt auch, vom hiesigen Publikum, Auszeichnung. – Nun folgt aber auch wieder unter Nro. 6. eine wässerige Sopran-Arie, oder vielmehr Romanze, mit Refrain, G dur. – Endlich einmal erscheint ein Chor, des Kalifen Gefolge, um die erstaunte Zetulbe als Braut zu begrüßen. Diese und ihre Mutter unterbrechen den Chor durch öftere Fragen und Bitten um Aufklärung des Räthsels; – doch – strenge Verschwiegenheit ist dem Gefolge zur Pflicht gemacht, es darf nichts sagen, als was ihm zu sagen vorgeschrieben ist, und stimmt also statt der Antwort nur immer sein voriges Lied wieder von neuem an; eine Idee, welche nicht ohne gute Wirkung ist, ungeachtet sich die Komposition des Chores an sich nicht über die Mittelmäßigkeit erhebt. – Die Sopran-Choristinnen haben, nebenbei bemerkt, bis a'' zu singen; eine Aufgabe, welche freilich nicht überall befriedigend gelöset werden wird, besonders wo die Stimmen, wie bei diesem Chore, so wenig durch Instrumentation gedeckt oder unterstützt sind; wenigstens sollte jede Direktion, welche nicht überzeugt ist, daß ihre Sopranstimmen solche Stellen alle rein herausbringen, lieber ein Paar Noten umschreiben, als dem Publikum durch falsches Geschrei Ohrenwehe machen lassen. Sehr anziehend ist nun noch die Szene, wo der Kalif mit seiner Braut und künftigen Schwiegermutter sich zum Abendbrote setzt; noch immer wissen die Weiber nicht, für was sie ihn halten sollen, ob für einen Banditen oder für was rechtes; er stimmt ein frohes Tischlied an, (F dur) von allerliebst anziehendem reizendem Karakter, in welches die beiden Damen, halb froh, halb ängstlich, mit einstimmen. Indessen hat selbst die Ortspolizei Verdacht gegen den verkappten Unbekannten gefaßt; Häscher pochen an der Thüre, sind im Begriffe sie einzusprengen, – die Weiber sind vor Angst außer sich, er aber bleibt, aus begreiflichen Gründen, sehr ruhig dabei, selbst als die Wache in das Zimmer eingedrungen ist; und stimmt immer von neuem sein frohes Lied an, dessen wiederkehren unter dieser Situation die eigenthümliche Schönheit des Gesanges unendlich erhöht. Nun ist’s aber auch aus. Von dem Schluß-Chor in D dur ist ohngefähr das zu sagen, was ich von der Ouvertüre anrühmte; es ist leidiger Lärm, welcher nur lärmt, ohne zu wirken, so daß der Zuhörer im Ganzen unbefriedigt das Haus verläßt; ein Erfolg, welcher nie ausbleiben kann bei Opern, worin sich unter vielem Alltäglichen nur einige gelungene einzelne Stellen finden; worin überhaupt der Musik so wenig, und die übrige Zeit durch ziemlich unbedeutenden Dialog ausgefüllt ist. G. Gst.